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Ruhe in Unfrieden. Der Grundstein für den Theaterrohbau des Hans Otto Theaters am Alten Markt war im September 1989 gelegt worden – der durch die Stadtverordneten beschlossene Abriss erfolgte trotz Protesten bereits 1991. Danach gab es hier 14 Jahre lang Theater im Provisorium: in der „Blechbüchse“.

© Manfred Thomas

Kultur: Zeit des Wandels

Eine Diskussion im ZZF beleuchtet die folgenreichen Umwälzungen in Potsdams Kultur nach 1989

Das System war zahmer geworden. Seine hässliche Fratze zeigte es nicht mehr gar so oft. Aber es war immer noch der gleiche Staat. Die DDR. Über den Herbst dieses sozialistischen Landes, die 1980er-Jahre, schreibt Günter de Bruyn in „Vierzig Jahre“: Im Vergleich zu den 50er-Jahren sei die DDR in den 80ern fast wie ein Rechtsstaat dahergekommen. Freilich ohne Demokratie.

In jener späten Zeit also, in der sich Gorbatschow in Moskau daran machte, die sozialistische Käseglocke ein wenig zu lüften, wurde in Babelsberg der Kulturwissenschaftler Lothar Bisky zum Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) berufen. An diese Epoche der heutigen Filmuniversität erinnerte der Filmemacher und HFF-Professor Andreas Kleinert am Mittwochabend auf einer Podiumsdiskussion im Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF). Kleinert, in den 80er-Jahren selbst Regiestudent an der HFF, sprach auf der Veranstaltung von einem Mief, der an der Filmhochschule geherrscht habe, bevor Bisky kam. Mit dessen Amtsantritt sei das Klima deutlich liberaler geworden. Was heute niemanden mehr aufregen würde – damals schien es etwas sehr Bemerkenswertes zu sein: „Plötzlich bekamen wir einen Vortrag über Anarchie“, berichtete Kleinert auf der vom Förderverein des ZZF organisierten Veranstaltung, die von dem Historiker Peter Ulrich Weiß moderiert wurde. Das Thema: Die Entwicklung von Wissenschaft und Kultur in Potsdam nach dem Ende der DDR-Diktatur. Mit dem Physiker Günther Rüdiger und dem Gründungsrektor der Fachhochschule Helmut Knüppel saßen zwei profunde Kenner der Potsdamer Wissenschaftsszene der 1990er-Jahre auf dem Podium. Für die Kultur sprach neben Kleinert auch die Kommunalpolitikerin Saskia Hüneke von den Grünen.

Moderator Peter Ulrich Weiß hatte vor wenigen Monaten zusammen mit Jutta Braun den Band „Im Riss zweier Epochen“ vorgelegt. Darin beschreiben beide Autoren die Zustände in Potsdam in der Zeit vor und nach dem Mauerfall 1989. In ihrer thematischen Einführung am Mittwoch erinnerte Braun an die tiefgreifenden Veränderungen, auf die sich die Menschen im Osten Deutschlands Anfang der 1990er-Jahre einlassen mussten. „Eine Zeit des unablässigen Wandels“, nannte es Braun. Für die HFF in Babelsberg bedeutete der Umbruch, dass der von Kleinert beschriebene Mief endgültig aus den Gemäuern der Hochschule entfleuchen konnte. Doch auch die Filmstudenten und ihre Professoren selbst mussten schließlich aus den angestammten Villen in Babelsberg ausziehen – wegen diverser eigentumsrechtlicher Ansprüche.

Während die HFF als Institution erhalten blieb, sahen sich die Mitarbeiter der großen Babelsberger Filmschmiede Defa mit der Abwicklung ihres vormaligen Staatsunternehmens konfrontiert. Massenentlassungen in der einstigen Traumfabrik waren die Folge. Es sei schmerzlich gewesen, so Kleinert, mit anzuschauen, wie ehemalige Mitarbeiter der Defa später in der für Besucher entwickelten Studiotour ihre alten Berufe spielten – als Darsteller ihrer selbst. Bei der Defa habe man nach dem Mauerfall leider „keine sanfte Landung hinbekommen“. Und wie sieht Kleinert die heutige Situation auf dem Filmgelände? Die Filmstadt Babelsberg sei jetzt eher eine Servicestadt für Produktionen aus aller Welt. Vieles hänge von der Filmförderung ab. Wirtschaft eben. Kürzlich sei ein Streifen über einen Hund gefördert worden, merkte Kleinert mit leicht deprimiertem Unterton an. „Das klingt jetzt so ein bisschen verbittert. Es ist so, wie es ist“, erklärte der mehrfache Grimme-Preisträger.

Auch Saskia Hüneke, Kulturpolitikerin der ersten Stunde, erinnerte sich an Um- und Aufbrüche in Potsdam nach dem Fall der Mauer. 1990 übernahm Hüneke das Amt der Kulturstadträtin, das sie aber noch im selben Jahr wieder abgab. Es sei damals eine eigentümliche Situation gewesen, berichtete Hüneke, die heute als Kustodin für Skulpturen bei der Schlösserstiftung tätig ist und auch zu DDR-Zeiten schon in Sanssouci arbeitete: Als neue Amtsleiterin hatte sie einen vorhandenen Mitarbeiterstab anzuleiten, der gegenüber der neuen Führung eher skeptisch eingestellt war. Man habe sich 1990 entschieden, die Spitzen verschiedener Potsdamer Kultureinrichtungen abzuberufen, um so mit neuen Führungspersonen frische Impulse im Kulturbereich setzen zu können. Gegen die betroffenen Menschen selbst sei es dabei gar nicht gegangen. Man habe gerade keine Diskussion darüber führen wollen, wer tragbar und wer zu sehr mit dem alten System verstrickt war.

Auch Theaterintendant Gero Hammer musste seinen Hut nehmen. Für die Spielstätte des Hans Otto Theaters sollte bald eine wegweisende Entscheidung erfolgen: Die Stadtverordneten beschlossen den Abriss des Theaterrohbaus auf dem Alten Markt – um die Möglichkeit zu erhalten, dem Platz seine historische Struktur mit dem Stadtschloss zurückzugeben. Das Ergebnis sieht man heute.

Holger Catenhusen

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