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Smart und gelassen. Die Brandenburger Band Keimzeit feiert 35. Jubiläum.

© promo

Kultur: Zeichner der Zeit

35 Jahre Keimzeit: Das muss gefeiert werden. Nächste Woche macht die Band im Lindenpark Station

Es ist ein Ohrwurm, ein Lied, das jeder mitsingen kann – zumindest im Osten der Republik: „Kling klang, du und ich“, der Soundtrack der Wendezeit. Keimzeit heißt die Band, deren Song sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt hat wie kaum ein anderer. Die Band auf diesen Song zu reduzieren, wäre allerdings alles andere als fair – und es gibt bestimmt nicht wenige, die „Kling Klang“ einfach nicht mehr hören können. Trotzdem: Gespielt wird der Song auf jedem Keimzeit-Konzert, ganz hinten platziert, als Rausschmeißer sozusagen.

Doch so jugendlich wie ihr größter Hit ist die Band längst nicht mehr. Am 13. Oktober spielen die Brandenburger ein Jubiläumskonzert im Lindenpark: 35 Jahre gibt es Keimzeit schon – zumindest unter diesem Namen. 1980 bereits gründete sich die Gruppe in Lütte bei Belzig noch unter dem Namen Jogger, 1982 nannte sie sich offiziell in Keimzeit um. Einst ein Musikprojekt von Geschwistern, ist 35 Jahre später nur noch Sänger und Texter Norbert Leisegang geblieben. Die anderen Leisegangs haben sich längst in der Weltgeschichte zerstreut. Doch auch ohne sie hat sich die Brandenburger Provinzband längst in die Herzen der Bundesrepublik gespielt: wenn auch mit leisen Ermüdungserscheinungen, die auch als Altersweisheit interpretiert werden dürfen – wie zuletzt im Juni beim Sommerkonzert im Belvedere auf dem Pfingstberg. Die 80er-Jahre der DDR sind eben vorbei – und damit auch die trinkfreudigen Konzerte, die sich gern über Stunden hinzogen.

Dabei war Keimzeit nicht immer die melancholische Lyrikfabrik, als die sie heute oft wahrgenommen wird: Der Bluesrock mit den doppelbödigen Texten Norbert Leisegangs kratzte kräftig am DDR-Kulturbetrieb, der doch schön alles unter Kontrolle haben wollte – Ende der 80er gab es kurzerhand ein Spielverbot durch die staatliche Künstlerorganisation. Was den Erfolg bekanntermaßen kaum schmälerte: Zur rettenden Wendezeit war Keimzeit präsent wie nie. Textzeilen wie „Irre ins Irrenhaus, die Schlauen ins Parlament. Selber schuld daran, wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt“ passten zu perfekt in die Zeiten des Umbruchs und der Abrechnung. Als 1993 das Erfolgsalbum „Bunte Scherben“ erschien, das auch den eigentlich viel älteren Song „Kling Klang“ enthielt, verkaufte sich das über hunderttausendmal. Der Geheimtippstatus war dahin, der kommerzielle Erfolg begann gerade erst.

Seitdem verging kaum ein Jahr, in dem Keimzeit nicht wieder mit einem neuen Album aufmerksam werden ließ. Viele Weggefährten wurden ersetzt, Norbert Leisegangs markante Stimme blieb erhalten. Sie ist eben auch die Seele der Band, sowohl mit der tiefsinnigen Lyrik als auch mit dem rauchigen Pathos, in dem so viel Leben und Erleben steckt. Um ihre Fangemeinschaft braucht sich Keimzeit zumindest keine Sorgen zu machen: Nicht nur die alten Begleiter bleiben ihr treu, auch jüngere Generationen lassen sich von diesem latenten Weltschmerz infizieren. Es gibt auch kaum etwas, das besser zum Herbst passen würde. O. Dietrich

35 Jahre Keimzeit am Freitag, 13. Oktober, ab 20 Uhr im Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76–78. Tickets gibt es im Vorverkauf ab 26,30 Euro

O. Dietrich

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