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Gegen den Schlankheitswahn. Die Schweizer Tänzerin und Choreografin Eugénie Rebetez.

© Promo

Kultur: Wuchtig und zart

Die türkische Kompanie Taldans sowie Eugénie Rebetez begeisterten bei „Made in Potsdam“

„Made in Potsdam“ wird immer bunter – und das ist gut so! Am Samstagabend wurde zum ersten Mal eine Kompanie aus der Türkei präsentiert. Einem Land, in dem man nicht unbedingt eine moderne Tanzszene vermutet. Und so wäre es gerade bei dieser Uraufführung von „We need to move urgently“ von Taldans aus Istanbul angebracht gewesen, in einem Zuschauergespräch mehr über die Gruppe und die Tanzszene in diesem Land zu erfahren. Schade, dass das nicht geschah.

Überrascht war man auch, als man den Zuschauerraum betrat. Dort lagen jede Menge Requisiten wie Rollen von Fußbodenbelag, Kisten, Monitore und sogar ein Fernsehgerät auf den Stühlen. Im Kontrast dazu war die Bühne der „fabrik“ vollkommen leer und nicht einmal die schwarzen Seitenvorhänge verdeckten die weißen Ziegelwände. Zuschauerraum und Bühne waren nur mit Saallicht erleuchtet. In diesen Raum, der nicht mehr an einen Theaterraum erinnerte, begaben sich die drei Akteure von Taldans zumeist abwechselnd aus dem Publikum heraus.

Die Erste – ihr klebte das Wort Zoom auf der Brust – legte einen Apfel auf das hintere Bühnendrittel, eine Weitere zog mit weißem Klebeband eine lange horizontale Linie davor. Der einzige Mann der Gruppe schritt langsam in Richtung des Apfels und legte sich später bäuchlings auf die Bühne. Es ist kaum möglich, die weiter folgenden Aktionen so zu beschreiben, dass sie einen Gesamteindruck der Inszenierung von Taldans ergeben. Es entstanden dabei vor allem kurze Momentaufnahmen eines Prozesses, in dem die drei Akteure Filiz Sizanli, Mustafa Kaplan und Vania Rovisco sich in diesem öffentlichen Raum bewegten. In dem sie wie auf der Straße Aktionsstände errichteten und auch so etwas wie eine Barrikade aus Tischen und ihren unzähligen Requisiten bauten.

Dazwischen sprachen sie immer wieder kurze Texte, die vor allem im Teil „Die Leute sagten“ ein auf den Punkt gebrachtes Stimmungsbild von modernen Demonstrierenden gaben, egal ob sie sich in Stuttgart gegen ein überdimensioniertes Bahnhofsprojekt wenden oder im Istanbuler Gezi-Park ihrem Unmut Luft machen. Und das, darin liegt die Stärke der Inszenierung, zeigte, wie Demonstrationen ohne weiterreichende Ziele bald wieder im Sande verlaufen. Mit die stärksten Bilder der Inszenierung waren die aus zusammengerollten Kleidungsstücken entstandenen Zuschauerköpfe mit Sonnenbrillen, die den drei Akteuren später bei ihren gemeinsamen gymnastischen Übungen in weißer Unterwäsche zusahen. Die Botschaft war klar: Wir sollten uns zusammen bewegen und dabei die eigene Individualität bewahren.

Nach dieser gedanklich nachwirkenden Aufführung folgte ein grundlegender Szenewechsel im T-Werk. Doch wer geglaubt hatte, bei Eugénie Rebetez aus Zürich im politikfreien Raum zu landen, wurde positiv enttäuscht. Denn die Schweizer Tänzerin und Choreografin, die im hautengen und viel zu kurzen schwarzen Kleid ihre barocke Gestalt über die Bühne wirbeln ließ, ist selbst ein starkes Ausrufungszeichen gegen die in der heutigen Gesellschaft weit verbreitete Diktatur des Schlankseins. Eugénie Rebetez schwimmt gegen diesen Strom und hat 2010 ihre erste Figur „Gina“ entwickelt, die in „Encore“ (2013), das jetzt in Potsdam gezeigt wurde, immer noch von dem Wunsch erfüllt ist, im großen Showbusiness mitzuspielen.

Und so trippelt die gewollte Diva in Pumps auf die Bühne, rennt nach ihrem silbernem Täschchen und einem Mikro, um endlich den roten Teppich auszurollen und atemlos im Blitzlichtgewitter den Fotografen zu posieren. Bis in den kleinen Zeh ist die Rebetez eine Clownin. Ihr assoziationsreiches Spiel ist so pointiert, dass sie den ganzen Show-Zirkus, der die vermeintlichen Stars und Sternchen umgibt, mehr als gründlich entlarvt.

Eugénie Rebetez selbst punktet mit dem Wechselspiel von Wuchtigkeit und Zartheit, das sie grandios beherrscht. So tanzt sie nahezu schwerelos zu klassischer Musik, um wenig später auf einem Gymnastikball ihre beträchtlichen Pfunde wie unkontrolliert durch die Gegend rollen zu lassen. Ein gekonntes Spiel zwischen majestätischem Schwan und tolpatschiger Ente. Man ertappt sich immer wieder beim Hin- und Herschwanken zwischen Bewunderung und Ablehnung, bis man im Verlauf der einstündigen Show, in der die Tänzerin auch als Musikerin und Sängerin agiert, diese Kategorisierungen völlig vergisst und nur noch genießt, was diese charmante, vielsprachige und freche Performerin zu bieten hat.

Und das ist genau das, was die Rebetez selbst will: „Es geht darum, was der Körper ausdrücken kann, unabhängig vom Aussehen“, sagte sie in einem Interview der „Neuen Zürcher Zeitung“. Und bei Eugénie Rebetez ist das ein ganzer Kosmos von Menschlichkeit mit unterschiedlichsten Facetten. Ein wenig von der echten Frau ist dann ganz zum Schluss auch noch zu erleben. Als der begeisterte Schlussapplaus zu Ende ist, tritt sie ohne Mikro vor ihr Publikum und singt a capella noch einen kleinen selbstverfassten Song.

Astrid Priebs-Tröger

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