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Kultur: Wolken pflücken

Sibylle Junge geht auf Reisen und schwebt mit dem Ballon davon. Die Sperl Galerie zeigt ihre Bilder

Sibylle Junge bringt Häuser zum Sprechen. Dicht schmiegen sie sich aneinander und wispern sich ihre Geschichten zu. Manche ächzen unter der Last, andere schweben fröhlich davon. Manche wiederum verfangen sich im Strudel des Lebens. Jedes Haus hat sein eigenes Gesicht, einige sind stark wie eine Festung und mit einer Krone bekränzt. Andere erinnern an Babajagas tanzendes Hexenhaus. Die vielen Fenster richten sich wie fragende Augen auf den Betrachter. In dieser quirlig, energiegeladenen Bildwelt wird die Seele nach außen gekehrt. Die Häuser spiegeln die verschiedenartigen Menschen, die in ihnen leben. Sie sind Oasen zum Auftanken und Entspannen, sprechen aber auch von Isolation und Abgeschirmtheit. Wir befinden uns in Sibylle Junges „Schuhschachtelsanatorium“.

Dieses farbgewaltige, fast den Rahmen sprengende Bild in der Sperl Galerie ist menschenleer und doch voller Leben. Man spürt die Kraft und Vitalität der Künstlerin, die hier am Werke war. Man wird förmlich hineingezogen in ihre fabulierende Poesie, die sich auch in den anderen Bildern märchenhaft durch das Hier und Heute schlängelt. Munter wie die Fische im Wasser, die unverdrossen über ihre Leinwände schwimmen, und auf alle hinderlichen Barrieren pfeifen.

Auch in der „MS Hierhin“ gibt es zwei Fische. Sie bewegen sich aufeinander zu. Anders als die Bug- und Heckfiguren, die strikt in eine andere Richtung schauen. Hierhin oder dorthin? Wer wird das Ruder übernehmen? Die Gesichter sind energisch, das Kinn forsch herausgestreckt. Wenig Hoffnung, dass einer von seinem Kurs abweicht, das Paar einander wieder zunickt.

Doch wenn Sybille Junge ihre „Wolken pflückt“ – wie sie ihre Ausstellung augenzwinkernd überschreibt – hat das immer auch etwas von einem Traum, in den man sich wohlig und unangestrengt philosophierend hinein begibt. Man saugt ihn auf wie einen zarten Duft – ohne dass er die Sinne vernebelt. Der Widerhall ihrer virtuosen Sprachwelt ist offensichtlich: An einigen der Bilder kleben bereits rote Punkte. Und das nicht nur an den leichtfüßig daher kommenden Zeichnungen, die in den Preisen natürlich erschwinglicher sind. Auch das in Öl gemalte „Über alle Berge“ fand bereits einen Käufer und man ist schon ein bisschen neidisch auf den neuen Besitzer. Dieser auch farblich sehr feinfühlig durchkomponierte Ausflug zu den Himmelsstürmern ist von einer leisen Heiterkeit. Auf einem der Wellen-Massive schaukelt ein Schiff in die Höhe. Ein Ballon schwebt über ihm und auch ein Drachen erobert sich den weiten Horizont. Am liebsten würde man in die Gondel steigen und mit abheben. Ballons, Spiralen, Fische – Symbole der Freiheit und Unendlichkeit – gehören einfach zur Malwelt Sybille Junges dazu.

In einigen ihrer jüngsten Arbeiten ist die aus Thüringen stammende und seit 1991 in Potsdam lebende Künstlerin noch freier in den Formen geworden. Hier sind die Geschichten nicht mehr so schnell vom Traumbaum zu pflücken.

Ihr „Hallöchen allerseits“ tummelt sich im roten Farbmeer, bleibt dabei aber dekorativ an der Oberfläche. Tiefer mit hinein zieht ihr Bild „Einfach himmlisch“. Es gibt durch ein Fenster den Blick frei auf ein sattes Himmelsblau. Dazwischen tanzen bunte Lichter einen flirrenden Reigen. Diese Bilder brauchen Raum: Manche geben ihren Reiz erst preis, wenn man etwas Abstand zu ihnen gewinnt. So auch „Am Marktplatz tänzelt man aus der Reihe: die 102 steigt aus“. Hier drehen sich die Häuser im Uhren-Rund. Die Zeit bleibt nicht stehen. Was sich heute noch treu und brav einreiht, kann morgen schon davon stieben.

Wolken lassen sich zwar pflücken – aber nicht sicher nach Hause tragen.

Sybille Junge, Wolken pflücken, Sperl Galerie, Mittelstraße 30, bis 31. Juli, Mi bis So 12 bis 18 Uhr.

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