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Wolfgang Huber bekleidete von 1994 bis 2009 das Amt des Bischofs der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

© Andreas Klaer

Wolfgang Huber schreibt an Theodor Fontane: Theodor Fontane und die Religion

Altbischof Wolfgang Huber ist Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Garnisonkirche Potsdam. In seinem Brief bewegt ihn die Frage, wie es Fontane mit der Religion hielt.

Verehrter Theodor Fontane,

hätten Sie mit der Möglichkeit gerechnet, dass Sie zur zweihundertsten Wiederkehr Ihres Geburtstags Briefe bekommen? Dafür waren Sie viel zu nüchtern. Und der Anhänglichkeit fremder Menschen begegneten Sie mit einem gehörigen Misstrauen. „Die Welt ist liebearm“, sagten Sie, „sowie man über die Familie hinaus ist, beginnt die Sahara.“

Aber Ihre Nüchternheit verband sich mit einer geradezu unerschütterlichen Hoffnung. Diese Hoffnung hat nicht getrogen. Heute sieht man das an der Wirkung Ihrer Schriften. Durch alle Irrungen und Wirrungen des vergangenen Jahrhunderts hindurch faszinieren Ihre Schriften viele Menschen.

Unterschiedliche Aspekte des menschlichen Lebens haben Sie berührt und auch die Religion nicht ausgespart. Wieder und wieder wird deshalb die Gretchen-Frage an Sie gerichtet. Bei Goethe wendet sich Gretchen mit folgenden Worten an Faust: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“ Diese Einschätzung könnte, so meinen viele, auch auf Sie passen. Von Religion, so heißt es häufig, hielten Sie nicht viel. Würde man Ihnen jedoch Gleichgültigkeit oder Unkenntnis in religiösen Fragen unterstellen, wäre das weit gefehlt. Gerade die kritischen Töne zur Religion, die sich bei Ihnen finden, entstammen vielmehr genauester Beobachtung: Anpassung an den Geist der Zeit, simple Faustregeln, um sich „in den Himmel hineinzustrampeln“, das schlichte Wiederholen althergebrachter Formeln – all das stieß auf ihren entschiedenen Widerspruch.

Ihre Lebenserfahrung konnten Sie in dem Satz zusammenfassen: „Ich habe das Klügste scheitern und das Dümmste gelingen sehen.“ Übertriebene Erwartungen an das, was wir Menschen zustande bringen, waren Ihnen fremd. Es war, so scheint mir, gerade Ihre Nüchternheit, die Sie vor menschlicher Selbstüberschätzung bewahrte. Nach meiner Auffassung ist es höchste Zeit, von Ihrer Nüchternheit zu lernen – in einer Zeit, in der wir meinen, wir könnten eine „Künstliche Intelligenz“ produzieren, die dem menschlichen Verstand weit überlegen ist, und zugleich Klima- und Umweltkatastrophen produzieren sowie durch politischen Widersinn und staatsbürgerliche Gleichgültigkeit dazu beitragen, dass „das Klügste scheitert und das Dümmste gelingt“. Sie haben angesichts solcher Erfahrungen wieder und wieder ausgerufen: „Was soll der Unsinn“ – und trotzdem an der Hoffnung festgehalten: „Alles ist Gnade“. Im „Stechlin“ haben Sie der jungen Komtesse Armgard von Baby diesen Satz, der Ihr Lebensmotto war, in den Mund gelegt.

Radikaler kann man die Hoffnung nicht zur Sprache bringen. Allen Absurditäten zum Trotz hält sie am Sinn des Lebens fest; trotz allem Scheitern gibt sie nicht auf; trotz aller menschlichen Irrwege verlässt sie sich darauf, dass Gott es mit dieser Welt gut meint. Ohne allzu viel große Worte haben Sie sich an die Weisheit der biblischen Schöpfungserzählungen gehalten, in denen die von Gott geschaffene Welt in ihrer Güte gewürdigt wird. Vielleicht hat Ihnen auch der Satz des Apostels Paulus gut gefallen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Über alle Möglichkeiten des eigenen Handelns hinaus haben Sie sich darauf verlassen, dass nicht wir selbst, sondern Gottes Gnade über unser Leben entscheidet. Paul Gerhardt, der große lutherische Dichter, war Ihnen vertraut. Als Sie in französischer Gefangenschaft um Ihr Leben fürchteten, gab er Ihnen Halt; vermutlich erinnerten Sie sich an sein Lied „Befiehl du deine Wege …“ und schliefen darüber ein. Von diesem Lied haben Sie später gesagt, es sei das „größere Lied an die Freude“ als Friedrich Schillers berühmte Ode. In Beethovens Vertonung dient sie heute immerhin als Europa-Hymne.

Das Gottvertrauen, das Sie aus Paul Gerhardts Lied lernten, hat Ihnen in großen Krisen Ihres Lebens Halt gegeben – als Sie beruflich vor dem Nichts standen, als dadurch Ihre Ehe großen Spannungen ausgesetzt war, als drei Ihrer Kinder starben. Auch durch solche Krisen hindurch blieb es dabei: „Alles ist Gnade.“

Trotz dieses klaren Satzes gibt es noch immer Menschen, die Sie für unreligiös halten. Dabei wären wir gerade heute unzweifelhaft viel besser dran, wenn religiöse Bildung für uns noch eine ähnliche Selbstverständlichkeit hätte, wie das bei Ihnen der Fall war. Die französische Herkunft Ihrer Eltern legte es nahe, dass Sie in der französisch-reformierten Kirche getauft wurden. Sie gingen nicht oft, aber doch immer wieder in die Kirche. Mit Ihrer Frau Emilie wurden Sie kirchlich getraut; ihre Kinder wurden getauft und konfirmiert. In den verschiedenen Formen protestantischer Frömmigkeit kannten Sie sich aus: Die lutherische Prägung des norddeutschen Protestantismus war Ihnen wohl vertraut. Sie entwickelten Interesse für den Katholizismus und seine Gestaltungskraft; während Ihrer Aufenthalte in England trat Ihnen die dortige Staatskirche entgegen. Dem Rabbi von Stendal und seinen Leiden widmeten Sie eine eigene Lehrerzählung. Die heutigen Herausforderungen religiöser Pluralität konnten Sie noch nicht ahnen; aber für die innere Vielfalt des Christentums hatten Sie ein bemerkenswertes Gespür. Und wie unterschiedlich das Bodenpersonal Gottes sein kann, haben Sie in Ihren eindrucksvollen Schilderungen von Pfarrergestalten großartig ins Licht gerückt. Pfarrerinnen gab es zu Ihrer Zeit noch nicht; da muss ein anderer Fontane, am besten in weiblicher Gestalt, kommen, um den Frauen im geistlichen Amt vergleichbare Porträts zu widmen.

So, verehrter Theodor Fontane, erscheint mir aus dem Abstand der Zeit Ihr Verhältnis zur Religion. Wie gern wüsste ich, ob Sie sich von mir richtig verstanden fühlen. Und ebenso gern würde ich zuhören, wenn Sie die heutige religiöse Lage beschreiben. Vielleicht käme dabei sogar ein kluger Rat heraus. Aber auch in Fragen der Religion kann es passieren, dass das Dümmste gelingt und das Klügste scheitert. Auch auf diese Weise lernen wir immer wieder: Alles ist Gnade.

Dankbar grüßt Sie Ihr Wolfgang Huber  

Alle Folgen der Serie „Briefe an Fontane“ zum 200. Geburtstag des Schriftstellers lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane

Wolfgang Huber

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