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"Die Lage" von Thomas Melle in der Potsdamer Regie von Elina Finkel und Anja Kożik.

© Thomas M. Jauk

Wohnungssuche auf der Bühne: Das Gefälle hat sich verschoben

Der „angespannte Wohnungsmarkt“ ist in aller Munde. Das Hans Otto Theater zeigt in „Die Lage“, dass nicht der Markt leidet, sondern die Menschen – und ruft zur Revolte auf.

Potsdam - Der Anfang, ein ungeduldiges Fingerklopfen. Da steht der sechsköpfige Chor der Wohnungssuchenden an der Rampe und zwingt die innere Nervosität in äußere Ruhe, was hier heißt: krampfiges Lächeln. Nur die Fingerspitzen von Hannes Schumacher verraten, was für Kämpfe hier innerlich ausgetragen werden – von jeder und jedem für sich allein. In die Stille im Saal hinein trommeln Schumachers Finger auf das Stück Pappe, das hier die Welt bedeuten könnte. Es sind die Bewerbungsunterlagen. 

Wenn vom Wohnungsmarkt in Berlin und Potsdam die Rede ist, heißt es oft, er sei „angespannt“. Das erste Bild der Potsdamer Inszenierung von „Die Lage“ im Hans Otto Theater zeigt aufs Anschaulichste, was diese sprachliche Plattitüde bedeutet: Nicht der Markt ist angespannt, sondern die Menschen, die ihm unterworfen sind. Autor Thomas Melle wohnt in Berlin und hat in einem Gespräch zu dem 2020 uraufgeführten Stück eine Odyssee durch den Berliner Wohnungsmarkt beschrieben. Aber das Thema ist in Potsdam ebenso gut zuhause. Mieten und Kaufpreise steigen seit Jahren. Nirgendwo im Osten wohnt man teurer. Wer in Potsdam eine Wohnung sucht, ist arm dran.

Oben gediegene Blusen, darunter schwarze Kampfmontur 

Das gilt auch für die, die eigentlich gar nicht so arm dran sind. Die Mittelschicht. Um die geht es in Melles Stück. Seine These: Der Wohnungsmarkt macht jene, die Bequemlichkeit gewohnt sind, die Weltläufigen, Gebildeten und gut Erzogenen, zu brutalen Einzelkämpfern. In der Inszenierung von Elina Finkel und Anja Kozik tragen sie oben gediegene Blusen oder Krawatte, darunter schwarze Kampfmontur. Das sagt alles. 

Ausstatter Ric Schachtebeck hat dafür auch eine Bühne gebaut, die keinen Zweifel daran lässt, wie „die Lage“ am Wohnungsmarkt aussieht. Abgründig – und sehr schief. Eine abschüssige Schräge beherrscht die Bühne, sie sieht aus wie der unverputzte Rohbau an Wohnungswänden. Hier kommt man nur schwer hoch, rutscht aber umso leichter wieder ab. Nur eine wird diese Schräge an diesem Abend leichtfüßig hochtänzeln: Die, auf die eingangs alle warten. Die Maklerin, blütenweiß und platinblond (Franziska Melzer). Was für die anderen Abgrund ist, ist für sie eine Bühne.

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Diese Maklerin springt gazellengleich nach oben, und oben bleibt sie auch: Die Hierarchien sind klar verteilt. Unten die Bittsteller, oben sie. Sie gibt vor, eine Wohnung anzupreisen – und hält in Wahrheit ein Casting ab: Wer macht sich am besten im Wohnungsdschungel-Camp? Das geht bis zur Akustik-Probe. „Wie laut sind Sie denn, als Paar?“ Das Paar (Hannes Schumacher und Janine Kreß) stutzt, aber dann fügt es sich. Ihr Stöhnen geht über in ein Schluchzen.

Wucht und spürbare Wut 

Immer wieder kippt der nur gut einstündige Abend vom überhöht Komödiantischen ins Existenzielle. Das liegt an der Wucht und spürbaren Wut von Melles Text, einerseits. Da hackt eine Bewerberin ihrem Mann ein Auge aus – aus Furcht, er könne bei der Besichtigung etwas Falsches sagen. Das ist lustig, aber so eine Verzweiflung tut auch Zuschauer:innen durchaus weh. „Da weiß man nicht mehr, was Angebot ist, was Nachfrage“, sagt ausgerechnet die Maklerin. „Ich habe den Schlüssel und den Preis, und sie brauchen es. Sie brauchen es, ich weiß das, das Gefälle hat sich verschoben.“  

Teils wird das chorisch gesprochen, teils verknoten sich Einzelne geradezu körperlich in ihre Textpassagen. Wirkliche Not wird so spürbar, trotz aller Satire. Wenn Janine Kreß als ehemalige Mieterin auftaucht, die im Besichtigungsobjekt noch auf einer Matratze haust, ist das Elend von wegen Eigenbedarfs gekündigten Mieter:innen plötzlich schauerlich konkret. Die Schikane durch Baulärm, Staub, „das Sirren und Jaulen und Hämmern und Kreischen“. Kurz sind auch die auf der Bühne bestürzt – dann weiter zur nächsten Besichtigung. Immer der Sonnenseite nach, und dem Stuck.

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Die Möglichkeit einer Revolte 

Gegen Ende deutet sich etwas abrupt die Möglichkeit einer Revolte an. Die Sonnensucher haben sich unter der Bühne verbarrikadiert und schicken von dort per Video umstürzlerische Ideen nach draußen zur Maklerin. Da werden kritische Fragen nach den Eigentumsverhältnissen laut (Antwort: „Das geht bis nach Panama und Zypern“). Da weigert man sich, über Ergebnisse aus dem Schlaflabor Auskunft zu geben. Da hocken die Suchenden plötzlich eng beieinander und schauen von der Leinwand auf die Maklerin herab. 

Ein kurzes Was-wäre-wenn: Statt Einzelkämpfertum eine gemeinsame Verweigerungshaltung. „Das hier ist eine Wohnungsbesichtigung, mehr nicht / Machen Sie da nichts Politisches draus“, sagt die Maklerin noch. Und jemand antwortet: „Was soll politisch sein / Wenn nicht das.“ 

Wieder am 12., 17., 24., 25., 27. und 31.3. im Großen Haus des Hans Otto Theaters

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