zum Hauptinhalt
Wladimir Kaminer im Potsdamer Waschhaus. 

© Magdalena Schmieding

Wladimir Kaminer las in Potsdam: Eine Spirale der Heiterkeit

In seinem Buch „Liebeserklärungen“ erzählt Wladimir Kaminer ganz verschiedene Geschichten über die Liebe - den Zuhörern im Waschhaus schienen sie zu gefallen.

Potsdam - Der große Saal im Waschhaus Potsdam ist am Freitagabend in dunkelrotes Licht getaucht. Er ist bis auf den letzten Platz voll besetzt, man hört Raunen und leises Gläserklirren. Jung und Alt sind an diesem Abend erschienen, viele Paare, aber auch Eltern mit erwachsenen Kindern. Sie alle sind erwartungsvoll, ziehen höflich die Beine ein, wenn sich Spätankömmlinge Weingläser balancierend durch die vollen Sitzreihen quetschen, gelegentlich hört man leises Lachen.

Dann betritt Wladimir Kaminer die Bühne und noch während er ungelenk mit dem Mikrofon kämpft und dabei in typischer Manier leicht stottert, sind schon die ersten lauten Lacher zu vernehmen – als hätte das Publikum nur auf den erlösenden Moment gewartet. „Hier im Waschhaus war ich schon mindestens 20 Mal, als letztes war ich am 28.12.2018 hier, wir haben über Kreuzfahrer geredet, oder?“ fragt er in die Menge. Die Zuschauer bejahen johlend und applaudieren. „Naja, dann mache ich jetzt einfach da weiter, wo wir letztes Mal aufgehört haben!“, begrüßt er mit seinem weichen russischen Akzent das Potsdamer Publikum.

Fast jedes Jahr ein neues Buch

Kaminer, der im Jahr 2000 mit seinem Debütroman „Russendisco“ in Deutschland über Nacht berühmt wurde, veröffentlicht fast jedes Jahr ein neues Buch. Dazu kommen Filme, Auftritte in Talkshows, Lesungen. „Manchmal toure ich auch noch durch die Gegend und lege als DJ auf“, erzählt Kaminer im Gespräch vor dem Auftritt. An diesem Abend liest er unter anderem aus seinem 2019 erschienenen Erzählband „Liebeserklärungen“. Sein Kommentar dazu: „Liebe kann immer lustig und tragisch sein. Meine Tochter meint allerdings, meine Geschichten seien voll von Rassismus und Sexismus. Wahrscheinlich hat sie recht.“ Über die fehlende politische Korrektheit in seinen Texten schmunzelt er. Das Publikum verzeiht es ihm – und lacht aus vollem Hals.

Wladimir Kaminers nicht immer politisch korrekte Geschichten  kamen beim Potsdamer Publikum gut an.
Wladimir Kaminers nicht immer politisch korrekte Geschichten  kamen beim Potsdamer Publikum gut an.

© Mike Wolff

In den vorgetragenen Geschichten bedient Wladimir Kaminer sich eigener Erfahrungen, seiner jüdisch-russischen Familiengeschichte – und seiner Fantasie. Die Zuschauer amüsieren sich über Frank, der in einer ägyptischen Pyramide feststeckend, die Liebe seines Lebens findet und folgen Susanne in einen Hotelschrank, wo sie nackt, vergeblich auf ihren Liebsten wartend einschläft. Was bei der Lektüre auf dem heimischen Sofa stellenweise plakativ und pointenlos erscheint, funktioniert auf der Bühne eingebettet in Kaminers markanten Akzent fabelhaft. Es scheint als könne man die russische Satzmelodie nicht von seinen Texten trennen, als hauche sie ihnen Leben ein. Manche Geschichten reißt Kaminer an diesem Abend nur an, manche fasst er zusammen, einige trägt er ganz vor. Man hat den Eindruck, er entscheide spontan. „Ich möchte mein Publikum nicht langweilen, deshalb wiederhole ich mich nicht,“ erklärt er im Gespräch.

Autogramme mit Herzen

Vor und nach der Show wie auch in der Pause steht Kaminer lässig Weißwein trinkend im Foyer und widmet sich seinen Fans. Er schreibt Autogramme und Herzen in Bücher und auf Poster, lauscht den Anekdoten der Besucher, beantwortet geduldig eine Frage nach der anderen, posiert für Fotos und nimmt mitunter kleine Geschenke entgegen. Immer sieht man ihn lachen und reden, selbst in der Pause kann er es nicht lassen, im Mittelpunkt zu stehen.

Einige unveröffentlichte Geschichten gibt Wladimir Kaminer an diesem Abend zum Besten. Ende 2020 soll ein neuer Erzählband erscheinen, der sich mit „erwachsenen Kindern und kindischen Erwachsenen“ beschäftigt. „Die junge Generation kann alles, aber will nichts. Die ältere Generation kann eigentlich nichts mehr, will aber alles,“ beschreibt er sein neues Projekt und erzählt dazu gleich die Geschichte seiner 88-jährigen Mutter, die das Smartphone seines Sohnes erbt. Da sie aber nicht damit umgehen kann, wird Kaminer unfreiwillig zum Elternteil seiner eigenen Mutter. Manche Zuschauer können sich kaum halten und prusten laut los. Die restlichen Zuschauer lachen wiederum erheitert über die laut Lachenden und so entsteht eine regelrechte Spirale des Lachens. Nach über zwei Stunden Heiterkeit verlassen die Zuschauer den Saal, erschöpft und zufrieden, als hätten sie an einem Kurs für Lachyoga teilgenommen. 

— Wladimir Kaminer: Liebeserklärungen. Verlag Wunderraum, August 2019. 256 Seiten, Hardcover, 20 Euro.

Magdalena Schmieding

Zur Startseite