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Kultur: Wist, Palent, Sperls, Kirchenmusiker und andere geben kulturelles Renommee

Ein weiterer und letzter Rückblick der PNN-Kulturkritiker auf vielerlei Kunst und Kultur 2008 in der Landeshauptstadt

LITERATUR GANZ

SELBSTVERSTÄNDLICH

Florian Havemann war hier und hat aus seinem tausendseitigen Familiengeschichteaufarbeitungsversuch „Havemann“ gelesen. Über eine Stunde lang. Das war ermüdend und spannend zugleich. Denn das Buch, aus dem Florian Havemann Ende Januar in der Schinkelhalle las, gab es so schon nicht mehr im Handel. In seiner Abrechnung mit seinem Vater Robert Havemann war er auch anderen zu nahe getreten, die das so nicht stehen lassen wollten. Rüdiger Safranski war in der Villa Quandt zu Gast und hat über die „Romantik“ gesprochen, wenig später kam Thomas Karlauf und stellte seine hoch gelobte Stefan-George-Biografie vor. Dann lasen hier noch Jutta Ditfurth, Jan Philipp Reentsma, Bodo Kirchhoff, Andrea Maria Schenkel, Jenny Erpenbeck, Clemens Meyer, Volker Braun, und vor kurzem Uwe Tellkamp. Literatur in Potsdam, das haben die zahlreichen Lesungen auch in diesem Jahr wieder gezeigt, ist eine Selbstverständlichkeit. Das Brandenburgische Literaturbüro, die Stadt- und Landesbibliothek, zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen wie das Einsteinforum, die Urania-Reihe „Im Garten vorgelesen“, sie alle sorgen für ein qualitativ hochwertiges und abwechslungsreiches Lese- und Autorenprogramm in Potsdam. Doch die stärkste und prägendste Initiative in Sachen Lesungen geht hierbei von einem Privatmann aus: Dem Buchhändler Carsten Wist. Unermüdlich sein Engagement, mit dem er bekannte und weniger bekannte Autoren in die Landeshauptstadt holt und dabei oft mit dem Brandenburgischen Literaturbüro und dem Waschhaus e.V. zusammenarbeitet. Auf öffentliche Förderungen für seine Veranstaltungen verzichtet der auf seine Unabhängigkeit bedachte Wist. Auch auf die Gefahr hin, bei manchen Lesungen zuzahlen zu müssen. Es ist die Begeisterung und Leidenschaft, die ihn immer wieder treibt und für Potsdamer die Literatur in dieser Stadt zu einer Selbstverständlichkeit macht. Das wird auch 2009 so sein, denn schon wirft ein Buch seinen Schatten voraus. Potsdamer erster und bisher einziger Stadtschreiber, Andreas Maier, veröffentlicht Anfang Januar einen neuen Roman. Der Titel „Sanssouci“ verrät, dass es um diese Stadt gehen wird. Wir dürfen gespannt bleiben.Dirk Becker

MUSICA SERENISSIMA

Warum in die Ferne schweifen, gar nach Venedig reisen? Als Reiseverführer der besonderen Art erwiesen sich erneut die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Mit einem vielseitigen Angebot entdeckten sie uns zwei Wochen lang die Schönheiten der musica serenissima. Natürlich auf künstlerisch hochrangigem Niveau. Ein Leckerbissen: die Premiere der Barockoper „La Rosinda“ von Francesco Cavalli. In heutiger Zeit angesiedelt, zeigte sich verwechslungsreiche Opus als spannendes Laboratorium der Gefühle vor. In einem solchen fanden sich auch die Protagonisten von Händels Oper „Alcina“ wieder, die im Rahmen der „Potsdamer Winteroper“ ins Schlosstheater im Neuen Palais lockte. Weitgehend des Zauberischen entkleidet, gab es ein psychologisches Kammerspiel über Liebesverwirrungen zu bestaunen.

In diesem friderizianischen Ambiente fühlten sich auch die „Potsdamer Hofkonzerte“ von Barbara V. Heidenreich wohl, die sich monarchischen Beziehungen zwischen Russland und Preußen im 19. Jahrhundert widmeten. Ihrem Markenzeichen, neben traditioneller Konzertform die Verbindung zu anderen Künsten zu suchen, blieb sie dabei treu.

Erneut gab die musica sacra dem Musikleben der Stadt starke Impulse. Die Nikolaikirche mit den Bachtagen unter Björn O. Wiedes Leitung, die Erlöserkirche mit Auftritten des Neuen Kammerorchesters und der Potsdamer Kantorei unter Ud Joffe (die auch der thematisch geprägten „Vocalise 2008“ zu großem Erfolg verhalf) sowie die touristenattraktive Friedenskirche mit chorsinfonischen Angeboten des von Matthias Jacob geleiteten Oratorienchors, der besinnlichen „Dornenzeit“ und entspannenden „Sommermusiken“ wetteiferten um die Gunst der Liebhaber und Kenner. Die fanden sich, zahlenzunehmend, beim renommierten Internationalen Orgelsommer in beiden zuletzt genannten Gotteshäusern ein. Attraktives hatte wie stets der Nikolaisaal im Klassik-Angebot, dessen Sinfoniezyklus zu gleichen Teilen vom Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt und der Kammerakademie Potsdam unter gleichgroßer Publikumsresonanz gespielt wurde. Große Verbeugung vorm Team um Musenchefin Andrea Palent. Peter Buske

WEICHENSTELLUNGEN

Potsdam trägt nicht zu Unrecht das Attribut kinderfreundliche Stadt. Doch nicht von den überproportional vielen Einrichtungen der Kinderbetreuung soll hier die Rede sein. Sondern von den vielfältigen kulturellen Angeboten, die die Landeshauptstadt auch im vergangenen Jahr wieder für die Altersgruppen von 3 bis 14 Jahren bereit hielt: Ballett- und Theateraufführungen, unzählige Angebote zur Musikerziehung, großartige Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit der Bildenden oder der zirzensischen Kunst.

Gleich zu Beginn des Jahres lud beispielsweise das T-Werk zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Armut und zur 4. Märchennacht ein. Letztere mit erneutem Besucherrekord, die anderen Veranstaltungen mit spannenden Diskussionen zu einem gesellschaftlich relevanten Thema. Anstöße geben, sich einmischen und wichtige Themen kind- und jugendgerecht aufzubereiten, hat sich auch das Junge Theater des HOT auf seine Fahnen geschrieben. Im September ging der künstlerische Leiter des Jungen Theaters Andreas Steudtner an die Öffentlichkeit. Der designierte Intendant des Hans Otto Theaters, Tobias Wellemeyer hatte angekündigt, das Kinder- und Jugendtheater wieder direkt ins „große“ Haus zu integrieren, um so vor allem einer Separierung – hier die Erwachsenen, dort die Kinder – entgegenzuwirken. Dieser Ansatz ist plausibel und wird auch bundesweit so praktiziert. Allerdings gibt es in Potsdam seit zehn Jahren explizit „junges“ Theater, sind hier Strukturen und Orte gewachsen und etabliert. Und in Anbetracht der Tatsache, dass 2008 wichtige Flagschiffe der Jugendkultur in Potsdam gleich reihenweise „kenterten“, muss so eine wichtige Weichenstellung auch kritisch betrachtet werden.

Denn während die künstlerischen Angebote für Kinder aller Altersgruppen dieses Jahr wieder prächtige Blüten, wie im Ballettstudio Erxleben oder im Zirkus Montellino trieben - oftmals unter totaler „Ausschöpfung“ personeller Ressourcen und der freiwilligen Mithilfe von Eltern - scheinen die Freiräume für Jugendliche immer mehr zu schrumpfen. Es ist also für das kommende Jahr durchaus angezeigt, diese Entwicklung genauestens zu beobachten und vielleicht auch mal rechts und links des eigenen Weges zu gucken. Denn integrative Ansätze wie im Offenen Kunstverein oder in der Kunstschule Potsdam praktiziert, bringen Kinder und Jugendliche und Erwachsene und Senioren in gemeinsamen Theater- und Ausstellungsprojekten zusammen. Wenigstens zeitweise. Denn sobald Kinder flügge werden, brauchen sie Freiräume und wollen sich unbedingt ohne Erwachsene selbst erproben.

Astrid Priebs-Tröger

VIELERLEI KUNST– BESCHAULICH Beschaulich, aber meistens gut, so könnte man das Angebot der Galerien und Museen der Landeshauptstadt im vergehenden Jahr nennen. Mit den von Erik Bruinenberg kuratierten "Dennis Oppenheim Weeks" bot der Kunstraum Potsdam den bedeutendsten Namen – und die überregional wichtigste Ausstellung, die ein Zeichen setzen sollte dafür, dass die Schiffbauergasse nun endlich ihre Ausstrahlung gefunden habe. Doch wie das so ist mit Einrichtungen im Land Brandenburg, da werden sie feierlich mit bedeutsamen Worten und großem Buffet eingeweiht, und kurz darauf steht ihre Existenz zur Debatte. Aber immerhin hatten wir Oppenheim auch persönlich hier, und darauf waren alle stolz. Schade, dass seine Installation „alternative Zukunftslandschaft“ abgebaut wurde. Die Bäume mit den Einkaufskörben, die um das Dorfensemble aus Wegwerfutensilien herum standen, könnten immer noch den Weg - zumindest an der Kunst vorbei - weisen, den Potsdam immer wieder gerne geht. Armando, der 78jährige holländische Künstler von Weltrang, ehrte die Stadt mit einem Atelieraufenthalt im Kunsthaus Potsdam. Seine Ergebnisse werden im Frühjahr zu sehen sein. Vorbei ist die Zeit der Galerie Sperl im Holländischen Viertel – und noch ist nicht absehbar, wann die Sperls die Innenstadt wieder mit ihren Schauen beleben werden. Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte übernahm mit der sehenswerten Ausstellung des Lebenswerks von Ronald Paris eine Aufgabe, die eigentlich von einer Landeskunsthalle erfüllt werden sollten - und das Alte Rathaus mauserte sich mit den Ausstellungen „zur Sache“, die drei aktuelle weibliche Kunstpositionen nebeneinander stellte, und der Günther-Jahn-Exposition zu einem Vermittler in Sachen bemerkenswerter Malerei. Wie es in 2009 in der alten Potsdamer Mitte mit der Präsentation von Kunst in neuer Organisationsform weitergeht, erwarten viele gespannt. Fotografie spielte eine große Rolle im Potsdamer Kunstspektrum - mit Göran Gnaudschun zeigt der Kunstraum nach seiner Rettung nun über den Jahreswechsel eine der interessantesten aktuellen Positionen. Gnaudschun bezieht sich bei seinen Porträtarbeiten auf Formen aus der Renaissance und arbeitet sich mit diesem Blick zurück ziemlich weit nach vorne. Das KunstHaus Potsdam präsentierte mit den Märkischen Landschaften von Ulrich Baer eine symptomatisch erscheinende Abkehr vom Politischen – doch die ist nur vordergründig. Viele kleine Galerien haben sich um das Holländische Viertel herum gruppiert, was bei der Kunstgenusstour einen durchaus lebendigen und ansprechenden Eindruck machte. So war es denn ein vielfältig gestaltetes, inzwischen schon altes Kunstjahr, und man kann gespannt sein, ob die Galerien und Museen zwanzig Jahre nach dem Mauerfall und eines nach dem kapitalistischen Desaster dann auch wieder politiischer werden. Lore Bardens

Dirk BeckerD

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