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Sind so viele Körper. Die sorgen für archaische Bilder in Lia Rodrigues’ „Pindorama“.

© fabrik

Kultur: Wir Zuschauer

Die brasilianische Companhia de Danças begeisterte mit „Pindorama“ in der Schinkelhalle

Es gibt Bilder, die sich ins Gedächtnis einbrennen. Die brasilianische Choreografin Lia Rodrigues, die am Donnerstagabend mit ihrem Stück „Pindorama“ bei den 24. Potsdamer Tanztagen zu Gast war, kann solche Bilder kreieren. Weil sie mit wenigen, aber ausdrucksstarken Requisiten und ihren exzellenten Tänzerinnen und Tänzern einen Kosmos erschafft, der über die konkrete Aussage hinaus allgemein Gültiges erzählt und dabei die großen Menschheitsfragen berührt.

Anfangs war man ein wenig verunsichert, als man die leere und abgedunkelte Schinkelhalle betrat. Zwei Längsreihen weißer zusammengefalteter Handtücher unterteilten den Raum in drei Segmente, die jedoch nicht erkennen ließen, wo der Bühnen- und, wo der Zuschauerraum war. Dieses Prinzip durchzog den dreiteiligen Abend. Und kaum hatte sich das Publikum mittig gruppiert, wurde es durch acht Tänzer, die eine riesige Plastikplane entrollten, an die beiden Längsseiten verdrängt.

Dort konnte es verfolgen, wie sich die Plane in einen glitzernden Fluss verwandelte, der gemächlich dahinfloss. Diese Illusion des Lebendigen verstärkte sich, als eine nackte, dunkelhäutige junge Frau in diesen Strom stieg – was für ein archaisches und friedvolles Bild. So könnte es gewesen sein, als Brasilien in der Sprache seiner Ureinwohner noch „Pindorama“ hieß. Und selbst als sich der Fluss zum reißenden Strom entwickelt und dieses winzige Menschenwesen nur mit Not den Urgewalten trotzt, hat man das Gefühl, dass sich beide im Einklang befinden.

Das ändert sich schlagartig, als im zweiten Teil des Abends dieselbe überdimensionierte Plastikplane zum Mittel der Einhegung wird. Fünf ebenfalls nackte Tänzer steigen in den scheinbar gleichen „Fluss“ und werden durch die bekleideten Menschen an beiden Enden der Plane in ihrem Lebensraum willkürlich und erheblich eingeschränkt. Es schmerzt, zu sehen, wie diese perfekt organisierten Herrschenden an den Enden der Plane die unorganisierten Wilden dominieren und diese schließlich, eingeschlagen in die Plastikfolie, auf dem Müll der Geschichte landen.

Doch Lia Rodrigues wäre nicht sie selbst, wenn sie dabei stehen bleiben würde. Im dritten Teil ihrer Inszenierung werden kleine Gewässer – gefüllte durchsichtige Luftballons – über den gesamten Raum verteilt. Das Publikum ist nun unwiderruflich mittendrin, und alle elf Tänzer der Compagnie bewegen sich nackt und am Boden liegend in alle Richtungen. Es ist nahezu unmöglich, da nicht einbezogen zu sein. Und doch geschieht es. Denn die Zuschauer – man ist im Theater und das ist die Vereinbarung – schauen zu. Das ist atemberaubend, angesichts des Überlebenskampfes, den die anderen führen.

Es ist kaum auszuhalten, wie am Ende alle nackten Gestalten auf einem Haufen liegend von den Betrachtern umstanden werden. Und so verwundert es nicht, dass die darauf folgende Stille und Dunkelheit viel zu schnell durch Applaus vertrieben werden soll. Was für ein Akt, als die mit Bademänteln bekleideten Tänzer sich danach den Raum wieder ganz erobern. Minutenlanger Beifall und Bravorufe für die grandiosen Tänzer und eine Botschaft, die auch in Potsdam anzukommen schien.

Die Potsdamer Tanztage finden noch bis zum 1. Juni in der „fabrik“, Schiffbauergasse 10, statt. Das Programm finden Sie unter www.fabrikpotsdam.de

Astrid Priebs-Tröger

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