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Kultur: „Wir wollen Preußen neu diskutieren“

Kurt Winkler, Direktor des HBPG, spricht über die für 2020 geplante neue Dauerausstellung. Sie soll sich von Potsdam entfernen, ins Land weisen und zeigen, dass das Militärische nicht nur böse ist – mit Fontane als Guide

Herr Winkler, der rote Adler Brandenburgs liegt am Boden, die Lederjacke eines Punks aus DDR-Zeiten ist in Folie verpackt, die Büste Friedrichs in einer Kiste verschwunden. Wie geht es Ihnen, wenn sich jetzt Stück für Stück Ihre Dauerausstellung, die 15 Jahre währte, in Luft auflöst?

Das sind gemischte Gefühle. Es gibt die schöne Gedichtzeile „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Auch dem Ende wohnt ein Zauber inne, wenn man die Objekte nochmals betrachtet und wenn jedes Stück vor der Rückgabe sorgfältig protokolliert wird. Manche Dinge bekommen eine gewisse Unmittelbarkeit, wenn sie aus den Vitrinen genommen werden. Das ist ein Effekt, der viel über die Institution Museum aussagt. Und dann ist da auch gleichzeitig Dankbarkeit gegenüber unseren Leihgebern.

Jetzt geht alles wieder an sie zurück?

Ja, natürlich. Wir sind ja kein Museum mit Sammlungsbestand, sondern ein Ausstellungshaus. Es gibt nur wenige, aber kostbare Objekte, die im Laufe der Jahre durch unseren Förderverein erworben wurden, und die wir in zwei Jahren in die neue Überblickausstellung wieder integrieren werden.

Welche zum Beispiel?

Das ist unter anderem eine eindrucksvolle Marmorbüste Friedrichs II. von Joseph Uphues, die einst in der „Puppenallee“, der Siegesallee im Berliner Tiergarten stand. 1901 von Kaiser Wilhelm II. beauftragt und eingeweiht, nahmen dort alle Landesfürsten Aufstellung, um in Hohenzollernscher Propagandamanier ihre Taten zu verewigen. Eine weitere Kostbarkeit ist eine friderizianische Offizierspistole, eine Reiterpistole aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert, die bei uns für die besondere Rolle des Militärs in Preußen steht.

Was ist der Grund für die neue Dauerausstellung? Die alte gilt mit einer halben Million Besuchern, darunter 70 000 Schüler, ja durchaus als erfolgreich. Ist die Zeit der Vitrinen vorbei?

Der Grund ist, dass es neue Blicke auf die Geschichte gibt. Als die Ausstellung damals konzipiert wurde, hat man sich stark auf die Alltagskultur konzentriert. Deswegen hieß sie auch „Land und Leute. Geschichten aus Brandenburg-Preußen“. Potsdam spielte dabei eine zentrale Rolle. Heute sind wir in einer neuen Situation. Potsdam hat sich stark verändert. Es gibt das Potsdam Museum, das sich neu aufgestellt hat, und die historische Mitte ist weitgehend rekonstruiert. In der Neukonzeption gewichten wir nun stärker die großen, identitätsprägenden Fragen der Landesgeschichte.

Die Alltagskultur spielt keine Rolle mehr?

Die Alltagskultur wird in dem Kapitel zum 20. Jahrhundert dominieren. Davor geht es uns um eine deutlichere politische und kulturhistorische Akzentsetzung. Auch mit einem stärkeren Fokus auf das Preußische.

Kam das Preußische bislang zu kurz?

Ja. Bei der Enge des Raumes wurde Preußen in aller Knappheit, fast ein wenig verschämt, dargestellt. Künftig beschäftigt uns unter anderem das Preußische in der Landesgeschichte, also Brandenburg als Kernland Preußens. Aber Preußen ist mehr: Es ist bis heute geradezu ein Reizthema, allein wenn man an die Garnisonkirche denkt. Wir wollen uns um diese Kontroversen nicht herumdrücken und zu einem differenzierteren Bild beitragen, frei von Polemik. Preußen ist vielfältig. Es ist auch das Land, das als erstes die Kinderarbeit abgeschafft und die Schulpflicht eingeführt hat.

Und Preußens Militarismus?

Die Reduzierung auf das Militär ist eingleisig. Wir wollen Preußen als modernen Staat zeigen, in dem auch das Militär nicht nur für „Militarismus“ steht – wie aus heutiger Sicht manchmal vereinfacht wird – sondern auch Progressives hervorbringt. Moderne Verwaltung, die beginnende Industrie, die Landesvermessung, das Ingenieurwesen, alles war in Preußen seit dem 18. Jahrhundert stark militärisch geprägt, aber auch eng mit der Aufklärung verknüpft. Vieles kann man heute mit Offenheit und Differenziertheit diskutieren. Das ist eine Chance für die neue Ausstellung. Gerade die Kontroverse um die Garnisonkirche hier in Potsdam zeigt doch, dass die Zivilgesellschaft Geschichte nicht als etwas Verstaubtes begreift, sondern als Bezugspunkt einer ganz aktuellen und bei allem Streit auch identitätsstiftenden Debatte. Hier sehe ich den Ansatzpunkt unserer künftigen Präsentation.

Gibt es weitere Akzentverschiebungen?

Neben der technischen Erneuerung wollen wir stärker als Schaufenster ins Land hinein leuchten. Die Reise in die Geschichte ist auch eine Reise ins Land. Schlüsselereignisse beziehen wir auf konkrete Orte.

Also von Potsdam weg hinein ins Land?

Wir leisten einen wichtigen Beitrag für das Kulturleben in der Landeshauptstadt. Das gilt übrigens ebenso für Kulturland Brandenburg, mit dem wir seit 2014 unter einer gemeinsamen Dachgesellschaft verbunden sind. Potsdam wird auch in der neuen Ausstellung eine wichtige Rolle spielen, aber unter dem Blickpunkt der preußischen Residenz, nicht dem der Stadtgeschichte.

Viele kleine Orte in Brandenburg haben inzwischen ja selbst attraktive Museen.

Es ist ein starkes Motiv, auf diese Museen, Gedenkstätten und Baudenkmale hinzuweisen, in denen sich in den vergangenen 25 Jahren viel getan hat. Dieses kulturtouristische Moment ist uns ein großes Anliegen. Die Kulturtouristen haben oft andere Interessen als den Massentourismus. Sie wollen Orte und Geschichten entdecken, die vielleicht nicht im Fokus einer japanischen Busreisegruppe stehen. Es gibt Kulturtouristen, die sich beispielsweise für die Lagerlandschaft, also den Besuch von Konzentrationslagern interessieren. Oder die Industriekultur spannend finden. Brandenburg assoziiert man ja zumeist vordergründig mit Bildern von märkischen Seen, Rad- und Kanufahrten. Aber wir haben auch Industriedenkmäler wie den Finowkanal oder die Brikettfabrik Louise in der Lausitz. Wir haben Zeugnisse der expressionistischen Architektur des 20. Jahrhunderts wie die Hutfabrik in Luckenwalde und des Neuen Bauens, wie die ADGB-Bundesschule Bernau. Es gibt so vieles zu entdecken, jenseits der Klischees.

Wie kriegt man das auf 800 Quadratmetern hin?

Ja, wie kann man das an etwa 150 Exponaten erzählen? Das ist die Herausforderung. Wir arbeiten nicht nur medial, sondern auch objekthaft, also auch „in Vitrinen“, weil es für Besucher faszinierend ist, Geschichte an Originalen zu erfahren.

Was sagt uns beispielsweise die Reiterpistole, die wieder zu sehen sein wird?

Sie erzählt nicht nur über die Art und Weise, wie man Krieg geführt hat, sondern auch davon, wie man seinen Status präsentierte. Und wo die Waffe hergestellt wurde, wer sie produzierte, welches Wissen und Können da einfloss. So ist die Idee: Wir wollen unsere Gäste ermutigen und ermächtigen, Werke und Dokumente „lesen zu lernen“.

Dazu gehört eine mitreißende Erzählweise. Welche Überlegungen gibt es da?

Wir denken etwa an Fontane als Kronzeugen und „Cicerone“. Er lebte ja in der Zeit, als Berlin zur Metropole wurde und die Industrialisierung begann. Von da aus blickt er zurück. Indem er die „Wanderungen“ schreibt, erschafft er Brandenburg als Kulturlandschaft. Er reist durchs Land, spricht mit vielen Menschen, besucht Archive, kopiert aus Kirchenchroniken, sammelt Anekdoten und aus all dem erschafft er ein konsistentes Bild des historischen Brandenburgs, das bis heute wahrnehmungsprägend, ja ein stückweit auch identitätsprägend ist. In den Formen seiner Zeit hat er ein modernes Museumskonzept vorweggenommen.

Wie stelle ich mir diesen Fontane als Ausstellungsführer vor?

Nicht, indem wir jemanden verkleiden. Es gibt stattdessen einen Mediaguide, der sich aus Fontanetexten speist. Wenn man zum Beispiel in den Ausstellungsbereich über die märkische Adelskultur gehen wird, zeigen wir dort Porträts aus dem 18. Jahrhundert, die aus einer Patronatsloge stammen. Und dazu gibt es einen eingesprochenen Text Fontanes, der die zugehörige Kirche im Brandenburgischen beschreibt. Unsere Besucher bewegen sich auf den Spuren Fontanes, um die Geschichte Brandenburgs zu erkunden.

Gibt es noch weitere Guides?

Was Fontane sagt, ist ja immer Interpretation und nicht heutiger Wissenstand. Daher wird die Besucherführung auch die wissenschaftliche Debatte auf unterhaltsame Weise widerspiegeln, etwa durch kurze Statements von Experten. Ich kann mir auch einen Kinderguide vorstellen, mit dem wir gute Erfahrungen gemacht haben. Und dann wird es Angebote in leichter Sprache geben: für Menschen mit Handicap.

Und wie arbeiten Sie außerdem mit den neuen Medien?

Wir stellen uns Informationsinseln zur Vertiefung vor. Ein Beispiel: Wenn wir etwa über die Rolle der Aufklärung in Preußen sprechen, dann denke ich an das Museum Schloss Reckahn, Wirkungsstätte von Friedrich Eberhard von Rochow, einer der wichtigsten Männer der Agraraufklärung. Er bringt 1776 den „Kinderfreund“ heraus, die erste Lesefibel, und gründet eine Modellschule. Die Dorfkinder hatten Schulpflicht. Die Bauernkinder sollten etwas lernen, weil man zu dieser Zeit anfängt, modernen Fruchtwechsel einzuführen, um den Bodenertrag zu steigern. Dazu braucht es Bildung. Eine kleine, unbekannte Gutswirtschaft wie Reckahn wird plötzlich Anlaufzentrum für Berliner, die deutsche, die europäische Aufklärung. An solchen Geschichten kann man viel über die Kulturgeschichte Brandenburgs erzählen. Und an der Medienstation könnten wir ein Interview mit der großartigen Museumsleiterin einspielen und über unsere digitalen Angebote in ein Online-Portal zur Brandenburger Geschichte einstellen.

Und einen Bogen ins Jetzt schlagen?

Ja, denn auch wenn die Geschichten alt scheinen, sind unsere Fragen doch ganz brisant: Wie steht es denn heute in den ländlichen Regionen Brandenburgs um den Zugang zu Kultur und Bildung? Wie drehen wir die Landflucht um ? Über den Einsatz digitaler Medien gibt es für Ausstellungshäuser ganz neue Zugriffe, gerade im Sinn der Aktualisierung und Partizipation.

Das Interview führte Heidi Jäger

Dr. Kurt Winkler,

geboren 1956 in Kelheim in Bayern, studierte Kunstgeschichte und Philosophie in Würzburg und an der FU Berlin. Seit 2008 ist er Direktor des HBPG.

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