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Das Lukretia-Gemälde von Artemisia Gentileschi, das einst im Neuen Palais hing.

© Wolfgang Pfauder

Winteroper in Potsdam: „Es ist seit tausend Jahren das Gleiche“

Die Winteroper kommt nach acht Jahren zurück ins Schlosstheater: Mit „The Rape of Lucretia“, einer Geschichte der Gewalt. Inszeniert von Isabel Ostermann.

Potsdam - Ein Kreis schließt sich. 2013 hat die Regisseurin Isabel Ostermann im Schlosstheater mit „Peters Hochzeit“ für den Kehraus gesorgt – und jetzt, acht Jahre später, sorgt sie für den musikalischen Wiedereinstieg. Dazwischen lagen sieben Jahre Restaurierung im Neuen Palais und ein Jahr Pandemie. Sieben Mal wurde die Winteroper in der Friedenskirche gespielt, beim achten sollte der Ort, für den die Winteroper ursprünglich konzipiert worden war, feierlich wiedereröffnet werden – stattdessen fiel sie aus. Die Neueröffnung des Schlosstheaters bestritt das Poetenpack, mit Goethes „Faust“.

Heute aber wird es nun endlich ernst – in doppeltem Sinn. Gegeben wird, wie schon für das letzte Jahr geplant, „The Rape of Lucretia“ von Benjamin Britten. Die Oper aus dem Jahr 1946 nimmt die antike Geschichte um Lucretia auf, römische Bürgerin und Ehefrau eines Generals. Die Handlung ist in der Zeit um 500 vor Christus angesiedelt: Rom wird durch den den Etruskerkönig Tarquinius Superbus belagert, ein Tyrann. Lucretia wird zum Spielball männlicher Lust und Machtdemonstration – und letztlich zum Auslöser einer Revolte gegen etruskische Tyrannei. Auf dem Weg dahin muss sie sterben. Aus Scham über die Gewalt, die ihr angetan wurde, nimmt sie sich das Leben.

Eine wehrlose Frau auf dem Bett: reine Männerphantasie?

Diese bittere, blutige Pointe ist vielfach in der Kunstgeschichte dargestellt worden. Eine Frau, „entehrt“, liegt hingestreckt auf ihrem Bett, vielleicht wehrt sie sich noch, vielleicht hat sie auch schon Hand an sich gelegt. Sicherlich ist sie nackt. Reine Männerphantasie? Auch Artemisia Gentileschi (1593–1654) hat das Lucretia-Motiv immer wieder gemalt. Eines dieser Gemälde hing hier, unweit des Schlosstheaters, im Neuen Palais: Friedrich II. hatte es vor der Tür des Kronprinzen anbringen lassen. Als Warnung, wie kolportiert wird: vor sittlichem Verfall.

Die römische Malerin Artemisia Gentileschi ist selbst vergewaltigt worden, von einem ihrer Lehrer. Auf dem Potsdamer Gemälde, heute im Besitz der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, zeigt sie eine Lucretia, die sich wehrt. Noch unversehrt. Der Dolch schwebt über ihr, noch hat ihn der Mann in der Hand, der sich an ihr vergehen wird.

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Regisseurin Isabel Ostermann hat sich mit der Geschichte der Malerin beschäftigt und herausgefunden, wie das damals weiterging mit Artemisia Gentileschi. 1612 gab es, was nicht unbedingt üblich war, einen Prozess. Ein Familientribunal: Darin traten ihr Vater und ihr Ehemann als Richter auf. Der Täter aber ging als freier Mann aus der Sache hervor. Artemisia Gentileschi verfolgte das Thema jahrzehntelang. 

Gerechtigkeit ist selten, vor allem für Frauen

Ihre Bilder zeigen es. „Es ist seit tausend Jahren das Gleiche“, sagt Isabel Ostermann. „Ob nun in der Antike, 1612 oder heute.“ Gerechtigkeit ist selten, vor allem für Frauen. In ihrer Inszenierung wird sie Teile des Gemäldes zeigen – und sie wird aus den Dokumenten zitieren, die von dem Prozess überliefert sind. „Es liest sich, als wäre es heute geschrieben.“ Eine Frau muss sich und ihr Trauma vor einem Gericht auseinandernehmen lassen. Der Täter darf schweigen.

Für Isabel Ostermann, Jahrgang 1975, hat sich einiges geändert, seitdem sie das letzte Mal in Potsdam inszenierte. 2013 war sie noch an der Staatsoper Unter den Linden engagiert, wo sie bis 2017 persönliche Referentin des Intendanten Jürgen Flimm war und auch Projekte realisieren konnte. 2021 aber kommt sie als Operndirektorin des Staatstheaters Braunschweig hierher. Und als Mutter einer kleinen Tochter, sie ist erst zwei. 

Zwei andere Kinder hat Isabel Ostermann schon, die sind bereits erwachsen. Als sie die Älteren aufzog, allein, war das Kinderhaben noch etwas, was man am Theater lieber versteckte, sagt sie. Proben bis 23 Uhr waren normal, Verständnis für Menschen, die es anders wollten, gab es nicht. Sie lebte damals in München, Ganztagsbetreuung gab es nicht. „Mein Kindermädchen verdiente teilweise mehr als ich.“ Selbstausbeutung? „Oh ja!“ Wer schlappmachte, handelte sich Rügen ein.

Isabel Ostermann kommt vom Staatstheater Braunschweig.
Isabel Ostermann kommt vom Staatstheater Braunschweig.

© promo

Frauen und Theater, das geht

Das war damals. Heute geht sie in die Offensive, will den Jüngeren zeigen: Frauen und Theater, das geht. Ihre Braunschweiger Intendantin hat selbst ein autistisches Kind, setzt zeitlich klare Grenzen. Und ist dafür, wenn sie da ist, doppelt so strukturiert. „Doch, da hat sich viel getan.“ 

Dass Isabel Ostermann jetzt „The Rape of Lucretia“ inszeniert, liegt an den Musiker:innen der Kammerakademie Potsdam: Es war deren ausdrücklicher Wunsch. Das freut Ostermann, wie auch die Wiederbegegnung mit der Schmuckschatulle, die das Schlosstheater ist. Auch wenn das Haus es der Regie nicht unbedingt einfach macht, hier technisch nicht so viel geht wie an moderneren Häusern. Kein Schnee, kein Regen. „Da muss man sich etwas anderes einfallen lassen.“

Dafür sei die Besetzung mit Caspar Singh, Kate Royal und Caitlin Hulcup „Weltklasse“, und nur aus Muttersprachler:innen zusammengesetzt. Brittens Oper ist ja eigentlich ein Lehrstück in der Tradition Brechts, sagt sie: Der blutigen Geschichte um Lucretia hat er zwei Erzähler-Figuren zurseite gestellt, die das Geschehen kommentieren. Die zeigen, dass manche Dinge eben heute doch noch nicht anders sind als vor tausend Jahren.

Premiere am Freitagabend um 19 Uhr, wieder am 13.11. um 19 Uhr sowie am 14.11. um 16 Uhr

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