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Fast nackt. In „Prismar“ trifft ein FKK-Verein auf Flüchtlinge.

© Anne Heinlein/promo

"Wildwuchs"-Festival am Hans Otto Theater: Abgesang auf das schlaffe Geschlecht

Beim „Wildwuchs“-Festival für junge Dramatik, das vom Potsdamer Hans Otto Theater zusammen mit der Berliner Universität der Künste veranstaltet wird, sind Männer dramatisch nutzlos.

Potsdam - Die Männer kommen ganz schlecht weg. Ob sie nun der Realität abgeschaut sind – wie ein winselnder, arachnophober Markus Pretzell, der für AfD-Politikerin Frauke Petry nicht mehr ist als ein nervender Kofferträger – oder frei erfunden. Sie sind zweifelnde, brabbelnde, zaghafte Schluffis, die nicht einmal mehr ihre ureigenste Rollenerwartung erfüllen: die Lust auf Sex. Selbst die haben ihnen die Frauen abgenommen – und verzweifeln jetzt an diesen Würstchen, die ihnen zur Auswahl stehen.

So weit sind die drei jungen Dramatiker, die am Samstagabend ihre Texte zusammen mit Schauspielstudierenden der Berliner Universität der Künste (UdK) und Schauspielern des Hans Otto Theaters im Rahmen des „Wildwuchs“-Festivals für junge Dramatik in der Reithalle dem ersten Theatertest unterziehen. Interessant dabei: Abgesehen vom ersten Stück, „Prismar“, das von einem Autoren-Team geschrieben wurde, sind die Urheber dieser Männerrollen: Männer.

Die Autoren – Rinus Silzle, Lars Werner sowie Malte Abraham, Svenja Bungarten, Yade Önder, Sophia Hembeck und Franziska vom Heede – sind außerdem: unglaublich witzig. Alle drei Stücke sind treffende Satire auf unsere Gegenwart, oft unerwartet komisch und dabei so gut wie niemals flach.

Humor schafft Distanz

Man kann natürlich sagen: Mit Witz halten sie sich den Ernst der Dinge vom Leib, sie lassen die Stoffe nicht nah genug an sich und damit an die Zuschauer heran. Humor schafft Distanz – zur Bitternis der Verhältnisse. Und es stimmt. Man geht nicht aufgewühlt, umgestülpt, erschüttert in allen Gewissheiten nach Hause. Aber erheitert und ein bisschen nachdenklich zugleich.

Und dann ist es ja trotzdem so, dass lustig sein ziemlich schwer ist. Zumal, wenn es pikant wird wie in „Prismar“, dem Stück vom Autorenteam Abraham, Bungarten, Önder, Hembeck und vom Heede, das sich zusätzlich einer speziellen Herausforderung stellen musste: Thema sollte das Grundgesetz sein. Dieser spröde Text, in dem zwar unser ganzes Selbstverständnis, ja irgendwie unsere Identität steckt, das aber zugleich so undramatisch und steif daherkommt. Ein Text, den viele von uns selbst kaum kennen, zu dem sich aber auch all jene bekennen müssen, die zu uns kommen.

Ein nacktes Willkommensfest

Genau davon handelt „Prismar“, ohne – und das ist ein intelligenter Dreh – die Flüchtlingsfrage direkt zu thematisieren. „Prismar“ ist ein fiktiver Ort in Mecklenburg, der 40 Geflüchtete in einer alten Hotelvilla unterbringen soll. Gespiegelt und gespielt werden die Ereignisse aber im örtlichen FKK-Club, der zunächst gar nichts gegen die neuen Nachbarn hat. Ein Willkommensfest, finden Erna und die anderen – allesamt in grotesk-großartigen Nackt-Kostümen, fleischfarbenen Anzügen, die mit brutal vergrößerten Penissen, Brüsten und nach außen gestülpten Vulvas behängt sind – wäre doch schön. Aber natürlich nackt, so steht es ja im Vereinsstatut. Außerdem ist es „mein Grundrecht, nackt zu sein“, so Erna. Ihnen dämmert: So kommen sie mit den muslimischen Neuankömmlingen natürlich nicht zusammen. Dann reist auch noch Frauke Petry – mit Pretzell im Schlepptau – an, um den Fall für sich und die AfD zu instrumentalisieren. Der FKK-Verein zerlegt sich derweil weniger über die politische Frage als – wie in deutschen Vereinen üblich – über persönliche Befindlichkeiten und Eifersüchteleien.

Und trotzdem wird das Grundgesetz in seiner ganzen Wucht hier durchdekliniert, schon im Vorspiel, in dem zwei Zwölfjährige seinen ganzen Hintergrund sichtbar machen. Die beiden namenlosen Schwestern sind die Nachfahren eines lokalen Helden, ein Maler, dem ein pensionierter Lehrer ein Museum widmen will. „Was wusste er über den Krieg?“, fragen die Schülerinnen. Sie selbst kannten den Großvater nicht, konnten ihn nichts mehr fragen, bemerken aber: „Im Bus habe ich Angst vor einem, der türkisch aussieht.“ Haben sie das von ihm? Ein Nazi-Gen, das sich nicht auslöschen lässt? Die Reaktion des reaktionären Lehrers ist eine typische: „Das können wir ausschließen, dass er ein Nazi war!“, brüllt er: „Sehen Sie sich doch seine Bilder an!“ Leugnen, Abwehr: Grundmuster, die das Grundgesetz zum Glück abfedert.

„Die Banane passt einfach nicht in diese spezielle Box, falscher Krümmungsgrad“

Rinus Sille lässt in seinem Stück „Feige und Bananenbox“ den politischen Part weg, er liefert eine präzise Beobachtung des Zwischenmenschlichen. Es ist ein Schulhof-Stück für Erwachsene. Die Mädchen sind hier nämlich die eigentlich Weisen, Erwachsenen. Die Jungs: verzagt, sanft – und lustlos, dozierend (Jonas Götzinger) oder zuckend im Technorausch (hinreißend: Eddie Irle). Beide widersetzen sich der Verführung, kein Argument ist ihnen zu dumm: „Die Banane passt einfach nicht in diese spezielle Box, falscher Krümmungsgrad“, windet sich Götzinger, als ihn seine Freundin (Luise Aschenbrenner) mit Witz und Charme umwirbt.

In Lars Werners Stück „Ankommen – Umfallen“ lässt Andrea (Gro Swantje Kohlhof) ihren Mann und dessen besten Kumpel beim Besuch in Südfrankreich wie Clowns aussehen: eifersüchtig, engherzig, ehrversessen und nicht mal in der Lage, ein Auto zu fahren. Werner zeigt die Rivalität der Endzwanziger als böse Satire. Denn dass nicht nur Lieben, sondern auch beste Freundschaften an verschiedenen Ideen von einem gelungenen Leben zerbrechen, hat wohl jeder in der ein oder anderen Form erlebt. Das allerdings wäre immerhin zu ertragen. Vor allem mit dem Humor, den die jungen Dramatiker mitbringen. Dass ihre Männer so sexfeindlich, lustlos und lebenslahm sind, ist eigentlich ein tiefes, echtes Drama. 

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