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Wieland Förster: „Kunst braucht Leidensfähigkeit“

Der Bildhauer Wieland Förster ging als Jugendlicher durch die Hölle. Nun durchquert er sie schreibend erneut. Ein Besuch.

Wie lebt ein Mensch, der als 16-Jähriger durch die Hölle ging und sie 88-jährig schreibend noch einmal durchquert? Woher nimmt dieser Mann, der 1950 das sowjetische Speziallager Bautzen mit halber Lunge und die DDR-Willkür mit schwerkrankem Herzen überstand, seine Kraft? Bevor am morgigen Sonntag in der Villa Quandt Wieland Försters neues Buch „Tamaschito“ vorgestellt wird, wollen wir mit diesem Künstler, einem der größten seiner Zunft in Europa, ins Gespräch kommen. Mit diesem Unbeugsamen, der für Potsdam die „Nike ’89“ an der Glienicker Brücke und „Das Opfer“ in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 schuf. Körperlandschaften, in deren Haut sich Leid und Hoffnung tief eingegraben haben.

Nur zögerlich stimmt Wieland Förster einer Begegnung zu. Sein Arzt habe ihm Besuchsverbot auferlegt. Wegen der Ansteckungsgefahr. „Aber wenn Sie nicht erkältet sind, dann kommen Sie!“ Es liegt ihm am Herzen, dass dieser Roman seiner Gefangenschaft bekannt wird. Zwei Jahre hat er Tag für Tag handschriftlich daran gearbeitet. „Diese zwei Jahre des Schreibens waren die glücklichsten.“ Während der Leser immer wieder innehalten muss, um das geschriebene Wort zu ertragen, ist es für Förster die Ernte eines Lebens, in dem Kultur immer Anker war. Seine große Fuge. Bach, dem großen Meister von Rhythmus und Struktur, eiferte er zeitlebens nach.

Die richtige Form für den Inhalt finden, das ist die Schaffensmaxime des gebürtigen Sachsen. Darüber erzählt Wieland Förster nun bei meinem Besuch in Wensickendorf in seinem flachen altersgerechten Doppelhäuschen am Ende eines unbefestigten Weges, flankiert von Bruchwäldern und Schlaglöchern. Der weite Rasen am Haus geht in Felder über. Der Blick aus dem Arbeitszimmer mit dem großen Fenster lässt den Künstler durchatmen. Er sitzt inzwischen im Rollstuhl, hat die Bildhauerei hinter sich lassen müssen. Die Wirbelsäule spielte nicht mehr mit. Seit den 1960er Jahren wohnt er hier draußen, in diesem kleinen Dorf zwischen Oranienburg und Wandlitz, mit seiner Frau und anfangs noch mit Tochter Eva.

Hier baute er einen Stall zu seinem bescheidenen Landsitz aus, um neben der Berliner Wohnung Luft zum Atmen, Platz für die großen Plastiken und etwas Freiraum zu haben. In begrenztem Maße. Oft stand zu DDR-Zeiten ein Trabi vor der Tür mit vier rauchenden Männern darin. Die Stasi. Die ließ auch 300 Schafe auf dem Nachbargrundstück einpferchen, um die Försters mit Gestank und Geblöke zu schikanieren. „Während die Spitzel die Zeit totschlugen, konnte ich hier drinnen gemütlich schreiben.“

Wieland Förster, dem nichts erspart geblieben ist und der die Haft in Bautzen auf 46 Pfund abgemagert verließ, bringt für seine Peiniger sogar ein gewisses Verständnis auf. „Ich scheue mich auch nicht davor, meine Verhörer als Menschen zu sehen. Ich habe versucht, nie einen Gedanken an Hass aufzubauen.“ Und schon sind wir mitten drin in seinem Buch „Tamaschito“: eine Abkürzung für „Tante Marthas Schichttorte“. An diese köstliche Verheißung erinnerte sich einer der ausgezehrten Inhaftierten, kurz bevor er starb und den Mitinsassen als Tamaschito in Erinnerung blieb. „Tamaschito lag erloschen vor Thoms Füßen. Für ihn würde er sich erinnern, ein Leben lang schreiben, das beschloss Thom.“

Thom ist das Alter Ego des Autors Wieland Förster. Und wie in seinen Plastiken, so hat er auch in seinem neuen Buch den Gebrochenen und Widerständlern eine Stimme gegeben, hat ihre Geschichten, ihre Kulturen, ihre Abgründe und Träume romanhaft verdichtet. Zu jeder Figur eine Brücke gebaut. Ohne Rast und ohne Ruh arbeitete er daran. Früher gab es einmal im Jahr noch einen Tagesausflug nach Potsdam mit Picknick am Fahrländer See, um der Tochter willen. Aber das ist längst vorbei. „Ein Künstler muss verrückt sein. Das Halblabsche ist nichts“, sagt seine Frau Angelika, die verständnisvolle herzerfrischende Kunstwissenschaftlerin, die wie ihr Mann aus Dresden stammt, und während des Gesprächs immer mal nach dem Rechten schaut.

Wieland Förster ist 1958 gern aus dem spießigen Stehkragen-Dresden, dem das Proletariat fehle, weggegangen. Er wuchs an der Elbe auf, dem geliebten Fluss seiner Kindheit. Bis er nach den Brandbomben vom 13. Februar 1945 Menschenteile aus dem Wasser zog, ins Leere greifende Hände, bleiche ausgeblutete Arme. Sein „Großer Trauernder Mann“ in Bronze und seine Autobiografie „Seerosenteich“ erinnern daran. Als nach dem Inferno von Dresden endlich der Frieden anbrach, kam für den 16-Jährigen das nächste Trauma.

Der Antifa-Junge mit den langen Haaren des Protestes, der die Uniform ablehnte, wurde wegen angeblichen Waffenbesitzes angezeigt und von den Russen zu zehn Jahren Haft verurteilt. In „Tamaschito“ gehen wir mit ihm den Weg zurück in den „Grauen Bau“, wo der Tod Platz genommen hatte zwischen den Skeletthaufen hungernder Häftlinge. Dem Wort eines Denunzianten wurde mehr geglaubt als dem aufrechten Jungen mit dem geraden Blick. Er hätte fliehen können, während er von einem Mann mit Krücke abgeführt wurde. Aber er vertraute arglos auf die Wahrheit.

Wenn Wieland Förster heute darüber spricht, erinnert er sich sofort an seine Mutter, und seine Stimme wird ganz weich. „Sie war die einzige, die daran geglaubt hat, dass ich zurückkehre. Meine vier Geschwister wähnten mich nach vier Jahren ohne Lebenszeichen längst tot.“ Seine Mutter musste nach dem Tod ihres an einem Kriegsleiden verstorbenen Mannes die Kinder ab 1935 allein durchbringen. Es gelang ihr. Und sie hielt sie auch von der Nazi-Propaganda fern. 80 Tage und noch grauenhaftere Nächte der Verhöre verbrachte Wieland Förster im „Grauen Bunker“, weitere dreieinhalb Jahre in Bautzen. Für Sibirien war er zu schwach.

Er weiß alles über Menschen, denn in der Not werden sie auf sich selbst zurückgeworfen. Teilen sie die Decke, den letzten Krumen Brot, wenn es ums Überleben geht? Nach den Jahren der Isolation blieb Förster ein Einzelgänger. Im Gefängnis wurden ihm die Gespräche mit kunstsinnigen Mithäftlingen eine Lebensschnur. Und die Bücher aus der Gefängnisbibliothek, die jemand klauen konnte. Die Weisheiten von „Laotse“ waren seine Nahrung. Als er 1950 endlich rauskam, wollte Förster den Lebensfaden wieder aufnehmen, mit dem, was Körper und Gesundheit noch hergaben. Gärtner wäre wohl das Richtige gewesen: mit viel Luft für seine halbe Lunge nach der TBC. Doch Förster stand nach einem abgebrochenen Musikstudium bald auf der Leiter, um seine Menschenlandschaften in Stein zu hauen. Die Vergangenheit blutete weiter in ihm, in seinem biografischen Gefängnis. „Über Bautzen durfte ich nie reden, bis zur Wende. Dafür musste ich unterschreiben und den Lebenslauf fälschen.“ Statt Häftling bei den Sowjets schrieb er: Technischer Zeichner.

Er freute sich nach dem barocken Glanz in der Talkesselstadt Dresden auf Berlin. Im vierten Hinterhof in der Greifswalder Straße bezog er Quartier. Dort sah er täglich eine alte gelähmte Frau, die nie klagte, die von allen im Haus unterstützt wurde. Und er goss sie in Bronze. Zwei Jahre laborierte er daran rum. „Als Erlösung fand ich die Eiform, die größte Entdeckung für mich.“ Als er diesen „Kopf der Gelähmten“ 1965 ausstellte, wurde er zum Kulturminister Klaus Gysi bestellt. „,So nicht!'’, drohte er mir. „Damit kriegen Sie keinen Fuß auf die Erde. Wir wollen junge aufstrebende Arbeiter, Sportler zeigen“. Förster hielt entgegen: „Wenn ich Sie reden höre, denke ich, Sie verteidigen nur den gesunden Menschen.“

Und so war er mitten drin in der Formalismusdebatte der DDR. Er legte sich auch mit seinem Lehrer Fritz Cremer an. Während Cremer dem Realismus huldigte, sah sich sein Meisterschüler in der westlichen Moderne um. Für Förster war Cremers Buchenwald-Denkmal lediglich eine „Kampfgruppe in Lumpen“, das nichts über das Ausgeliefertsein erzählte, in dem jeder erschossen werden konnte. Er setzte dem später sein „Martyrium“ entgegen. Alles Arbeiten, die dem Staat zuwider waren. Bald wurde Förster exmatrikuliert, der Lehrer wollte die Kritik des Schülers nicht hinnehmen.

Heute gilt Wieland Förster als einer der bedeutendsten figürlichen Bildhauer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und als einer, der sich weder vom sozialistischen Realismus noch von der abstrakten Moderne vereinnahmen ließ. Er lehnte auch ein Stipendium der Konrad Adenauer Stiftung ab. „Ich wollte nicht in der Welt rumreisen, sondern meinem inneren Auftrag folgen.“ Und der hieß: Das Leid der jungen Toten darzustellen. „Kunst braucht Leidensfähigkeit und Widerständigkeit, auch gegen die Gesellschaft arbeiten zu können. Talent allein reicht nicht.“

Zu einem Eklat kam es erneut, als Wieland Förster 1973 seine „Große Neeberger Figur“ ausstellte und sie durch ein anderes Exponat ersetzen sollte. Konrad Wolf, damals Präsident der Akademie der Künste, wollte ihn zum Einlenken bewegen. Umstimmen konnte er den Widerständler nicht. Aber es entwickelte sich eine Freundschaft: zwischen dem von den Sowjets inhaftierten Deutschen und dem , der als sowjetischer Offizier im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen gekämpft hatte. „Er, der Sieger, ich, das Opfer. Ich wusste, wenn du mal in Not bist, in richtiger Not, dann kannst du zu Konni gehen“, schrieb Förster in sein Tagebuch. 1982 starb dieser Freund, einer der Wenigen, denen Förster in der DDR vertraute.

Er ging weiter seinen eigenen Weg. Lediglich seine Porträtbüsten fanden in der DDR Anerkennung. 80 hat er insgesamt geschaffen, darunter von Heinrich Böll, Franz Fühmann, Peter Huchel, Elfriede Jelinek. „Lieber habe ich gehungert, als Aufträge auszuführen.“ Mit seinen Grafiken konnte er überleben, ohne sich anpassen zu müssen. „Das ist mein Charakter: der Widerstand gegen Bevormundung und Diktatur. Ich habe immer im Eigenauftrag gearbeitet, deshalb hat mein Werk seinen zusammenhängenden Glanz.“ Seinem inneren Auftrag bleibt er weiter verpflichtet. Schreibend. Tag für Tag. Für ihn, Tamaschito.

>>Am morgigen Sonntag um 11 Uhr liest in der Villa Quandt Schauspieler Frank Arnold aus Wieland Försters Roman „Tamaschito“. Förster musste aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen

Wieland Förster: TAMASCHITO, ROMAN EINER GEFANGENSCHAFT. Sandstein Verlag, 240 Seiten, 2017, 18 Euro

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