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Kultur: Wie ein Jagdunfall zu Klang wird Die KAP entdeckt George Onslow neu

Der Zeitgeist ist ein gar wunderlicher Geselle. Erst lobt er einen Musendiener in Himmelshöhen, um ihn alsbald in die Vergessenheit abstürzen zu lassen.

Der Zeitgeist ist ein gar wunderlicher Geselle. Erst lobt er einen Musendiener in Himmelshöhen, um ihn alsbald in die Vergessenheit abstürzen zu lassen. So erging es auch George Onslow (1784–1853), der zweifellos zu den wichtigen „Brückenfiguren“ der Musikgeschichte im 19. Jahrhundert gehört. Allmählich wird sein Werk wiederentdeckt. Aktuell durch die Kammerakademie Potsdam (KAP), die am Mittwoch im Palais Lichtenau zum Abschluss der „Musikalischen Salon“-Saison George Onslows einst besonders populäres 15. Streichquintett c-Moll op.38 „Le quintet de la balle“ (Kugel-Quintett) in ihr Programm „Entdeckungen aus Paris und Prag“ aufnahm und es erstmals in Potsdam erklingen ließ.

Als Sohn eines englischen Lords und einer französischen Adligen erhält Onslow eine standesgemäße Erziehung. Alsbald will er auch komponieren. In London, wohin die Familie in den postrevolutionären Wirren flieht, erhält er Unterricht bei Johann Ladislaus Dussek. Zurück in Paris, nimmt sich Antonio Reicha seiner an. Er erschließt sich die Werke von Boccherini, Haydn, Mozart und Beethoven, widmet sich vor allem der Kammermusik, wird rasch beliebt und wegen seiner prägnanten Themen und ihrer kleinteiligen Verarbeitungen der „französische Beethoven“ genannt.

Expressivität zeichnet sein 1829 entstandenes „Kugel-Quintett“ aus, die von den KAP-Musikern durch leidenschaftlich erregtes Musizieren voller Vorliebe für ein klangvoluminöses Forte-Spiel erzeugt wird. Oft drängt die Primaria Yuki Kasai mit leichter Schroffheit in den Vordergrund, die das Spiel des Geigenpartners Thomas Kretschmer (der auch die belanglose Moderation übernahm), des Bratschisten Christoph Starke, der Cellistin Ulrike Hofmann und des Bassisten Tobias Lampelzammer ungebührlich übertönt. Gegenseitiges Forcieren bleibt da nicht immer aus. Dennoch büßen die Klanggruppenwechsel, die dialogisierenden Instrumente und diversen Rollentausche nichts von ihrer Wirkung ein.

Oftmals ergeben sich dem Hörer geradezu orchestrale Klangwirkungen. Vor allem in den Sätzen zwei bis vier, in denen sich Onslow um die psychische Bewältigung seines schweren Jagdunfalls bemüht, bei dem er irrtümlich von einer Kugel am Kopf getroffen wird und einseitig ertaubt. Daher also der Name „Kugel-Quintett“. Das mit „dolore, febbre e delirio“ überschriebene, immer wieder im Fortissimo schmerzaufschreiende Menuett mit seinen Fieberschüben und irritierend rhythmisierten Wahnvorstellungen gibt beklemmende Kunde von den Folgen der übel ausgegangenen Eberjagd. Ein in Klang verwandelter klinischer Befundbericht!

Nicht weniger eindrucksvoll das dumpf-sordinierte Wiedererwachen im „Convalescenza“-Andante und das im C-Dur-Überschwang die Erholung lobpreisende „Guarigione“-Finale. Bei aller Empathie für den Komponisten und sein Werk: etwas mehr klangliche Differenzierung hätte nicht geschadet. Die gibt es dann umso reichlicher bei der draufgängerischen, dynamisch nuancierten Wiedergabe von Antonin Dvoraks G-Dur-Quintett op. 77. Peter Buske

Peter Buske

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