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Kultur: Wie ein aufgeblättertes Geschichtsbuch

Gerhard Joop wird heute 90 Jahre alt / Ein Leben in schwierigen Zeitläuften

Gerhard Joop wird heute 90 Jahre alt / Ein Leben in schwierigen Zeitläuften Von Klaus Büstrin „Paläste, Schlösser, Residenzen“ heißt ein umfangreicher Text-Bildband, der Mitte der achtziger Jahre im Georg Westermann Verlag erschien. Dieses Buch, das von Brennpunkten europäischer Geschichte erzählt, macht vor allem mit Kunst und Kultur in Herrscherhäusern bekannt. Auch Sanssouci mit seiner mehr als 250jährigen Historie ist vertreten. Den Text für das Potsdamer Kapitel schrieb Gerhard Joop, der bei dem Buch auch als Mitherausgeber fungierte. Wie kaum ein anderer war Gerhard Joop, der heute vor 90 Jahren geboren wurde, prädestiniert, über Sanssouci zu schreiben, ist er doch mit der einstigen Residenzstadt eng verbunden, seit seiner Kindheit. Seit 1995 wohnt er wieder – von Braunschweig kommend – nur wenige Minuten vom weltberühmten Park entfernt, auf dem Grundstück seiner Schwiegereltern. Das kulturelle Leben hat ihn in dieser Stadt schon immer interessiert, was in Sanssouci, in Konzersälen und im Theater geschah, darüber wollte und will Gerhard Joop Bescheid wissen. Seidem er wieder in Potsdam lebt, engagiert er sich für so manche Belange der Stadt, für das Humboldt-Gymnasium, dessen Schüler er war, für die Restaurierung wertvoller alter Bücher, die die Stadt- und Landesbibliothek ihr Eigen nennt, für den Wiederaufbau der Garnisonkirche sowie für manch andere Projekte, die ihm wichtig sind. Nach Potsdam ist er mit seiner Familie von Konitz, das im heutigen Polen liegt, - dort wurde er geboren –, mit sechs Jahren gekommen. Draußen vor den Toren der Stadt siedelte sich die Familie an. Der Vater, ein Postbeamter, wurde nach Bornim „versetzt“. Das ABC und das Einmaleins lernte Gerhard Joop in der dortigen Volksschule. Vier Jahre lang musste er sie „absitzen“, dann konnte er nach einer Prüfung die Oberrealschule (Naturwissenschaften) besuchen, die 1907 gegründet wurde, an der Anfang der zwanziger Jahre das Deutsche Gymnasium (humanistische Ausrichtung) angeschlossen wurde. Heute trägt das Gymnasium, das sich in der Heinrich-Mann-Allee befindet, den Namen Humboldt. Besonders interessierten den Schüler die musischen Fächer, Deutsch - insbesondere Literatur – und Musik. Als Musiklehrer fungierte der schon damals in Potsdam bekannte Prof. Karl Landgrebe, der Kantor an der Friedenskirche und Dirigent des Städtischen Chores war. Zur Oberrealschule, so erinnert sich Gerhard Joop, fuhr er zunächst mit dem Postomnibus, dessen Räder Vollgummireifen hatte: „Ein richtiger Rumpelkasten“. Später mit dem Fahrrad. In den oberen Klassen wurde kräftig über Politik diskutiert. „Der Reichstag mit seinen zig Parteien in der Weimarer Republik brachte uns Schüler in Erstaunen. Es war bereits klar, dass das, was dort diskutiert wurde, den Deutschen während der Weltwirtschaftskrise nicht half. Im Gegenteil. Aber dass 1933 mit der Machtübernahme Hitlers nur eine Partei regieren sollte, war uns Gymnasiasten auch nicht recht.“ Ein Eintritt in die NSDAP kam für ihn, so Gerhard Joop, der 1933 sein Reifezeugnis erhielt, nicht in Frage. Im Potsdamer Verlag Ludwig Voggenreiter begann er anschließend eine Buchhändlerlehre. Bei Voggenreiter wurden vor allem Kinder- und Jugendbücher herausgegeben, Ansichtsmaterial zur Frage: Wie hält man sich gesund. Joop hatte aber mehr Ambitionen zur Belletristik. So entschied er sich nach der Lehre beim Braunschweiger Westermann Verlag (gegründet 1838), der in Berlin eine Filiale besaß, anzufangen, – ein Unternehmen, das ihn viele Jahrzehnte seines Berufslebens begleiten sollte. Journalist wollte er werden. „Doch 1935 musste ich die Arbeit im Verlag unterbrechen, da ich in die Wehrmacht einberufen wurde, in das Infanterieregiment 9 in Potsdam.“ Doch seine „militärische Laufbahn“ war nur von kurzer Dauer, eine Krankheit sagte Nein zum Soldatenhandwerk. Gern hätte er danach bei den 1858 erstmals erschienenen Westermanns Monatsheften als Redakteur begonnen, doch man musste sich zunächst bei der Tagespresse seine Sporen verdient haben. Er ging nach Mühlhausen, anschließend nach Posen. Die ganze Palette der Kultur war sein Gebiet, auf der er sich bewegte. Doch am liebsten schrieb er Theater- und Buchrezensionen. Kritische Anmerkungen gegenüber den Zeiterscheinungen konnten nur „verdeckt“, zwischen den Zeilen, geschrieben werden. Nach Potsdam führte ihn sein Weg ständig. Dort lebte Charlotte Ebert, eine der drei Schwestern der bekannten Bornstedter Bauernfamilie, die er liebte. 1942 wurde geheiratet, 1944 Sohn Wolfgang geboren. „Ende des Zweiten Weltkrieges sollte ich mit dem Volkssturm das längst verlorene Deutschland retten. Es war lächerlich, mit alten und behinderten Männern, mit Jugendlichen, die halb Kinder waren, gegen die Allierten vorzugehen“, erzählt Gerhard Joop. Er geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. 1946 nach Potsdam zurückkehrend, wurde er von der Volkspolizei verhaftet. „Dann haben mich die Russen als Gefangenen übernommen. Ich soll angeblich Spionage für die Amerikaner betrieben haben. Aber das war absurd. Im Gefängnis in der Potsdamer Lindenstraße wurde ich ein Vierteljahr festgehalten. Die Verhöre begannen meist zu nachtschlafender Zeit, dann, wenn man meinte, der Gefangene würde vor Müdigkeit und Schlaffheit einiges preisgeben.“ Von der Lindenstraße wurde Joop in zwei Lager gebracht, die von den Nazis bereits genutzt wurden: das Arbeitslager für Juden in Jamlitz und das KZ Buchenwald. „Am schlimmsten fand ich neben den entwürdigenden Drangsalierungen den Schmutz. In Jamlitz konnte man alle vier Wochen nur die Wäsche waschen.“ 1950 wurden die Lager aufgehoben, vielen Gefangenen wurde der Prozess gemacht. Auch Gerhard Joop war darunter. Die Staatsanwaltschaft konstruierte irgendeine Beschuldigung, „aber mir ist bis heute nicht klar, wessen man mich anklagte.“ Er wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, ohne dass man ihm einen Verteidiger zur Seite stellte. Im Zuchthaus Waldheim erreichte Joop Ende 1952 die Begnadigung, anlässlich des dritten Jahrestages der DDR. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem sächsischen Sanatorium machte er sich sofort Richtung Westen auf. Er hatte von den Russen und von der DDR genug, denn um sieben Jahre seines Lebens hatte man ihn beraubt. Gerhard Joop ging zum Westermann Verlag nach Braunschweig. Er wurde dort Redakteur, später stellvetretender Chefredakteur und dann Chefredakteur. 1954 kam Charlotte Joop gemeinsam mit Sohn Wolfgang nach, der zu einem der berühmtesten Modedesigner der Welt wurde. Bei den Monatsheften konnte Gerhard Joop seine journalistischen Ambitionen voll entfalten. Er schrieb sehr beachtete Texte, arbeitete mit bekannten Schriftstellern wie Marie-Luise Kaschnitz, Heinrich Böll, Peter Huchel, Dino Buzzati oder der Fotografin Rosemarie Clausen zusammen. Westermanns Monatshefte gehörten zu den wichtigsten Zeitschriften, die sich mit Kunst und Kultur, Wissenschaft und aktuellen Zeitthemen beschäftigten. 1979 schied Gerhard Joop aus Altersgründen aus dem Verlag aus, das Erscheinen des Monatsheftes wurde in den achtziger Jahren leider aufgegeben. Gerhard Joop, der schwierige Zeitläufte erlebte, gehört zu den interessanten Persönlichkeiten Potsdams. Ein Vergnügen und ein Gewinn ist es, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Es ist so, als ob in seinem Innern ein Geschichtsbuch aufgeblättert ist.

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