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Mit der Roten Armee kam Werner Nerlich zum Ende des Krieges in seine Heimatstadt zurück – und mit einem Kopf voll Ideen für seine Kunst, die eine humanistische sein sollte.

© Michael Lüder

Werke von Werner Nerlich im Potsdam Museum: Bewegtes Leben eines Antifaschisten

Das Potsdam Museum eröffnet Ausstellung zum 100. Geburtstag des Künstlers Werner Nerlich

Potsdam - Mit der Roten Armee stand Werner Nerlich im April 1945 kurz vor Berlin. Die letzten Tage des verbrecherischen Krieges waren angebrochen. Knapp 30-jährig war er, in sowjetischer Uniform ohne Rang, im Auftrag des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ mit seiner Truppe unterwegs. Potsdam war in greifbarer Nähe. Er verspürte Sehnsucht nach seinem Elternhaus. Einfach nur guten Tag sagen, schauen, wie es dem Vater geht. Er bat seinen Stabsoffizier um einen Besuch in Babelsberg. Er wurde genehmigt. In einer Filmdokumentation erzählte Nerlich: „Die Haustür in dem Haus, wo wir wohnten, war verschlossen, keiner machte auf wir haben dann gerufen. Nun muss man sich vorstellen, ich war nicht in deutscher Uniform. Ich hatte eine russische Offiziersuniform ohne Achselstücke, ohne Waffe, aber sonst war alles wie im Original.“ Nach langem Drängen wurde die Haustür geöffnet.

Potsdam war Werner Nerlichs große Liebe. In Nowawes ist er geboren, im Betrieb seines Vaters hat er die Malerlehre absolviert, in dieser Stadt hat er gearbeitet und gewohnt bis zu seinem Lebensende am 15. September 1999. Und: Er wurde 1970 ihr Ehrenbürger. Anlässlich des 100. Geburtstags von Werner Nerlich am 3. Juli findet eine Ausstellung im Potsdam Museum statt, die ab dem morgigen Freitag zu sehen ist. Das bewegte Leben des Antifaschisten, Künstlers, Lehrers und auch Kulturfunktionärs wird in zahlreichen Exponaten lebendig. Fotografien, Flugblätter, Urkunden, Skizzen, Entwürfe, Gemälde und Aquarelle erzählen eindrücklich von einem Menschen, dessen Biografie „von den Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts geprägt wurde“, wie Museums-Direktorin Jutta Götzmann sagt. Die 120 gezeigten Exponate sind dem Sammlungsbestand des Potsdam Museums entnommen, zum größten Teil aber dem Nachlass der Familie Nerlich. Vier Themenschwerpunkte gibt es: die Lebensstationen, die baugebundene Kunst, die bildende Kunst mit dem Früh- und Spätwerk sowie die Gebrauchsgrafik.

Künstler im Dienst der antifaschistischen Propaganda

Nach der Malerlehre war sein großer Wunsch Kunst zu studieren. Er ging an die Meisterschule des deutschen Handwerks in Berlin-Charlottenburg, seine Lehrer wurden Hans Orlowski und Max Kaus. Ein Foto zeigt den jungen Nerlich mit Kommilitonen beim konzentrierten Naturstudium im Babelsberger Park. Doch die künstlerische Ausübung wurde 1939 jäh unterbrochen. Hitler begann seine Schreckensherrschaft über Europa auszudehnen, der Zweite Weltkrieg begann. Werner Nerlich wurde zum Militärdienst einberufen. Die Infanteriedivision, zu dessen Einheit der junge Soldat gehörte, musste an der Ostfront kämpfen. Dem unsagbar grausigen Inferno im Kessel von Stalingrad konnte er nur nur durch den Wechsel der Seiten entkommen. Als Kriegsgefangener der Roten Armee wurde Nerlich auf die Antifa-Schule geschickt. Im Nationalkomitee „Freies Deutschland“ stellte er sein künstlerisches Talent in den Dienst der antifaschistischen Propaganda. Handgezeichnete Plakate und Flugblätter, die in der Ausstellung zu sehen sind, sollten die deutschen Soldaten über den Wahnsinn des Krieges aufklären und sie zum Niederlegen der Waffen bewegen. Beim Vormarsch der Roten Armee erlebte Werner Nerlich die Befreiung des Vernichtungslagers Treblinka, Erlebnisse, die ihn sein ganzes Leben nicht losließen. Er trat der KPD bei.

In einem kleinen Kalender notierte er minutiös die Tagesereignisse. Am 30. April 1945 schrieb er nur: „Wiedersehen zu Hause!“ Das zerstörte Potsdam machte ihn unendlich traurig. Aber Lethargie war nicht seine Sache. Mit humanistischer Kunst wollte er seinen Mit-Bürgern wieder Hoffnung geben. Werner Nerlich engagierte sich intensiv im neu gegründeten Kulturbund, organisierte Kunstausstellungen, war Landesvorsitzender des Verbandes bildender Künstler, entwarf vom Ausdruck her zeittypische Plakate, beispielsweise zur Vereinigung der KPD mit der SPD 1946 in Ostdeutschland, zum Internationalen Frauentag oder für die Märkische Volkssolidarität.

Schöpferische Kraft seines Spätwerks

Besonders in der Gebrauchsgrafik hat er Meisterliches geleistet, bis in die 1990er-Jahre. Von 1956 stammt der Entwurf für das Stadtwappen Potsdams, das noch heute aktuell ist. Die öffentliche Wirksamkeit von Kunst war ihm stets wichtig. So hat er für die Schwimmhalle am Brauhausberg und das Gebäude der Potsdamer Rudergesellschaft Wandgestaltungen übernommen. In der Ausstellung sind vor allem Entwurfszeichnungen zu sehen, auch zum Wandbild „Potsdamer Alltag“. Die Arbeit ist Teil des Alten Rathauses, in dem heute das Potsdam Museum residiert. Dass 1966 für das Kulturhaus „Hans Marchwitza“ angefertigte Wandbild in Secco-Malerei will den glücklichen Menschen zu DDR-Zeiten als Wunschvorstellung zeigen. Dem sozialistischen Realismus sind seine Gemälde und Zeichnungen von Sportlerinnen, Studentinnen oder Arbeitern verpflichtet.

Nach seiner Pensionierung im Jahre 1973 war Werner Nerlich frei von allen gesellschaftlichen Zwängen, die ihm seine Ämter auferlegten. Seine Aquarelle und Pastelle, zumeist entstanden auf der Insel Rügen, belegen die schöpferische Kraft seines Spätwerks. Die Landschaften von der Ostsee oder die Gartenbilder sind mit einer Leichtigkeit geschaffen, die vom engen Verhältnis zur Natur erzählen. Die Lockerheit seiner künstlerischen Handschrift hat nichts mit technischer Bravour, die Kultiviertheit seiner Farbgebung nichts mit Ästhetizismus zu tun. Seine Kunst kam von innen.  

Ausstellung im Potsdam Museum bis zum 19. Juli

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