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Kultur: Wenn weiter so nicht weiter führt

Eine Sammelausstellung im Kunstraum will den drängendsten Fragen der Gegenwart auf den Grund gehen, schafft es aber kaum, ihre Komplexität nur zu erfassen

Wer sich anstrengt, ist nicht immer erfolgreich. Zumindest nicht gleich. Anstrengung aber, das lernen wir schon in der Schule, ist immer der richtige Weg. „Weiter so“, stand deshalb oft unter den Arbeiten, bei denen es für eine wirklich gute Note nicht gereicht hatte. „Weiter so“ heißt auch die neue Ausstellung im Kunstraum des Waschhaus, eine Sammelausstellung 14 verschiedener Künstler oder Künstlerkollektive in Zusammenarbeit mit dem Berliner Künstlerhaus Bethanien.

Und sie hat hohe Ziele. Will das große Ganze befragen, durchleuchten, will aufklären. Sie nimmt sich nicht einen oder zwei Aspekte des Lebens im Jahr 2017 vor, sie will die gesellschaftliche Umbruchsituation infolge internationaler Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Demokratie befragen. Zumindest schreibt es so Christoph Tannert, Projektleiter und Geschäftsführer am Künstlerhaus Bethanien in seinem Prolog zu „Weiter so“.

Er bleibt dabei aber schwammig, die Begriffe sind nicht klar definiert. Vielleicht, weil er zu viel will mit dieser Schau. Am Ende weiß man als Betrachter und Leser nicht, was Tannert überhaupt will, außer einer humanen, aufgeklärten Welt und dabei die von der Postdemokratie Verunsicherten mitnehmen. Also in etwa das, was jeder Politiker im Bundestagswahljahr sagt. „Natürlich“, beginnt Tannert, „ist die Versuchung heute groß, national zu denken und zu handeln. Bei Migranten, in Währungsfragen, im Handel.“ Aha, denkt man, hier soll die Freiheit des Denkens gegen die AfD verteidigt werden, gegen die Kleingeister, die noch immer an den Sinn von Grenzen, von Wir und Ihr glauben. Am Ende schreibt er: „Die Ausstellung wirft einen unabhängigen und kritischen Blickwinkel auf aktuelle Ereignisse und tritt für Meinungsfreiheit ein. Zum Schutz der Meinungsfreiheit gehören auch Meinungen, die in bestimmte Diskurse anderer Meinungsspektren nicht passen.“

Gut, denkt man, hier muss nicht der aufgeklärte Konsens der Mehrheitsgesellschaft bedient werden, hier darf die Kunst frei denken. So frei immerhin, dass sie zwar nicht den Propheten Mohammed, aber Osama bin Laden beleidigt. Der lümmelt auf einem Bild des russischen Künstlerkollektivs Blue Noses Group lasziv neben George W. Bush und Wladimir Putin im Bett, alle drei nackt bis auf die Unterhosen. Huiuiui. Ganz schön gewagt. Auf einem zweiten Bild posiert der Terrorist zwischen einer zur völlig Nackten montierten Marilyn Monroe und Prinzessin Diana, was wahrscheinlich so viel heißen soll wie: Während der Westen und der Osten den Islamofaschismus erst groß gefickt haben, träumt der bei aller Ablehnung der westlichen Dekadenz am Ende auch nur von 77 blonden Jungfrauen.

Dass die großen Religionen auch im Dialog leben könnten, dieses Bild entwirft gleich davor eine Installation aus drei Büchern von Daniel Caleb Thompson. „Conversation between Grandmothers“ heißt das Readymade, es besteht aus einer Torah, einer Bibel und einem Koran, die Seiten der drei Bücher hat Thompson fein säuberlich ineinander gelegt. Nichts knickt, nichts knirscht – zusammen ergeben die Buchrücken ein gleichschenkeliges Dreieck, das Innere eine dichte weiße Fläche Papier. Frieden, scheint es zu sagen, ist möglich. Theoretisch.

Den Frieden zerfetzt aber gleich wieder ein Soldat mit gezückter Waffe. Gelb-braun leuchtet er, überlebensgroß, gegenüber von einer Leinwand. „Gaza“ heißt das Bild von Haralampi G. Oroschakoff aus dem Jahr 2013. Anzunehmen ist, dass Oroschakoff damit einen israelischen Soldaten meint, auch wenn die bereits 2005 aus dem Gazastreifen abgezogen sind. Oroschakoffs Arbeit, so belehrt der Text neben dem Bild, soll „den Finger in die Wunde israelisch-palästinensischen Konflikts legen“. Vom mit Messern, Raketen, Sprengsätzen und Lastwägen ausgeübten palästinensischen Terror auf israelische Juden erzählt das Bild allerdings nichts. Es beklagt nur „diesen vom politischen Diktat der Großmächte abhängigen Territorialstaat“. Na Bravo, schon wieder so ein Mutiger unter den Künstlern, der die linke Leier von der bösen Besatzungsmacht singt. Ohne Mitgefühl und ohne überhaupt die Gewalt der Anderen, der palästinensischen Seite mitzudenken. Das ist weder neu noch mutig von Oroschakoff.

Vom islamistischen Terror erzählt dann aber Simon Menner mit seiner Installation „Zensur des Islamischen Staates“, zusammengesetzt aus Stills von Propagandavideos. Drastische Bilder sind das, von Geköpften, Gehängten, Gefolterten. dazwischen Männer auf Staatsbesuch: Obama, Netanyahu, der Papst. Manches ist verpixelt, schon in den Propagandavideos. Warum, fragt Menner. Und gibt selbst die Antwort: „Perfekte Zensur ist unsichtbar, wenn sie sichtbar bleibt, ist der Akt des Zensierens selbst zum rhetorischen Moment geworden.“ Er verweist dann auf den moralischen und politischen Anspruch des Zensierenden. Gut, dass der IS eine Art irre Mission verfolgt. Dass er getrieben ist vom Hass auf den freien Lebensstil des Westens, ist jetzt keine so neue Erkenntnis.

Dass man sich von dem Hass nicht einschüchtern lassen muss, selbst wenn man die Brutalität der Islamofaschisten am eigenen Leib erfahren hat, zeigen die Readymades direkt neben Menners IS-Installation. Es sind Titelbilder der deutschen Ausgabe von Charly Hebdo, dem legendären französischen Satiremagazin, dessen Redaktion in Paris im Januar 2015 Ziel eines Al-Qaida-Anschlags wurde, elf Menschen wurden getötet. Nie hatten die Karikaturisten Rücksicht auf angebliche religiöse Gefühle genommen, weder davor, noch danach. Der Prophet Mohammed blieb, wie alle anderen geistlichen oder weltlichen Autoritäten, Ziel ihres Spotts. Trump etwa steht auf einem der Cover mit abwehrend ausgestreckten Händen vor Angela Merkel. Er trägt seine blonde Zausen-Tolle, aber auch einen schwarzen Bart und ein weißes, langes Gewand. „Frauen gibt man nicht die Hand“, steht in seiner Sprechblase, daneben: „Ein Islamist im Weißen Haus“. Das ist, wie all die anderen Charly-Cover, so vielschichtig lustig und im Angesicht der echten Bedrohung, dem echten Leid der Redakteure so mutig, dass die simple Zusammenstellung dieser Titel zu einem der schönsten Momente in „Weiter so“ wird.

Vieles andere bleibt flach, bildet zu schlicht die Verhältnisse ab, um die Gedanken über den täglichen Trott hinaus zu erheben und dem Meinen der Betrachter einen neuen Dreh, einen Schwenk in eine neue Richtung abzuverlangen. Es gibt im Jahr 2017 wohl kaum jemanden, der sich nicht in der einen oder anderen Weise mit den vertrackten Fakten beschäftigt hat: Wieso wollen einige eine ganze Glaubensgemeinschaft in Sippenhaft nehmen für den Terror, den Wenige in ihrem Namen ausführen? Wie können wir trotzdem miteinander leben? Was müssen wir als postaufgeklärter Westen verteidigen, ohne die Ideen der Aufklärung dabei zu verraten? Kunst könnte dabei helfen, aber offensichtlich tut sie sich mit diesen Fragen genauso schwer, ist genauso befangen wie wir.

„Weiter so“ im Kunstraum, Schiffbauergasse, ist noch bis zum 2. Juli zu sehen

nbsp;Ariane Lemme

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