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Kultur: Wenn die Zeitmaschine brennt

Zum 150-jährigen Jubiläum des Belvedere wird mit einer Ausstellung die schöne Aussicht nach den „hochZEITEN“ beleuchtet

Als „Potsdams schönste Aussicht“ wird das Belvedere auf dem Pfingstberg gern beworben. Die am gestrigen Freitag eröffnete Ausstellung „hochZEITEN“ in und um das Belvedere spielt auch mit dem Namen dieses Lustschlosses, das 1863 von Friedrich Wilhelm IV. für sich und seine Gemahlin Elisabeth erbaut wurde. Der romantische König und seine Frau sollen tatsächlich eine liebevolle Beziehung gepflegt haben, heißt es.

Auch die beiden Royals haben es als kunstvolle, lebensgroße Büsten aus handgeschöpftem Papier unter die zahlreichen Ausstellungsobjekte geschafft. Denn die 20 internationalen Künstler widmen sich in der Ausstellung dem Thema Hochzeit im weitesten Sinne: auch den sich anschließenden Aussichten. Hier liegt viel Spiel- und Interpretationsraum im Auge des Betrachters, ob er sich nun eher ernsthaft oder eben spielerisch mit der ganzen Thematik auseinandersetzt. Möglich ist vieles.

Keine schönen Aussichten freilich ohne Anstieg und Aufstieg. Gleich am Wegesrand stolpert der Besucher förmlich über das erste Ausstellungsobjekt. Unterhalb der Westmauer steht unvermittelt ein blaues Zweimannzelt, eine Soundcollage der Schweizerin Irena Naef: Tritt man den vermeintlich wilden Campern zu nahe, hört man Auszüge aus Frank Wedekinds gesellschaftskritischem Drama „Frühlings Erwachen“.

Gewissermaßen als Pendant findet sich auf der Ostseite mitten im Wald ein blütenweißes Doppelbettgestell, aus dessen Mitte bereits kleine Sonnenblumen sprießen. Unter den hohen Bäumen, weitab von jeder Zivilisation, wirkt es surreal und märchenhaft – und soll wohl auch ein Blickfang für Hochzeitspaare sein, die hier im Maurischen Kabinett heiraten.

Etwa 70 Eheschließungen sind es jedes Jahr, sagt Katja Hube vom Förderverein Pfingstberg. Manche kommen mit Fahrrädern herauf, als „Hoch-Zeiter“ kaum zu erkennen, andere wählen die romantische Variante mit Reifrock, sagt sie. Interessante Alternativen für Brautmoden bietet auch die Ausstellung: Gulnur Mukazhanova aus Kasachstan hat textile Skulpturen aus Schaffell und papiernen Materialien geschaffen, Kleidungsstücke, in denen sich zentralasiatische und westliche Traditionen vermischen. „Mankurtinnen in der Megapolis“ heißen die Kreationen, die allerdings, weil sie so empfindlich sind, nur bis Montag auf der Kolonade zu sehen sein werden.

Sehr empfindlich ist auch das Material, das durch die „Zeitmaschine“ läuft. Lutz Garmsen, Filmemacher und Installationskünstler aus Darmstadt, hat diese aus einem etwa 100 Jahre alten Kinoprojektor gebaut. Drückt der Besucher auf einen einladend aussehenden Knopf, beginnt eine halbminütige Zeitreise: Der Filmstreifen setzt sich in Bewegung, doch das Sepia-Porträt von der jungen Frau oder dem Mann bleibt vor der Filmlampe stehen, bis es durch die Hitze zu verbrennen beginnt. „Normalerweise laufen beim Film 24 Bilder pro Minute durch - wobei die Bilder selbst sich nicht bewegen, die Bewegung entsteht ja erst im Gehirn. Ich kehre den Prozess um“, erklärt Garmsen. Durch den Stillstand wird das Bild – er hat eine endlose Filmrolle vorrätig – langsam versengt, verschrumpelt wie eine Blüte im Herbst. Manchmal sogar mit Rauchentwicklung, was hin und wieder die Besucher erschrecke. Aber das findet der Künstler ganz amüsant. Passieren könne nichts: „Die Maschine schaltet sich automatisch ab.“

Die Kuratorin Ellen Kobe hat die Zeitmaschine provozierend im sanierungsbedürftigen Westturm platziert. Zwischen den Wänden mit Resten von Malerei und Inschriften herrscht ein maroder Charme, der sich bestenfalls mit dem leichten Brandgeruch der Zeitmaschine vermischt: eine ganzheitliche Sinneserfahrung von Verfall und Wiederkehr – denn auf den Knopf drücken kann man immer wieder.

Während die im Belvedere verteilten Objekte vorwiegend zu einem ästhetischen Kunsterlebnis einladen, findet im Sockelgeschoss eine eher theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema hochZEITEN statt. Fotografien, fotografische Installationen und Videos erzählen Geschichten wie die von Tanja Ostojic: Die Serbin suchte per Anzeige einen EU-Ehemann und dokumentierte die fünf Jahre von der Kontaktaufnahme bis zur Scheidungsparty in Deutschland.

Wer die schönen Aussichten verlässt, kann den Weg vorbei am kleinen Pomonatempel wählen. Dort wird Katell Gélèbarts „Einweghochzeitskleid“ aus handgeschöpftem Papier ausgestellt. Die Französin fragte sich, warum man das Kleid für den schönsten Tag im Leben nicht als Wegwerfartikel herstellen sollte – herausgekommen ist dann doch eine sehr edle Kreation.

„hochZEITEN“ im Belvedere, bis zum 3. November, geöffnet täglich 10 bis 18 Uhr

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