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Nähe oder doch nur gemeinsame Verlorenheit? Die vier Tanzakrobatinnen von Cie4, einem interdisziplinären Performance-Kollektiv, erzählen in Performance „Unruhe bewahren“ vom Zustand moderner Weiblichkeit.

©  Daniel Porsdorf/fabrik

Kultur: Wenn die Wege sich kreuzen

Vier Tanzakrobatinnen präsentieren mit „Neuer Circus“ poetisches Bewegungstheater

Ein riesiges grobmaschiges Netz bildet den Bühnenhintergrund. Dazu gesellen sich weiße Kugeln und eine lange Seilschlinge, die von der Decke hängen. Dass diese Dinge keine reine Dekoration sind, ahnt man, wenn man die vier Tanzakrobatinnen von Cie4, einem interdisziplinären Performance-Kollektiv, bei der Probe beobachtet. Julia Christ ist Tanzakrobatin und Spezialistin für Hand- und Kopfstände, Lena Ries hat einen superflexiblen Körper und ihr Fachgebiet heißt Kontorsion. Und die beiden anderen der reinen Frauencompanie – Romy Seibt und Anke van Engelshoven – sind Luftartistinnen und somit Spezialistinnen am Vertikalseil oder den Strapaten, wie in der Fachsprache herabhängende Bänder genannt werden.

Diese vier Frauen, allesamt Solistinnen, die bisher in verschiedenen Companien tätig sind, haben vor einem Jahr beschlossen, zusammen ein Stück zu entwickeln, bei dem sie gemeinsam die ganze Zeit auf der Bühne stehen und mit ihren Körpern abendfüllende Geschichten erzählen wollen. Den letzten Ausschlag, dieses Projekt in die Tat umzusetzen, gab die wunderbare Aufführung der Akrobaten der französischen Companie „Un loup pour l’ homme“, die mit „Face Nord“ die diesjährigen Potsdamer Tanztage in der „fabrik“ eröffneten. Danach baten die vier Frauen Wolfgang Hoffmann, selbst Tänzer und Mitbegründer der „fabrik“, bei ihnen die Regie zu übernehmen.

Ihre Performance „Unruhe bewahren“ wird an diesem Wochenende in der Reihe „Neuer Circus“ in der „fabrik“, Potsdams internationales Zentrum für Tanz und Bewegungskunst, zur Uraufführung kommen. Lebhaft erzählt Julia Christ, wie sich die Wege der vier gekreuzt haben und dass sie jetzt gemeinsam einen Privatkredit aufgenommen haben, um in fünf Wochen Intensiv-Probenzeit Nägel mit Köpfen zu machen.

Der Titel für ihre Inszenierung stand von Anfang an fest und Wolfgang Hoffmann bezeichnet „Unruhe bewahren“ ganz allgemein als Zustand moderner Weiblichkeit. Für ihn war es besonders wichtig, sagt er im Gespräch, die vier Frauen in ihrer Größe zu bestärken und vor allem auf ihren Humor zu setzen. Julia Christ faszinierte in der Probenarbeit die Unterschiedlichkeit ihrer Kolleginnen und die vielfältigen Möglichkeiten der künstlerischen Kommunikation, die sich daraus ergaben.

So wird in einer Szene zu sehen sein, wie sich drei der Frauen darum bemühen, die Vierte, die in einer Notlage scheint, zu befreien. Doch anstatt ihr wirklich zu helfen, das hieße zu beobachten, was sie eigentlich braucht, wickeln sie diese nur fester in ihr Seil. Und geraten so alle vier in Not. Oder, wie auf der Probe zu sehen war, wird eine von ihnen mit einem etwa anderthalb Meter langen Seil, an dessen beiden Enden sehr dicke Knoten sind, kraftvoll-elegante Schwingungen vollführen, die manchmal Enge und ein andermal Freiheit symbolisieren. Auf jeden Fall ist die pure Energie, die diese Circusarbeit ausstrahlt, nicht nur etwas für Erwachsene, sondern auch für Kinder ab sechs Jahre, sagt Julia Christ mit strahlenden Augen. Sie selbst interessierte sich früh für Leistungsturnen und Ballett und der Circus hatte sie schon als Kind in seinen Bann gezogen. Doch ehe sie eine Akrobatikausbildung in Berlin und Brüssel absolvierte, wurde die zierliche Frau Tischlerin, um sich dann doch endgültig ihrer großen Liebe zuzuwenden.

Die „fabrik“ wird in dieser Saison mehrfach Arbeiten der Reihe „Neuer Circus“ (französisch „Nouveau Cirque“) vorstellen, in dem Akrobatik und Jonglage mit Tanz, Theater, Mime, Musik und Neuen Medien verschmolzen werden. So werden Ende Oktober Elsa Guérin und Martin Palisse ihre neue Produktion „Post“ vorstellen. In vielen Ländern Europas hat sich „Nouveau Cirque“ inzwischen als eigenständige Kunstform etabliert und begeistert das Publikum auf Bühnen und unter freiem Himmel. Die Akrobatinnen von Cie4 sind in dieser Szene als reine Frauencompanie eine Besonderheit und man kann gespannt sein, welche circensischen Facetten von Weiblichkeit heute Abend in der „fabrik“ aufgeblättert werden.

„Unruhe bewahren“ am heutigen Freitag und morgigen Samstag um 20 Uhr und am Sonntag um 16 Uhr in der „fabrik“ in der Schiffbauergasse

Astrid Priebs-Tröger

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