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Christian Schramm, 50, lebt mit seiner Familie in Babelsberg. Er arbeitete als Theater- und Filmschauspieler, war Gründer eines Berliner Ensembles und schreibt Drehbücher.

© M. Thomas

Kultur: Wenn der Pöbel ruft: „Wir sind das Volk“

Der Schauspieler Christian Schramm schrieb ein Stück zum Lutherjahr: „Die Nacht zu Worms“

Es war in Dresden, Christian Schramm aus Potsdam sah sich die Feierlichkeiten zum 3. Oktober an und erschrak, als Angela Merkel und Joachim Gauck von der Menge als Volksverräter bezeichnet wurden. In den populistischen Straßenreden ging es um Flüchtlinge, die Angst vor einer Islamisierung und unfähige Politiker. Schramm, am Wiener Max Reinhardt Seminar und in London ausgebildeter Schauspieler und Drehbuchautor, aufgewachsen in einem evangelischen Elternhaus, dachte sich: „Das ist ja irre, diese Parallelen zur Zeit der Reformation.“ Vor 500 Jahren, sagt Schramm, „bröselte König Karl V. das Heilige Römische Reich unterm Hintern weg, das Volk lehnte sich auf gegen Armut und Unterdrückung und fürchtete den Süleyman aus dem Orient“. Damals sei dann Mönch Martin Luther aufgetaucht, habe gefragt, was zu tun sein. Und gleichzeitig davor gewarnt, die staatliche Ordnung übern Haufen zu schmeißen. „Wir sind heute genau wieder da, wo wir damals waren“, sagt Schramm. „Neiddebatte, Flüchtlingshass, Rechtsruck in der Politik. Und da habe ich mich hingesetzt und dieses Stück geschrieben.“

Jetzt ist es fertig, „Die Nacht zu Worms“ wird am Mittwoch, dem 8. März, in Potsdam uraufgeführt. Anschließend wird es in weiteren Brandenburger Orten gezeigt, bevor Schramm damit nach Worms geht. Dort wird es am 18. April aufgeführt – exakt 500 Jahre nach jener Nacht von Worms, in der sich entschied, was aus dem Mönch Luther mit seinen Ideen werden soll. Top oder Flop, darüber hatte König Karl V. damals mit seinem Reichstag zu entscheiden. Karl war jung und wollte Kaiser werden, mit dem Papst durfte er es sich nicht verscherzen. Eine Entscheidung fiel ihm schwer.

Hier beginnt das Stück – ein Monolog des Königs, gespielt vom Autor selbst. Ganz passend zum Lutherjahr. „Es geht mir aber gar nicht um Luther“, sagt Schramm. „Es geht um die Frage, wie die Herrschenden damals und eben auch heute mit dem Druck umgehen, einerseits als Volksverräter beschimpft zu werden und andererseits wichtige Entscheidungen fällen zu müssen. Es geht mir darum, wie es heute weitergeht in Deutschland.“

In 70 Minuten lässt der Schauspieler den König seine eigene Situation reflektieren. Den Zustand im Land. Die Möglichkeiten, die er hat. Er lässt ihn wütend werden und auf und ab wandern. Draußen tobt der Pöbel, er kann es durch das Fenster hören. Am liebsten würde er sich verdrücken. Luther aufknüpfen, rädern lassen, den Krähen zum Fraß. Flugblätter vernichten und die Redefreiheit gleich mit. Aber dann interessiert ihn doch, was da draußen vor sich geht und er mischt sich inkognito unters Volk. Für eine Nacht. In der Karl auch erlebt, wie jener Mönch Luther zum Volk spricht. Am Ende ist der König verändert. Historisch belegt ist diese Läuterung nicht. Aber Schramm kann sich durchaus vorstellen, dass es so gewesen sein könnte. „Ich glaube an die Utopie, dass Menschen sich verändern“, sagt Schramm. Sein Stück endet jedenfalls mit einer Version, in der Karl zwar den Reichsbann ausspricht, aber wohl weiß, was er an Luther hat. „Ich behaupte, Karl fädelt es ein, dass er entführt wird.“

Das klingt nach schwerem historischem Stoff. Aber Schramm ist auch Drehbuchautor, er schreibt seit Jahren für Fernsehserien. Er weiß, wie man etwas spannend und unterhaltsam aufbereitet. Und so liest sich das Stück überraschend flott und unterhaltsam – obwohl der Autor sich ganz bewusst für ein historisches Deutsch entschieden hat, mit Versmaß und Reimen. Es ist die Sprache des 17. Jahrhunderts, in der Karl flucht und sinniert und in der das Volk auf der Straße spricht. Ein Gegenwartsdeutsch sei ihm für das Thema zu einfach, zu vorsätzlich-pädagogisch erschienen, sagt der Autor. Es sei manchmal leichter, eine Botschaft über einen Umweg zu schicken. Der Zuschauer könne zunächst auf Distanz gehen und schließlich ganz von selbst die Parallelen entdecken.

Er hat es dem Zuschauer leicht gemacht, in die Sprache ist man schnell eingestiegen. Im Text findet sich vieles, was auch als aktuelles Zitat gelten könnte: Da ruft der Pöbel „Wir sind das Volk“, in Europa gehts ums Spalten, „Britanniens Insel öffnet froh den Reigen“. Karl wettert gegen „Osmanen“ und „Lügenschriften“. Und als Soldaten, angeführt von einem gekauften Spion, eine Versammlung brutal sprengen, erinnert das natürlich an heutige Krisengebiete.

Es ist bereits Schramms zweites historisches Stück, 2016 schrieb er einen Monolog zu Jacob Paul von Gundling, Höfling des Soldatenkönigs. Aber Autor, Schauspieler und Regisseur in Personalunion ist Neuland für ihn. Irgendwann müsse man aufhören, Autor zu sein, den Text abschließen und in die Rolle schlüpfen. Karl werden. Er hat sich für ein historisches Kostüm entschieden, trägt Rüstung und Mantel. Das Stück wird er überwiegend in Kirchen aufführen, das ist gut, aber auch irgendwie schade, weil es vordergründig eben nicht um Religion geht. In der „Nacht zu Worms“ ging es eben nicht nur um Religion – das wäre zu kurz gegriffen. Steffi Pyanoe

Premiere am 8. März um 19 Uhr in der Pfingstkirche, Große Weinmeisterstraße 49, der Eintritt ist frei

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