zum Hauptinhalt

Kultur: Wenn Ampeln zu Dinosauriern werden

Der Künstler Götz Lemberg zeigt in seinem Bildband „Havelcuts. Porträt einer Flusslandschaft“ ungewöhnliche Ansichten entlang der Havel. Mit dem Blick des Wassers fängt er etwa Stadtansichten von Potsdam ein, die so gar nicht existieren.

Von Sarah Kugler

Es gibt sie. Diese Spiegelbilder im Wasser, die Türen zu anderen Welten öffnen. Die es schaffen, aus ganz alltäglichen Ansichten magische Wesen zu formen oder einfache Straßen in geheimnisvolle Pfade zu verwandeln. Götz Lemberg hat so eine wundersame Spiegelung gefunden und fotografisch festgehalten. In seinem Buch „Havelcuts. Porträt einer Flusslandschaft“, das in diesem Jahr erschienen ist, ist sie großformatig zu sehen.

Auf den ersten Blick scheint nichts Besonderes an der Aufnahme auf den Seiten 26/27. Sie zeigt ein typisch Brandenburgisches Landschaftsbild: Einfache Häuser mit trister, braun-gelber Fassade, einen Baum im Vordergrund, rechts ein paar Ampeln. Zunächst deutet nur ein geschecktes Kiesufer in der rechten oberen Ecke darauf hin, dass es sich hier um ein Spiegelbild handelt. Und dann werden sie plötzlich deutlich: die Häuserdächer, die sich leicht kräuseln, die algenartige Struktur des Baumes und die Ampeln mit den zerbeulten, leicht verschobenen Masten. Wie Dinosaurierhälse sehen sie aus, auf denen seltsame Köpfe mit drei großen Augen sitzen. Und dann, nach und nach, erschließt sich beim längeren Betrachten eine völlig andere Landschaft. Eine Unterwasserwelt etwa, mit einer versunkenen Stadt oder auch etwas Jenseitiges, Verschobenes.

Mehrere von Götz Lembergs Aufnahmen sind von dieser faszinierenden Änderlichkeit. Etwa, wenn er Wolken großformatig abbildet oder einfach nur das Wasser der Havel – ohne Ufer, ohne Horizont. Die Havel ist überhaupt – das verrät schon der Buchtitel – der Ausgangspunkt jeden Bildes in seinem Buch. Bei einer Fahrradtour im Jahr 2013 haben ihn der Fluss und die Landschaft herum in seinen Bann gezogen, wie Lemberg in der Einleitung schreibt. Die „Havelcuts“ entstanden in den Jahren danach. Fotografien und Lichtinstallationen sind Lembergs Spezialgebiet. Die Werke des 1963 in Frankfurt am Main geborenen Künstlers wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet und waren in verschiedenen Ausstellungen zu sehen. Im vergangenen Jahr zeigte er seine „Havelcuts“ – damals noch als „H _ V _ L CUTS“ – unter anderem in Werder (Havel) und in Potsdam. Dieses Jahr ist der dazugehörige Bildband erschienen.

Seine Fotos porträtieren die Havel „von Potsdam bis zur Elbmündung“, ungefähr 170 Kilometer lang war sein Weg. Das Besondere: Lemberg blickt nicht auf den Fluss, sondern lässt diesen auf die Landschaft schauen. Der Blick des Wassers reicht dabei oft tief in die Stadt hinein. In verschiedene Orte Potsdams etwa. So gibt es eine doppelseitige Bildstrecke, die den Blick von der Nagelkreuzkapelle, über den Brandenburger Landtag und das Rechenzentrum bis hin zum Babelsberger Park zeigt. Bilder, die eigentlich nicht zusammengehören, bilden doch eine Einheit. Nur getrennt durch weiße Linien, die Cuts, wie Lemberg sie nennt. Schnitte, die seine Bilder teilen, aber eigentlich erst zusammensetzen. Denn Lemberg fotografiert die Havellandschaft in einzelnen Teilen: Mal ist darauf nur Wasser zu sehen, mal nur Himmel, dazwischen eine Stadtsilhouette. In seinem Studio setzt er dann alles zusammen, es entstehen Mosaike.

Wie eines von Potsdam auf Seite 103. Es zeigt den Blick von der Havel auf die Glienicker Brücke, die Berliner Straße, das Hans Otto Theater, den Turm der Heilig-Geist-Residenz, wieder den Landtag und das Dampfmaschinenhaus. Ob die gezeigten Himmel- und Wasserstücken wirklich immer zu den jeweiligen Mittelbildern gehören, ist nicht klar. Nur der obere Teil des Turmes, der in die Wolken ragt, deutet darauf hin, dass Lemberg in seiner Fotomontage auch tatsächlich die eigentliche Landschaft wieder zusammengesetzt hat. Letztendlich ist das aber nicht wichtig. Allein der Kunstgriff, all diese Potsdamer Orte zu einem Bild zusammenzufügen, ist genug, um zu staunen. Über die Illusion, die Glienicker Brücke und das Dampfmaschinenhaus würden nur wenige Meter auseinanderliegen. Dieses verdichtete Potsdam, das man schon oft geglaubt hat, gesehen zu haben, obwohl es in der Form gar nicht existiert.

Namen hat Lemberg seinen einzelnen „Havelcuts“ nicht gegeben. Wo sich der Betrachter in dem jeweiligen Bild befindet weiß er – oder weiß er eben nicht. Störend ist das nicht. Im Gegenteil: So bleibt mehr Raum, die Havellandschaften für sich selbst zu entdecken. Ungebunden, mit individuellem Blick. Denn auch wenn nicht jedes von Lembergs Bildern ein Tor zu einer neuen Welt öffnet, laden sie doch fast alle zum Verweilen ein. Zum Versinken geradezu. Nicht nur in dem immer wieder neu entdeckten Lauf der Havel selbst, sondern auch in den Fenstern, den Alleen, ja selbst den leeren Feldern am Straßenrand. Von Lemberg mit seinen Cuts neu zusammengefügt, gibt es auch in deren braunen Furchen noch Romantik zu entdecken. Und wenn nicht die, dann doch zumindest die Lust, dem heimatlichen Fluss selbst einmal zu folgen. Ihn neu zu entdecken, sich von gewohnten Perspektiven zu lösen und eigene Spiegelbilder zu finden. Solche, die Ampeln in langhalsige Dinosaurierwesen verwandeln.

Götz Lemberg, „Havelcuts. Porträt einer Flusslandschaft“, 150 Seiten, Braus 2017, Preis: 24,95 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false