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Viel Spaß am Sex, wenig Spaß an Kindern. Kabarettistin Tatjana Meissner.

© A. Klaer

Kultur: Weniger Ostalgie, mehr Sex

Zwei Kabarett-Premieren waren am Wochenende zu erleben: von Tatjana Meissner und dem Team vom Obelisk

Sex geht immer, das ist nicht neu, manchmal immerhin die Verpackung. Potsdams selbsternannte Sexpertin Tatjana Meissner präsentierte am Samstag ihr neues Programm „Sexuelle Evolution“. Die Waschhaus-Arena ist zur Premiere knackevoll mit Gästen, die darauf warteten, dass die Frau in Rot ihnen auf unterhaltsame Weise erklärte, was sie schon längst wussten. Nämlich dass es weniger Kinder gibt, weil viele Menschen keinen Spaß an Sex finden. Unvorstellbar. „Ich möchte darüber reden, weil wir mehr Kinder brauchen.“ Bei Tatjana Meissner ist es wohl umgekehrt, so der Eindruck, viel Spaß am Sex, aber weniger Spaß an den Kindern. Sie wohne in Potsdam-West, die dortige Clara-Zetkin-Straße sei deutschlandweit die mit der höchsten Kinderquote. Und so hat die Dreiundfünfzigjähre, die darauf wartet, endlich Oma zu werden, Stress inmitten all der Bio-Öko-Familien, die ausschließlich Selbstgefilztes tragen, den Hausflur mit einer prächtigen Kinderwagenflotte blockieren und Lars, Maria und Finn großziehen, die partout machen müssen, was sie wollen. War früher nicht so, sagt die Kabarettistin. Das Publikum findet das toll. Im Publikum sitzen viele, die wie die schrille Meissner ostsozialisiert sind. Die Rentner müssen als nächstes herhalten: Sie seien mit ihren Flatulenzen die treibende Kraft des Klimawandels, Tatjana Meisser ängstigt sich vor all dem Methanausstoß. Das unterstützt ihre These von mehr Sex – für mehr Kinder.

Im Grunde sei alles sehr einfach, die Bonobos im Urwald machen es vor. Machen Liebe, wenn es brenzlig wird im Dschungel. Deeskalationssex. Die Weibchen also haben es in der Hand, so wie die Frauen für die gute Laune der Männer verantwortlich sind. Womöglich sei deshalb Frau Merkel beim G8 so unverzichtbar – als ausgleichende Kraft. Tatjana Meissner spricht aus eigener Erfahrung. „Ich hab für Männer eine Fernbedienung“, singt sie und schwenkt eine giftgrüne Federboa. Auch wenn ihre Batterien für die Fernbedienung schon etwas runter seien. Sie werde sich mal nach einem Toyboy umsehen, ein jüngerer Mann kann ja nicht schaden, wie man an Madonna sieht. Und so tanzt und singt Tatjana Meissner sich atemlos mit Madonnas Hit „Vogue“.

Das ist eine beachtliche Leistung, wie Tatjana Meissner mehr als zwei Stunden allein auf der Bühne bestreitet. Dass sie singt und tanzt, Songs von ihr und dem bewährten Produzententeam für Musik und Texte: Stefan Klucke, Tobias Saalfeld, Peter Eichstädt und Andreas Bandow. Ein Programm, in dem sie allerdings insgesamt etwas ruhiger daherkommt als gewohnt, so scheint es manchen Gästen. Zwischendurch gibt sie die weise Aufklärerin, beim Kollegen Dieter Nuhr hat sie sich das sanfte Timbre und ein schnurrendes „Kein Scherz“ abgeschaut, wenn sie von einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnis spricht. Dann zerlegt sie die These, hält Zwiegespräche mit „Mutti“ im Bilderrahmen und findet stets eine überraschende Wendung zurück zum Sex. Oder was damit zu tun haben könnte, die Dirndlaffäre eines eigentlich längst vergessenen FDP-Politikers etwa wird noch einmal aufgewärmt. Kritisiert wird, dass die Deutschen kein schönes Wort für Sex haben. Ist aber der Evolution geschuldet. Denn die Deutschen sind im dunklen Eichenwald groß geworden, während die Italiener bereits am Strand lagen. „Männer sind wie Eichhörnchen, niedlich und fleißig, aber scheu und trottelig“, singt sie über den Teutonen. Trottelig also. „Der Typ mit dem markanten Gesicht hat gute Gene, von dem wollen wir ein Kind. Der Mann mit dem runden, weichen Gesicht ist der Trottel, der dafür bezahlt.“ Das wussten wir schon, aber manches ist immer wieder einen Lacher wert. Und auch ein bisschen Ostalgie tut gut: Erinnern an die erste Liebe, Schnabels „Mann und Frau intim“, das unter der Bettdecke gelesen wurde. Immerhin erspart Tatjana Meissner dem Publikum einen übermäßigen Gebrauch des sächsischen Dialekts.

Im Kabarett Obelisk hingegen flogen den Zuschauern am Freitag jede Menge Ostalgie inklusive des Sächsischem, was dem blöden Ossi per se angehängt wird, um die Ohren. Das neue Programm der drei Komiker des Hauses heißt „Bockwurst an Banane“, eine Ode an 25 Jahre Nachwendezeit und damit eine pralle Stopfgans mit allem, was der Ossi noch nicht verarbeitet hat und ihm noch immer bisweilen übel aufstößt. Gretel Schulze, Helmut Fensch und Andreas Zieger sangen und manövrierten sich tapfer durch die Traumata der Ostdeutschen, der einzige rote Faden des Abends. Die Grenzpolizisten waren dumme Sachsen, und noch heute sind die Ossis zu blöde zum Faxe verschicken, kleben eine Briefmarke drauf. Dabei haben sie doch den Westen gerettet und nach der Wende Schrottautohändler, Beate Uhse und Karstadt saniert. Immerhin, der Westen ist moderner geworden, es gibt Frauen in der Regierung, Flinten-Uschi zum Beispiel. Und wenn Gretel Schulze die Merkel macht, dann ist das wirklich lustig. Wahlkampf findet in der einstigen Stammkneipe der Blockparteien statt, es sind auch dieselben Leute, früher DSF, dann CDU und heute AfD. Das hatte für tagespolitisch informierte Zuhörer durchaus Witz. Aber wie war es wirklich, damals im Osten? „Wir haben den Farbfilm vergessen“, singen sie, wir wissen es also nicht. Unverfänglicher ist das Thema Fußball für die diesjährigen Weltmeister, beim Fußballquiz gibt’s sogar Preise, nämlich Bananen für die Gewinner. Die will aber keiner haben, und Gretel Schulze singt vom heutigen Einkaufsstress „Hier in Nettohoo“, bei Elvis hieß der Song „In the Ghetto“. Das muss man den Dreien schon lassen: Die irren Lieder gehen ihnen nie aus. Steffi Pyanoe

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