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Wellemeyer verlässt Hans Otto Theater Potsdam: Das Fremdeln blieb

Tobias Wellemeyer, der scheidende Intendant des Hans Otto Theaters, hat den Graben zum Publikum nie ganz überwunden. Warum?

Potsdam - Was ist das, was zwischen diesem Mann und Potsdam steht? Was stört die Potsdamer an Tobias Wellemeyer? Es stimmt, wenn der Intendant das Hans Otto Theaters zur Spielzeit 2018/19 verlassen wird, weil, wie jetzt bekannt wurde, die Stadt seinen Vertrag nicht verlängert, dann ist das erstmal normal. Ein bisschen seltsam ist nur, wie die Nicht-Verlängerung gelaufen ist. Beim zehnjährigen HOT-Jubiläum im Herbst: Noch kein Wort vom Oberbürgermeister Jann Jakobs, der über die Stelle des Intendanten entscheidet. Dabei wäre da der richtige Zeitpunkt gewesen: „Üblich ist es im Theaterbetrieb, zwei Jahre vor Auslaufen des Vertrages zu informieren“, sagt Meike Finck, Schauspielerin und Ensemblesprecherin am HOT. Das immerhin wäre fair den Schauspielern und dem Team gegenüber gewesen, deren Verträge – es geht um 50 bis 60 – fast alle an die von Wellemeyer geknüpft sind, und die so die Bewerbungsrunde im vergangenen Herbst verpasst haben. Somit bleibt ihnen nur noch die im kommenden Herbst, um sich etwas Neues zu suchen. Ein neuer Intendant wird sein eigenes Ensemble mitbringen. Das ist normal, und sorgt doch anderswo für Wut und Trauer – wie aktuell bei der Berliner Volksbühne.

Doch während halb Berlin – zumindest der Teil, der ins Theater geht – schon jetzt Staatstrauer trägt und um Castorf weint, gibt es in Potsdam erstmal keinen Aufschrei. Nicht beim Publikum. Das hat mit Wellemeyer gefremdelt, seit er 2009 Uwe Eric Laufenberg als Intendant des Stadttheaters ablöste. Später ging das Fremdeln über in ein allgemeines Nörgeln. Klar, zu Laufenberg war und ist Wellemeyer immer ein Gegenentwurf gewesen. „Er ist keine Partykanone“, sagt Meike Finck, die mit Wellemeyer vom Theater in Magdeburg nach Potsdam gekommen ist. Was sie sagen will: Wellemeyer legt keinen Wert auf Publicity, er mag sich nicht gerne mit Stars ablichten lassen und er setzt auch nicht, wie Laufenberg, darauf, bekannte Gesichter als Gastschauspieler ans Haus zu holen. Für Glamour zu sorgen. Meike Finck sagt: „Ich finde, das ist eine Qualität.“ Man muss kein Dieter-Thomas Heck sein als Intendant. Wellemeyer, so Finck, macht sich ernsthaft Gedanken darüber, was die Welt und was diese Stadt bewegt. „Und er kann wahnsinnig lustig sein, bei den Proben. Ich denke aber nicht, dass das etwas ist, was er notwendigerweise als Aushängeschild für sich betrachtet.“

"Wellemeyer hat ein starkes Bedürfnis nach Relevanz"

Es stimmt, man hat nicht immer nur Liebevolles aus dem Ensemble gehört, im vergangenen Herbst machte die „Märkische Allgemeine Zeitung“ einen Brief aus dem Ensemble an Wellemeyer öffentlich, der ihm eine autokratische Führung vorwarf. Die Schauspieler beklagten, es gebe zu wenig innerbetriebliche Diskussionskultur, zu wenig Mitspracherecht. Außerdem soll, das zumindest vermittelte der Artikel, der Schauspieler Axel Sichrovsky als Konsequenz auf den Brief gekündigt worden sein. Viele Schauspieler allerdings fanden den Artikel aufgebauscht, selbst Sichrovsky sagte den PNN: „So einfach ist es nicht. Wellemeyer hat ein starkes Bedürfnis nach Relevanz, nach Öffnung, nach einem gesellschaftspolitischen Dialog nach außen hin. Und wenn man alleine, mit privaten Sorgen zu ihm kommt, hat er immer ein offenes Ohr und versucht wirklich auf persönliche Probleme einzugehen.“ Aber es gebe da eben auch ein massives Misstrauen Gruppen gegenüber, die sich kritisch äußern. „Da wird ganz schnell ein Putsch oder eine Revolution gesehen, wo es nur um den Willen, mehr einbezogen zu werden, geht“, so Sichrovsky.

Trotzdem muss es großes Vertrauen zu Wellemeyer gegeben haben: „Viele der Schauspieler haben hier in Potsdam Familien gegründet, ein, sogar zwei Kinder bekommen – eine absolute Besonderheit im Theatergeschäft“, sagt Meike Finck. Das, was überall anders inzwischen gefordert wird – Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ist hier üblicherweise „ein Horror“, so Finck. Wellemeyer aber habe einen guten und liebevollen Umgang damit gehabt. Sie selbst arbeitet seit 15 Jahren unter ihm, „und in dieser Zeit hat er kaum Leuten gekündigt, da gab es immer eine hohe Kontinuität“. Jetzt aber, wo viele der Schauspieler-Kinder gerade eingeschult sind, „werden wir wohl alle gehen“, so Meike Finck.

So langsam ist das Potsdamer Publikum mit dem Ensemble warm geworden

Dabei ist ihr Gefühl: So langsam ist das Potsdamer Publikum warm geworden mit dem Ensemble, auch wenn das hier „länger als anderswo“ gedauert habe. „Jetzt aber wird uns viel gespiegelt: Ihr spielt so uneitel, so ehrlich miteinander.“ Trotzdem sei das Potsdamer Publikum ein Phänomen: „Manche Sachen laufen unerwartet wie von selbst – und zu ‚Don Carlos‘ etwa, der an anderen Theatern 30 ausverkaufte Vorstellungen gebracht hat, kamen hier vielleicht jeweils 80 Leute.“

„Wellemeyers Programm war schon anspruchsvoll und gut, erreichte aber die breite Masse nicht“, sagt denn auch Sascha Krämer, der für die Linke im Beirat des HOT sitzt. Vielleicht, glaubt er, hätte man den Potsdamern mehr Klassisch-Traditionelles bieten müssen. Gerade die aktuelle Spielzeit aber sei mit Stücken wie „Terror“ und „Geächtet“ sehr schwer.

Interessanterweise finden viele die Stücke, die Wellemeyer selbst inszeniert, wiederum oft zu klamaukig. Meike Finck sagt: Er hat gesucht, vieles ausprobiert, eben weil es immer ein bisschen unklar blieb, was das Potsdamer Publikum will.

Kinder sollen eine Chance auf kulturelle Bildung haben

Die schlechte Auslastung ist denn auch bei der Stadt schon lange Grund für Kritik: In der vergangenen Spielzeit lag sie bei knapp 64 Prozent. Es stimmt, andere Stadttheater kommen auf mehr, Jena etwa auf 72 Prozent, Magdeburg – wo Wellemeyer vorher war – sogar auf 96 Prozent. Dabei darf man nicht vergessen: Theater ist kein reiner Rechenbetrieb. In Potsdam, unter Wellemeyer, sind etwa 40 Prozent aller Veranstaltungen Vorstellungen des Kinder- und Jugendtheaters, bei denen Eintrittspreise vom Theater niedrig gehalten werden. „Weil damit auch unser Bildungsauftrag verbunden ist“, sagt HOT-Sprecherin Stefanie Eue. Es ist klar, dass Kinder – und zwar aus allen sozialen Schichten – eine Chance auf kulturelle Bildung haben sollten. Dazu kamen zuletzt preisgekrönte Angebote, bei denen sich Potsdamer und Geflüchtete austauschen können, wie die „Lange Nacht der Begegnung“, der „Refugees Club“, mit denen das Hans Otto Theater eine Spaltung der Gesellschaft, Hass und Ressentiments entgegenwirken will. Diese Veranstaltungen kosten bislang keinen Eintritt – auch, um jedem die Teilhabe zu ermöglichen.

Vielleicht wird dieses soziale Engagement Wellemeyers größtes Vermächtnis hier in der Stadt, ungeachtet der Tatsache, dass er großartige junge Talente wie etwa Alexander Nerlich und Wolfgang Menardi ans Haus geholt und ein wunderbares Ensemble zusammengehalten hat.

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