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Wandel im HOT Potsdam: Ein Abschied auf mehreren Ebenen

Nicht nur Tobias Wellemeyer verlässt zur kommenden Saison das Hans Otto Theater: Mit ihm geht auch Förderkreis-Chefin Lea Rosh.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Der Abschied fällt ihm schwer. Das ist Tobias Wellemeyer anzusehen am Sonntagvormittag während der Matinee im Glasfoyer des Hans Otto Theaters (HOT). Es ist die letzte Veranstaltung dieser Art unter seiner Intendanz, Thema sind die letzten beiden Premieren – „Der Sturm“ und „Effi Briest“ – in dieser Spielzeit und natürlich der bevorstehende Wandel im Haus. Als eine ambivalente Zeit beschreibt Wellemeyer den jetzigen Zustand. 

„Es fällt mir schwer, loszulassen“, sagt er am Sonntag ganz offen. Das Haus sei sein Leben, alles ist sehr komplex. Er sagt das ohne Bitterkeit. So ein Bruch sei in der Theaterszene vollkommen normal und auch vollkommen richtig – wenn auch nicht völlig schmerzfrei. „Es wäre schöner gewesen, wenn es nicht so eine lange Eierei gegeben hätte, das hätte vieles einfacher gemacht“, ist sein einziger Vorwurf an die Stadt. Lange stand nicht fest, ob Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) nicht doch einer Verlängerung der Intendanz zustimmen würde – letztendlich entschied er sich wie berichtet dagegen. 

Ein unmöglicher "Kahlschlag"

Unmöglich, wie Lea Rosh, Chefin des Förderkreises des HOT findet. Mit Wellemeyer, der jetzigen Chefdramaturgin Ute Scharfenberg sowie vielen Ensemblemitgliedern, verlässt auch sie nun das Theater. Auch weil sie den „Kahlschlag“, wie sie die Ensembleumstrukturierung der zukünftigen Intendantin Bettina Jahnke nennt, nicht verzeihen kann. Es sei ein wunderbares Ensemble, wie auch Wellemeyer sagt. Eines, mit dem sogar anspruchsvolle Musical-Produktionen wie „Rio Reiser“ oder „My Fair Lady“ problemlos gestemmt werden konnten. Das sei nicht selbstverständlich. Ein Schauspieler, der in diesem Zusammenhang besonders in Erinnerung geblieben ist – sei es als Professor Higgins in „My Fair Lady“ oder als Albin in „La Cage aux Folles“ – ist Bernd Geiling. Auch er verlässt nun Potsdam und geht nach Saarbrücken. 

Abschiedsstück: "Der Sturm"

Bevor es soweit ist, feiert er noch eine letzte Premiere am HOT: Als Prospero in Shakepeares „Der Sturm“ unter der Regie von Tobias Wellemeyer. Viel Erfahrung mit Shakespeare habe er noch nicht, wie er am Sonntag sagt: "Aber es ist ja noch nicht zu spät." Zu viel Erfahrung in einem Gebiet zu haben, sei sowieso nicht allzu gut. Seine Figur Prospero bezeichnet er mehr als philosophisches Konstrukt, denn als lebendige Figur. "Es geht darum, wie man die Welt von außen betrachtet, was durchaus auch die Position des Künstlers, des Schauspielers ist", sagt er. Seine Figur müsse zunächst innere Dämonen überwinden, bevor er einen Aufbruch zulassen kann. 

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Wellemeyer nach neun Jahren in Potsdam dieses Stück als letzte Regiearbeit vor Ort gewählt hat. Es ist ein Abschiedsstück auf vielen Ebenenen: Shakespeare beendete damit seine Karriere als Stückeschreiber, der Protagonist Prospero muss seine Tochter gehen lassen und diese wiederum verabschiedet sich von ihrer Kindheit. „Das Stück beschreibt einen Abschied von der Kunst, von Macht“, sagt Wellemeyer. Es sei ein Gang in die Einsamkeit, letztendlich ein Gang in den Tod – aber auch einer hin zur Vergebung. 

Wellemeyer wird in Deutschland und Österreich inszenieren

Wellemeyer selbst ist auch ein wenig froh, dass jetzt eine Phase beginnt, in der er ein wenig kürzer treten kann. Nach seiner Intendantenzeit in Potsdam wird er viel inszenieren - in Deutschland, aber auch in Österreich. So wird er Lessings "Miss Sara Sampson" in Bregenz und "In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Eugen Ruge in Halle auf die Bühne bringen. Außerdem gibt es Überlegungen, das Potsdamer Erfolgsstück "Unter Leuten" in Berlin wieder aufleben zu lassen, noch sei aber nichts spruchreif, wie Wellemeyer am Sonntag sagt. 

Ute Scharfenberg hatte den Roman von Juli Zeh in eine Bühnenfassung umgeschrieben, mit Wellemeyer verbindet sie eine 18-jährige Zusammenarbeit. Als "eheartige Beziehung" bezeichnet Wellemeyer das Verhältnis am Sonntag - eines, das nun aufgelöst wird. Wo es Ute Scharfenberg nach Potsdam hinziehen wird, weiß sie noch nicht, sie habe mehrere Optionen, die sie abwegen müsste. Für ihre Zusammenarbeit mit Wellemeyer hat sie nur lobende Worte: "Er ist ein starker Entwickler, der Menschen begeistern kann und Handschriften erkennt", sagt sie. Wellemeyer spricht von ihr umgekehrt als diszipliniert, klar und zuverlässig, während er selbst viel aufbrausender und weinerlicher sei - ein emotionaler Sonntag. 

Emotionaler Rückblick

Rückblickend fällt es beiden schwer, ihre Lieblingsstücke zu nennen. Einig sind sie sich bei Ibsens "Die Wildente", Wellemeyers erstes Regiestück in Potsdam. Bernd Geiling kann sich hingegen einen kleinen Seitenhieb gegen den "Macbeth-Zwischenfall, den wir hier vor neun Jahren hatten" nicht verkneifen. Gemeint ist die erste Inszenierung unter Wellemeyers Intendanz - eine "Macbeth"-Inszenierung von Lukas Langhoff, die sehr divers aufgenommen wurde. 

Viel mehr als die einzelnen Stücke sei Wellemeyer jedoch die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Künstlern in Erinnerung geblieben, die unmittelbare Begegnung mit dem Publikum. Bei "Stadt für eine Nacht" im Juli - ein Konzept, das auf Initiative von Wellemeyer entstanden ist - wird es davon sicherlich noch reichlich geben. Bis dahin möchte Wellemeyer noch nicht groß von Abschied sprechen. Schließlich stünden noch zwei Premieren dazwischen. Und doch: Viel Zeit ist nicht mehr, räumt er ein. Es klingt wehmütig. 

„Der Sturm“, Premiere am 18. Mai ist ausverkauft, nächste Vorstellung am 19. Mai, 19.30 Uhr

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