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Kultur: Vor dem Fall

Neun Themen, neun Bilder: Die PNN begleiten die Ausstellung „Hinter der Maske. Kunst in der DDR“ im Museum Barberini mit einem Rundgang durch die Themenkreise der Schau. Teil 9: Trak Wendisch und „Maskenspiele. Verkleidung und Verhüllung“

Der Abschluss der PNN-Reihe zur Schau „Hinter der Maske“ führt zu ihrem Anfang zurück. Zu dem Motiv, mit dem die Ausstellungsmacher schon vorab warben. Zum „Seiltänzer“ von Trak Wendisch. Seit der Eröffnung der Schau im Oktober letzten Jahres blickt der Gaukler mit den schreckgeweiteten Augen signalrot überlebensgroß vom Eingang des Museums Barberini über den Alten Markt. Wir sehen ihn von unten. Isoliert, wankend, den Blick in den Abgrund gerichtet, in den er zu fallen droht. Der Hintergrund bedrohlich schwarz. Den Seiltänzer als Maskottchen zu beschreiben, machte ihn zu klein – aber er ist ein Eyecatcher. Und er ist mehr, er ist Symbol für das, was das Museum mit seiner Schau will. Er ist gewissermaßen das rote Herz des umstrittenen Labels „Künstler in der DDR“, so wie die Kuratoren Michael Philipp und Valerie Hortolani es verstehen.

Ein guter Zeitpunkt also, um grundsätzlich zu werden. Steht man mit Kurator Michael Philipp vor Wendischs Werk, kommt das Grundsätzliche ganz von selbst zur Sprache. In der Ausstellung hängt „Der Seiltänzer“ in dem Raum, der der Schau den Namen gab: „Maskenspiele. Verkleidung und Verhüllung“ – und schon dieser Titel sorgte bei vielen DDR-sozialisierten Besuchern und auch bei einigen Künstlern selbst für Unmut. „Etliche Künstler aus der DDR stören sich an dem Titel“, sagt Philipp. „Weil sie sagen: Wir hatten keine Maske nötig, mit dem Titel impliziert ihr, dass man sich aus politischen Gründen verstellen musste.“

Wer so argumentiert, sagt Philipp, verkennt das eigentliche Ziel der Schau. Wer angesichts des Titels vermute, dass die Lesart politisch gemeint sei, dass die Schau Zwischen-den-Zeilen-Leserei betreibe, der irre sich. Philipp geht es um die Maske als Kulturelement, „und die gibt es seit 1000 Jahren“. Zudem spiele jeder Rollen, der Künstler erst recht, sagt Philipp und verweist auf Rembrandt und seine rund 60 Selbstporträts. „Künstler denken über sich nach, in der Verkleidung“, sagt Philipp. „Das hat erst mal mit Politik überhaupt nichts zu tun.“

So ähnlich beschreibt das auch Trak Wendisch selbst. 1958 als René Wendisch in Berlin geboren, gehörte er in den 1980er-Jahren zur Künstlerszene im Prenzlauer Berg. Anders als Künstler wie der zehn Jahre ältere Hans-Hendrik Grimmling, der die DDR aus Angst um seine eigene Integrität als Künstler verließ, kämpfte Wendischs Generation nicht mehr mit dem Staat, in dem sie lebten. Er interessierte sie einfach nicht. „Wir haben von diesem Staat nichts mehr erwartet“, sagt Wendisch heute. Man rang nicht mit dem Staat, wollte nichts von ihm. Auch nicht, anders als Künstler wie Bernhard Heisig, öffentliche Funktionen.

Heisig war einer der Lehrer von Trak Wendisch, auch von ihm hängt ein Gemälde in dem Raum „Maskenspiele“: ein Selbstporträt von 1982. Es zeigt Heisig als Puppenspieler, mit zähnefletschendem Lachen. In den Händen hält er eine Marionette, ein Knochengerippe. Heisig war damals Vizepräsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR, war Künstler und Funktionär in einem. Als solcher schuf er auch den „Ikarus“ von 1975 für den Palast der Republik. Auch der ist im Museum Barberini derzeit zu sehen, im letzten Stock. Es gehört zu dem, was Trak Wendisch nicht als Staatskunst bezeichnet, sondern nur als: „den Krempel da oben“. Keine Wut. Spöttisches Desinteresse.

Trotzdem führt „der Krempel da oben“ dazu, dass Wendisch über die Schau, dessen Aushängeschild er geworden ist, sagt: „Das ist in der Gesamtheit nicht mein Ding.“ Zu grau ist ihm das, was hier gezeigt wird, inhaltlich „zu unscharf“. Natürlich freut er sich, ausgestellt zu werden. Und den Ansatz von „Hinter der Maske“, die kunsthistorische Perspektive, findet er „akzeptabel“. Akzeptabel, das ist nicht weit weg von der Kategorie „spöttisches Desinteresse“. Anders sah Trak Wendisch 2016 die Ausstellung „Gegenstimmen“ im Martin-Gropius-Bau, kuratiert von Christoph Tannert. Tannert konzentrierte sich damals auf dissidentische Kunst aus der DDR, klammerte Künstler mit zu viel Staatsnähe ungeachtet ihrer künstlerischen Qualitäten aus. „Da stand ich uneingeschränkt dahinter“, sagt Trak Wendisch. Mit dem Kunsthistoriker Tannert war er schon in den 1980er-Jahren in Kontakt, in der Phase der „prä-demokratischen Zustände“. Durch Tannerts Unterstützung konnten Ausstellungen wie die im Jahr 1984 im Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft zustande kommen, in dem der „Seiltänzer“ von Trak Wendisch zum ersten Mal zu sehen war. Die Resonanz auf die Schau war enorm, die Gästebücher schnell voll. Viele erschrockene Kommentare, aber auch viele ermutigende. Der Katalog dazu durfte nicht gedruckt werden.

Wenn Trak Wendisch heute beschreibt, wie der „Seiltänzer“ damals entstand, spricht er von der Form. Ja, da war die Idee, einen Seiltänzer zu zeigen. Aber vor allem suchte er eine Komposition unter einer „möglichst unerträglichen Spannung“. Daher die auseinanderstrebenden Linien, der spitze Hut, der Balancierstab, das Seil. Es war eine Zeit, in der die Menschen unter Hochspannung standen. Es bestand ein enormer Druck, sagt Trak Wendisch. All die Freunde, die in den Westen gingen. Die Kunst war das einzige Ausdrucksmittel, ein Kommunikationsmittel, das damals auch eine kunstferne Schicht suchte und verstand. Das ist heute anders, sagt Wendisch.

Die Balance wurde zu seinem lebenslangen Hauptthema. „Nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Gefühl heraus.“ Figuren, die kaum mehr stehen können, kurz vor dem Fall. Das gilt auch, ganz besonders vielleicht, für seine Skulpturen. Für die auf langen, dünnen Beinen hoch aufragenden menschlichen Bronzefiguren oder die Bronzenadel ohne Titel aus den 90er-Jahren. Oder für die nicht-figürlichen „Schwinger“ oder die Scheiben aus den 2000er-Jahren. Der „Seiltänzer“ bekam 2003 noch ein Geschwisterpaar aus Bronze: In 23 Metern Höhe schwebt es auf einem Seil über den Hof des Auswärtigen Amtes. Aufrechten Gangs, statt des Balancierstabs, haben die beiden Figuren die Arme weit ausgebreitet. Eine schreitet übers Seil, die zweite ist ihr gefallenes Spiegelbild. 1984 und 2003: Der Mensch bleibt ein Wesen kurz vor dem Fall.

Mit dem Label der DDR-Kunst konnte Wendisch schon damals nichts anfangen, heute ist das genauso. „Meine Generation sagte: Wir machen deutsche Kunst.“

Gibt es dennoch etwas DDR-Kunst-Spezifisches, Herr Kurator? „Die Uneigentlichkeit“, sagt Michael Philipp. „So wie in der Sprache: Man sagt etwas, glaubt aber nicht dran. Die anderen hören es, glauben auch nicht dran, aber alle machen mit. Sie sagen etwas Uneigentliches.“ Genauso sei das bei der Malerei mit der Maske. Die Künstler, findet er, zeigen ihr uneigentliches Gesicht und sagen so: „Das, was ihr hier seht, bin ich als Staatsbürger, als Mitglied des Künstlerverbandes, als Auftragnehmer eines Staatsauftrages, aber eigentlich könnt ihr mich alle mal, denn mein eigentliches Gesicht ist hinter der Maske.“ Aber stimmt das auch für das blanke, schreckverzerrte Gesicht des „Seiltänzers“?

Noch bis zum 4. Februar kann man dem im Museum Barberini nachgehen.

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