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Swingende Stadtführung. Von der Freundschaftsinsel über den Platz der Einheit bis zum Nauener Tor tanzten sich gestern Paare des internationalen Swingworkshops, der an vier Tagen rund 150 Teilnehmer bei Kursen, Bällen und Konzerten vereint. Zum heutigen Großen Swingball in der Schinkelhalle und zum morgigen Swingtea Special in der fabrik gibt es für alle, die Lust auf ein leidenschaftliches Tanzgeflüster verspüren, noch Karten.

© Manfred Thomas

Von Lena Schneider: Cowboys der Zierkirschenkolonie

Auf der Freundschaftsinsel: Martine Pisani erobert mit „as far as the eye can hear“ öffentlichen Raum

Eine mutige Entscheidung der fabrik: in die Mitte gerade dieses regnerischen, wenig einladenden Monats Mai eine Freiluftveranstaltung zu stellen. Noch mutiger: Sich nicht vom Feiertag, auf den die Premiere dieser Veranstaltung fiel – früher feierte man die Himmelfahrt, heute vor allem männliche Trinkfestigkeit –, irritieren zu lassen. Oder war die Dopplung gewollt? Als Experiment, wie sich zeitgenössischer internationaler Tanz mit – die Zuspitzung sei verziehen – zeitgenössischer deutscher „Feiertagskultur“ versteht, wenn beide, wie jetzt auf der Freundschaftsinsel geschehen, um den gleichen öffentlichen Raum ringen? Ob Zufall oder Planung, das Aufeinandertreffen der beiden hat Seltenheitswert. Denn: Die das eine feiern, können mit dem andern meist nichts anfangen. Und oft wollen sie es auch gar nicht.

Nebenbei oder absichtlich – mit der deutschen Erstaufführung ihres Stückes „as far as the eye can hear“ auf der Freundschaftsinsel ließ die Pariser Choreografin Martine Pisani beiden Seiten, Tanzpublikum und Trinkgemeinschaft, keine Wahl: Eine Gruppe sich selbst als „Herren“ feiernder Jungs, die sich mit Bier auf der Freundschaftsinsel festtäglich eingerichtet hatten, mussten die Störung durch Pisanis sich fremd und seltsam ausufernd bewegende Tänzer auf ihrem Terrain hinnehmen. Und im Gegenzug konnten die Besucher der Tanztage-Veranstaltung die Anwesenheit der bierseligen Jungs, die ihren Platz neben der improvisierten Tribüne beharrlich verteidigten, kaum überhören. Selten ist das kulturelle – und, klar, damit auch das soziale – Spektrum der Stadt intensiver spürbar geworden. Dass das gerade der zeitgenössische Tanz schafft, von vielen als elitär und wirklichkeitsfremd wahrgenommen, ist schlichtweg großartig.

Dabei ist das Beeindruckende an Martine Pisanis Arbeit, dass sie nie wirkt als wolle sie irgendwie beeindrucken. Das war schon bei „Hors sujet ou le bel ici“ 2007 oder „Profit and Loss“ bei den Tanztagen 2009 so: Pisanis Arbeiten sind genau, konzentriert, dabei aber federleicht, humorvoll, leise selbstironisch. Mit klassischem Tanz hat sie wenig am Hut.

Auch in „as far as the eye can hear“ kommt Tanz vor allem als verfremdete Alltagsbewegung vor: ein verlangsamter Sprung, eine Joggingbewegung in Slowmotion, übertriebenes Händeschütteln, scheinbar unmotiviertes Laufen und Rennen. Die große Komik ergibt sich daraus, dass die Tänzer immer ganz genau wissen, was sie tun, auch wenn nicht klar wird, warum sie es eigentlich tun. Warum muss man eine Plastikfolie am langen Band quer über den Rasen zerren, langsam, selbstverständlich, zielstrebig ohne Ziel? Weil man eben muss!

Es sind diese Fragezeichen, die Irritation selbst, die gerade einem „kunstfernen“ Umfeld wie der Freundschaftsinsel so ungeheuer gut tun, führen sie doch dazu, dass man das längst Bekannte neu sieht, und womöglich Neues darin erkennt.

Die zufällig vorbei schlendernden Fußgänger sahen’s mit Überraschung, Befremden und vor allem Neugier, wie Nilo Gallego, Theo Kooijman und Ludovic Rivière durch Sprünge, Kreiseldrehungen, Laufbewegungen den botanischen Garten eroberten. Aufrecht, den Horizont fest im Blick, stolzieren sie an einer Stelle dem Publikum davon, auf dem Gras in die Knie und schließlich auf den Boden sinkend, als würden sie immer kleiner – die Schlusssequenz eines Italo Western. Cowboys in der Zierkirschenkolonie, das Gras ihre Prärie. Vorne der wilde Westen, im Rücken die Potsdamer Lange Brücke.

Der Tanzbereich ist nicht abgetrennt vom restlichen Parkgelände. Weswegen immer wieder Spaziergänger zu unfreiwilligen Protagonisten werden – und der öffentliche Raum, indem Pisani tanzen lässt, dadurch zum Thema. Die Stadt kann und will Pisani nicht aussperren. Das gilt für Geräusche (Sirenen, Kinder, Signalhörner) genauso wir für Menschen.

Dass es Martini in „as far as eye can hear“ laut Programm darum geht, wie sich die Zeit in Wetter und Landschaft vermittelt, scheint angesichts dessen gar nicht so interessant wie die Frage, wie eine fremde Bewegung sich in die Stadt einschreibt und wie im Gegenzug Potsdam und die Potsdamer im Tanz Platz finden. Die Antwort, die einige der Umstehenden Zaungäste darauf gaben – Zwischenrufe, Störung, vorzeitiges Klatschen – ist nicht die einzige, das hat Pisani bereits gezeigt.

Geregnet hat es übrigens nicht auf diesen außergewöhnlichen Versuch, die Stadt und ihr Tanztheater ineinander zu spiegeln. So ergeht es den Mutigen. Die Choreografin selbst war zufrieden. Nur, sagte sie nach dieser Feiertagsvorstellung, an Wärme hat es ein bisschen gefehlt.

Martine Pisanis „As far as the eye can hear“ ist am heutigen Samstag um 18 Uhr erneut auf der Freundschaftsinsel zu sehen. In der fabrik in der Schiffbauergasse tanzt heute um 20 Uhr das Collectif Petit Travers aus Toulouse. Zu sehen ist ihr Stück „Pan Pot“. Im Container in der Schiffbauergasse gibt es zudem alle 15 Minuten das trickreiche Spiel mit Licht und Schatten von Kondition Pluriel „Entre-Deux“

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