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Von Klaus Büstrin: Endzeitstimmung

Bühnenadaption von Uwe Tellkamps „Der Turm“ mit ausdrucksstarken Bildern am Hans Otto Theater

Anfang November 1989. Der Dresdner Arztsohn Christian Hoffmann, für drei Jahre Soldat bei der Nationalen Volksarmee, erlebt wie seine Mutter bei einer Demonstration gegen den Unrechtsstaat DDR von Volkspolizisten mit Knüppeln niedergeschlagen wird. Christian kommt ihr zu Hilfe, muss daraufhin in der Kaserne mit dem Schlimmsten rechnen, mit Knast in Schwedt. Doch der diensthabende Offizier erkennt wohl den Untergang des Sozialismus und übergibt dem Soldaten einen Urlaubsschein mit den Worten: „Sagen Sie einfach danke, Genosse Hauptmann. Wir sind gar nicht so.“

Mit diesem „Wir sind gar nicht so“ endet auch abrupt die Dramatisierung des Romans „Der Turm“ von Uwe Tellkamp. Am Samstagabend hatte sie am Hans Otto Theater als dritte Bühnenadaption nach Dresden und Wiesbaden ihre gefeierte dreistündige, nie ermüdende Premiere.

Überraschend hauchte für viele Zeitgenossen vor 21 Jahren der „sozialistische Staat“ sein Leben aus. Doch die meisten DDR-Bürger wollten es so. Regisseur Tobias Wellemeyer ist gebürtiger Dresdner. Er kennt die Atmosphäre sowie das Kulturbürgertum von „Elb-Florenz“ zu DDR-Zeiten aus eigener Anschauung sehr genau. Und diese Erfahrungen brachte er in seine Inszenierung von Uwe Tellkamps „Der Turm“ mit ein. Es war ihm sicherlich auch ein inneres Anliegen, die Dramatisierung des Romans selbst auf die Bühne zu bringen.

„Der Turm“ ist ein Roman über die untergehende DDR. Der Schriftsteller lässt den Leser einen umfangreichen Kosmos von Figuren, Orten und Stimmungen auf fast 1000 Seiten erleben. Jedoch überbordend. Man muss sich durch ein fast verworren wirkendes Gestrüpp von Erzählsträngen hindurch schlagen. Doch wenn der Blick frei ist, wird man eindrücklich in die Endzeitstimmung der DDR am Beispiel eines Bildungsbürgertums in einem Dresdner Villenviertel hineingenommen. Die Bewohner dieser „Turmwelt“, Ärzte, Wissenschaftler, Literaten oder Musiker, schotten sich mit humanistischer Bildung und distanzierter Ironie gegen die Zumutungen des Systems ab und sind entschlossen, in ihrer zumeist komfortablen Nische zu überwintern. Gut, dass Tellkamp solch ein Geschichts-Panorama entwickelte, auf das viele Leser mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Reflexionen reagieren. Auch deswegen, weil mit ihm die Jahre der DDR-Diktatur lebendig bleiben und nicht vergessen werden.

Wunderbar aber auch, dass der in Potsdam lebende Schriftsteller John von Düffel sich dem umfangreichen Roman annahm und eine übersichtliche und nachvollziehbare Erzählstruktur auf die Bühne brachte, die auf so manche Nebenfiguren und -handlungen glücklicherweise verzichtet. Sie konzentriert sich auf den Abiturienten Christian Hoffmann, der sich das Medizinstudium durch drei Jahre NVA erkämpft, und auf seine Eltern, den Arzt Richard Hoffmann und seine Frau Anne. Doch schade, dass er der wichtigen Figur des Meno, Literaturwissenschaftler, Opportunist sowie Verwandter der Hoffmanns so wenig Aufmerksamkeit schenkt.

Dialoge und Berichte werden aus dem Roman treffend übernommen, doch manchmal bleiben auch nur Thesen übrig, anderes muss sogar erklärt werden. Und dann gibt es auf der Bühne nur Archetypen. Doch mit der Figur des Christian machte John von Düffel mit einer sehr lebendigen und facettenreichen Figur bekannt, die Holger Bülow in der Potsdamer Interpretation eine staunenswerte Agilität zu geben vermochte: seine Literaturbegeisterung, die zornige Anpassung an den DDR-Alltag, der Zynismus, mit der er sich durch Oberschul- und Volksarmeezeit durchschlängelt, die ersten Liebeserfahrungen und die Dünnhäutigkeit eines jungen Menschen.

Jon-Kaare Koppe spielt seinen Vater Richard Hoffmann als sympathischen und erfolgreichen Chirurgen, der sich durch den Wust seiner privaten Beziehungen hindurchwinden muss und es sich mit niemandem, auch nicht mit den DDR-Oberen, verderben möchte. Marinna Linden weiß ebenfalls zu gefallen, als Anne Hoffmann, eine warmherzige und empfindsame Ehefrau und Mutter, die zum Schluss weiß, wo ihr Platz ist, nämlich bei denen, die für eine Veränderung im Lande demonstrieren.

Tobias Wellemeyer lässt in seiner Inszenierung nicht das vornehme Gründerzeit-Villenviertel entstehen, sondern führt den Zuschauer in einen Wald (Bühnenbild: Alexander Wolf), der abgestorben, kahl und dunkel ist. Alles Grünende und Blühende ist verdorrt. Nebelschwaden und Dunst ziehen durch ihn. Die psychische Beschaffenheit von Menschen will die Regie durchleuchten. Da werden aber immer wieder seltsam lang gestreckte oder wie Türme wirkende Vitrinen in den Wald gefahren. Sie outen sich als Orte der inneren und vielfältigen Erlebniswelt der Personen, mit ihren Kunst- und Liebeserlebnissen oder Leidenserfahrungen.

Wellemeyer sind Bilder von großer Ausdrucksintensität gelungen, so mit der Brutalität bei Übungen der Nationalen Volksarmee, der Exaltiertheit der sogenannten vornehmen Gesellschaft rund um den Baron von Arbogast alias Manfred von Ardenne (Roland Kuchenbuch), der staatstreuen Gefährlichkeit von FDJ-lern (besonders Nele Jung) auf der Erweiterten Oberschule oder mit dem Eindringen der von der Stasi gekauften Kaminski-Zwillinge (Bernd Geiling, René Schwittay) in die Privatsphäre der Hoffmanns.

Franziska Melzer als unangepasste, herbe und vom Staat abgelehnte Schriftstellerin Judith Schevola liefert ebenfalls eine sehr feine Charakterstudie, auch Andrea Thelemann als die stets einen Koffer tragende, auf Ausreise bedachte, Regine. Doch wie in ein Museum schaut man auf die Arbeiter im Chemiewerk, die sich in allzu schönen Bildern platzieren. Dies macht die Gefährlichkeit des umwelttötenden Auftrags nicht deutlich. Ines Burisch entwarf die zahlreichen Kostüme, die auch den Geschmack von DDR-Mode der achtziger Jahre bestens demonstrierte.

Tobias Wellemeyers Inszenierung wurde mit langem Beifall am Hans Otto Theater aufgenommen. Sie traf wohl den Nerv der meisten Zuschauer.

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