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Von Heidi Jäger: Paradies auf fünf Quadratmetern

Eine Ausstellung in der Landeszentrale erzählt über vietnamesische Vertragsarbeiter in der DDR

Gleich am ersten Arbeitstag wurden ihnen Hausschuhe in die Hand gedrückt. Ein Willkommensgruß. Als es am nächsten Morgen zum Einkleiden in die Kaufhäuser ging, trugen die Vietnamesen allesamt ihre Geschenke an den Füßen. „In meiner Heimat gibt es keinen Unterschied zwischen Straßen- und Hausschuhen“, erzählte Hai Bluhm vom Song Hong Verein Potsdam eine ihrer kleinen Episoden über das Fremdsein. Als sie am Dienstag Abend die Ausstellung „Als Arbeitskraft willkommen. Vietnamesische Vertragsarbeiter in der DDR“ in der Landeszentrale für politische Bildung mit eröffnete, klang einer ihrer Sätze lange nach: „Gebraucht wurden Arbeitskräfte. Und es kamen Menschen.“

Was wussten die DDR-Bürger wirklich über ihre rund 60 000 asiatischen Mitbewohner? Über ihr Heimweh, ihre Sorgen? Wohl den wenigsten war bekannt, dass Frauen nicht schwanger werden durften. Und wenn sie doch ein Kind erwarteten, mussten sie abtreiben oder wurden wieder nach Hause geschickt. Manche Mütter machten sich aus wirtschaftlicher Not allein auf den Weg in die DDR, sahen ihre Kinder mitunter fünf Jahre lang nicht. Denn ein Besuch in die Heimat war nur einmal während des Aufenthalts erlaubt. Selbst die Stimme ihrer Familie hörten sie oft jahrelang nicht, denn Telefone gab es in Vietnam noch weniger als in der DDR. Und wer im Bruderland ans Heiraten dachte, musste dafür eine „Auslöse“ zahlen: von 8000 bis 30 000 Mark, je nach Ausbildung. Vielen fiel das Erlernen der so anderen Sprache schwer, „junge Frauen waren vor Heimweh völlig blockiert, sie dachten nur an ihre Kinder“, ist von einer Lehrerin zu lesen.

Wer nicht gemeinsam mit ihnen an einer Werkbank stand, kannte Vietnamesen meist nur als freundliche, zurückhaltende Gruppenwesen. Eine wirkliche Annäherung gab es kaum. Und das war auch so gewollt. Wie die von Martina Schellhorn einfühlsam kuratierte und akribisch recherchierte Wanderausstellung eindrücklich herausstreicht, waren die vietnamesischen Werktätigen gleich doppelt im Visier. Ein Abkommen, das in der Ausstellung erstmals zu sehen ist, besiegelte, dass der vietnamesische Geheimdienst geeignete „Beauftragte“ in die DDR entsandte, um dem hiesigen MfS zur Seite zu stehen. Dabei ging von den friedfertigen Gastarbeitern, die eigentlich aus Solidarität qualifiziert werden sollten, aber letztlich der maroden Wirtschaft als preiswerte Arbeitskraft zur Verfügung standen, wenig politischer Sprengstoff aus. Es sei denn, dass sie Anfeindungen von DDR-Bürgern ausgesetzt waren, weil sie die knappen Fahrräder und Mopeds kauften und ins Heimatland schickten. Wer wie viel wohin auf den Weg brachte, all’ das notierte die Stasi fein säuberlich.

Detailliert dokumentiert, aber geduldet wurden die illegalen Schneiderstuben. Um zusätzlich Geld für die Familien zu Hause zu erarbeiten, nähten die Frauen heimlich die in der DDR so knappen Jeans. Sie wurden teils auf der Straße angesprochen, nahmen Maß und ratterten dann im Wohnheim an ihren Maschinen die Nähte. Nichts war dort, wie die Ausstellung belegt, dem Zufall überlassen. Streng wurde angeordnet, wie das Leben in den Wohnheimen auszusehen hatte. Keiner kam rein oder raus, ohne kontrolliert zu werden. Auch nachts gab es Zimmerkontrollen. Fünf Quadratmeter standen jedem an Wohnfläche zu. „Viel mehr Platz als zu Hause, wo eine ganze Familie sich ein Zimmer teilt“, ist zu lesen. „Noch heute schwärmen die Vietnamesen vom Paradies DDR“, wie die Landesintegrationsbeauftragte Karin Weiß, die gerade von einer Dienstreise aus Vietnam zurückgekehrt ist, betont. Immer wieder habe sie gehört, dass die Zeit in der DDR für viele die schönste in ihrem Leben gewesen sei. Dabei, so die Professorin, waren die Lebensbedingungen in den Wohnheimen kaum erträglich, und auch die Tätigkeiten konnte man nicht selbst bestimmen. Ebenso wenig wie die meiste Freizeit, auch wenn es kollektive Ausflüge und Möglichkeiten zum Tischtennis- oder Fußballspielen gab. Doch gemessen am Leben zu Hause war das individuell eingeschränkte Leben wohl doch Luxus.

Denen, die in ihre Heimat zurückkehrten, schlug vielfach entgegen: Ihr wurdet vom westlichen Leben versaut. Auf einer der vielen Bildtafeln ist von einer jungen Frau zu lesen, die in der DDR Ökonomie und Informatik studiert hatte. Sie fasste in Vietnam nicht mehr Fuß. „Für meinen Abschluss gab es keine Arbeitsplätze. Ich hatte auch keine Beziehungen.“ Mit 23 Jahren musste sie wieder bei den Eltern wohnen. Ihr Land hatte sich in ihrer Abwesenheit sehr verändert, „es gab so viel Korruption.“ Als sich eines Tages die Chance bot, als Dolmetscherin zu arbeiten, und man sie fragte, ob sie zurück in die DDR wolle, glaubte sie, zu träumen.

Die härteste Zeit erlebten die Vertragsarbeiter nach dem Mauerfall. Als die Betriebe schlossen, standen sie förmlich auf der Straße: ohne Arbeit, ohne Wohnung. Kaum jemand kümmerte sich um sie. Manche wurden in ein Flugzeug gesteckt und abgeschoben, andere ließ man links liegen, so Karin Weiß. „Freunde“ wurden zu Kontrahenten, latent vorhandener Ausländerhass brach hervor. Und schwang sich auf bis zu den Flammen in „Lüttenklein“. Die 20 000, die blieben, bewegten sich am Rande der Legalität, ohne Anspruch auf staatliche Hilfe. Es existierte für sie nur eine Aufenthaltsgestattung, keine -genehmigung. „Erst 1997 gab es eine zufriedenstellende Lösung“, so Karin Weiß .

„Es war nicht einfach, sich einzuleben, die Gebräuche waren seltsam, gar absonderlich“, sagte Hai Bluhm. Doch stolz erzählt sie auch, dass die Kinder der zweiten und dritten Generation heute oft einen besseren Schulabschluss hätten als ihre deutschen Mitschüler.

Zu sehen bis 10. Juli, Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, Heinrich-Mann-Allee 107, Mo bis Mi 9 bis 18 Uhr, Do und Fr 9 bis 15 Uhr, Eintritt frei.

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