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Von Heidi Jäger: In Tüten und Papier

Von der Idee zur Kino-Projektion: Morgen lädt das Archiv des Filmmuseums Besucher dazu ein, seine Sammlungen filmnah zu durchschreiten

Bewegt wickelt Christa Kozik den mit Patina überzogenen „Goldenen Spatz“ aus ihrem roten Seidentuch aus. Jahrelang stand er in ihrem Arbeitszimmer, immer wieder von den Enkeln zum „Flattern“ animiert. Jetzt kann sich die Trophäe von 1987 für den so gar nicht angestaubten Kinderfilm „Gritta von Rattenzuhausbeiuns“ dort einnisten, wo schon ein Großteil des Werkes von ihr ein neues Zuhause bezogen hat: in den Sammlungen des Potsdamer Filmmuseums. Sie trenne sich durchaus schweren Herzens von diesem Goldspatz aus Gera, gibt die Szenaristin zu. „Aber hier hat er einen Ehrenplatz und wird mit Liebe und Respekt auch der Nachwelt erhalten bleiben,“ sagt die 69-Jährige und überreicht das Präsent der hoch erfreuten Archivleiterin Dorett Molitor.

Christa Kozik ist das erste Mal in der Pappelallee, wo sie morgen gemeinsam mit den Mitarbeitern des Filmmuseums die Besucher zum Tag des Archivs begrüßen möchte. Denn es ist ihre „Gritta“, die als exemplarisches Beispiel auserkoren wurde, um mit den Gästen den Weg eines Films von der Idee bis zur Kinoprojektion zu durchschreiten. Beim Eintreten in den Schriftraum wird dem Besucher erst einmal Kühle und Nüchternheit entgegenschlagen. Regale bis zur Decke, gefüllt mit grauen Kisten. Doch so bald ein Deckel angehoben wird, entströmt ihm der Zauber der Fantasie und des Glamours. 12 000 Szenenbildentwürfe und ebenso viele Plakate, zudem 500 000 Fotos und 150 000 Negative sind hier akribisch sortiert und in säurefreiem Papier verwahrt. Von Hans Albers bis Herrmann Zschoche, von Henny Porten bis Lothar Warneke – jeder ist hier eingetütet: „Die 950 DEFA-Filme, einschließlich der Auftragsproduktionen fürs Fernsehen, können wir lückenlos belegen“, sagt Dorett Molitor. Aber auch die Filmgeschichte davor und danach ist größtenteils dokumentiert. Natürlich auch die von Asta Nielsen, die überhaupt der Grund war, dass der Film 1911 nach Babelsberg kam. Da sich das damals nitrohaltige Filmmaterial sehr schnell entzündete, wollte man der gefährlichen Enge Berlins entkommen und fand in der einstigen gläsernen Fabrikhalle für Kunstblumen einen Ausweich. Und so fiel in Babelsberg für Asta Nielsen im „Totentanz“ die erste Klappe. Dieses Glashaus ist als Modell heute ebenso im Raumlabyrinth in der Pappelallee zu finden wie ein Gemälde des Stummfilmstars. Denn auch 350 Objekte stehen, hängen und liegen in dem fast aus seinen Nähten platzenden Archiv. „Zum Glück bekommen wir bald 1000 Quadratmeter Lagerfläche in der Nachbarschaft dazu, zumal wir bis Mai 500 Quadratmeter in der Schloßstraße abgeben müssen, weil dort die Synagoge entsteht“, sagt Dorett Molitor.

Überall springt einem die Filmgeschichte förmlich ins Gesicht. Da lehnt der riesige Golem an der Tür, Goya-Bilder hängen an den Wänden, in den Fluren thronen goldene Stühle. Gerade erst im Kino angelaufen, ist auch schon das pink-rosa Kleid der „Friseusin“ im Archiv. Bald wird es wie alle Gewänder blickdicht verpackt, die Falten mit Seidenpapier ausgefüttert, dass auch gar nichts knickt. Morgen hängt die rundlichen „Friseusin“ aber noch neben dem schmalen, mit Blümchen bestickten hellgrünen Kleid von Gritta. Getragen wurde es einst von Nadja, bevor sie mit ihren Eltern Freya Klier und Stephan Krawczyk in den Westen ausreiste. In dem Film von Christa Kozik und Peter Brauer spielte sie die couragierte Gritta, die den König einfach in den Schrank sperrte, weil er sich nur mit Gänsen vollstopfte, während das Volk hungerte. Christa Kozik entdeckte dieses Märchen in der Bibliothek vom Schloss Wiepersdorf, wo sie oft saß, um ihre Szenarien zu vollenden. In dem von den Schriftstellern der DDR genutzten Schloss schrieb sie ihre poetischen „Sieben Sommersprossen“ ebenso wie den Hölderlin-Film „Hälfte des Lebens“ und auch den „Engel mit dem goldenen Schnurrbart“. Auf dem herrschaftlichen Anwesen fiel ihr die von Bettina von Arnim und ihrer jüngsten Tochter Gisela geschriebene Satire in die Hand: geschrieben mit rebellischem Geist, unerschrocken und bezaubernd, doch unter Zensor Friedrich Wilhelm IV. unveröffentlicht geblieben. Dabei erfindet Grittas Vater in dem Buch doch eine Thron-Rettungs-Maschine! Nun steht sie in den Sammlungen des Filmmuseums und kann dort bestaunt werden.

An diesem Film arbeiteten offensichtlich alle mit der selben Leidenschaft. Und es waren die besten ihres Fachs. Das beginnt mit den handschriftlichen „Nachtgedanken“ Christa Koziks, die eine sehr gründliche Arbeiterin ausweisen. Gritta inspirierte aber auch Alfred Hirschmeiers Lust am Fabulieren: von seinen 1200 archivierten Blättern sind allein 60 zu Gritta von Rattenzuhausbeiuns entstanden. Der Szenenbildner entdeckte seine Drehorte fast alle selbst. So machte er für „Gritta“ Fotos von Groß Zicker auf der Insel Rügen. Über diese Landschaftsaufnahmen legte er Folien drüber und malte seine Bauten und Figuren hinein. Leider mit Wasserfarbe, die inzwischen bröckelt, und versucht wird von der Restauratorin nebenan zum Halten zu bringen. Auch in diese akribischen Forschungsarbeit erhält der Besucher morgen Einblick. Ebenso in die Kostümentwürfe Christiane Dorsts, die durch aufgesteckte Stoffproben ganz sinnlich den Reiz der späteren Leinwandhelden vorempfinden lassen.

Über diese Helden wird im Film in einer Rückblende erzählt. Als erstes ist da ein dickes riesiges Buch aus Leder und mit Metallbeschlägen, über das flotte Ratten mit Ohrringen huschen. Die sind natürlich inzwischen entschwunden. Heute reihen sich um das Buch andere, dingfeste Raritäten: so auch der Erfindersaal, den Gisela Schulze mit allen Raffinessen modellierte. Das vier Meter große Modell der Erfinderburg wurde in Groß Zicker mitten in der Landschaft aufgebockt und so perfekt von der Kamera perspektivisch beleuchtet, dass die Schummelei vom Zuschauer nicht bemerkt wird. Mitten unter den „Dinosauriern“ der Aufnahmetechnik kann der Zuschauer den Film daraufhin noch einmal selbst abklopfen.

„Gritta von Rattenzuhausbeiuns“ lebt inzwischen auch als Buchheldin munter weiter, nachgedichtet von Christa Kozik. Und sie kann gar nicht anders, als auch dieses Buch in die erwartungsfrohen Hände von Dorett Molitor zu legen. Mit eigenen Notizen des Autorin, was es noch wertvoller macht.

Tag des Archivs, Pappelallee 20, Führung morgen um 11 und 14 Uhr, Anmeldung 0331-56704 11, Eintritt frei.

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