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Von Heidi Jäger: 89 und kein bisschen leise

Sie unterstützte die Rote Kapelle, gründete die „Badewanne“, lebte auf Ibiza. Jetzt wohnt Katja Meirowsky in Potsdam

Ihre erste Begegnung mit Potsdam war erschreckend. Fahnen mit Hakenkreuzen hingen an den Häusern. Aus den Fenstern knarzte die unheilvolle Stimme Hitlers, der im Radio seine Geburtstagsansprache hielt. Die Berliner Kunststudentin suchte schnell das Weite. Jetzt ist die Malerin Katja Meirowsky an diesen Ort zurückgekehrt und begeistert. Hier feierte sie in dieser Woche ihren 89. Geburtstag, und hier möchte sie auch in die große Stille eintreten. „Ich habe keine Angst vor dem Tod. Auch wenn ich nicht in das beste Jahrhundert hinein geboren wurde, habe ich das beste daraus gemacht.“ Vor allem ist sie sich selber treu geblieben: in der Kunst und im Leben.

Beim zweiten Glas Wein findet die kleine schmale Frau mit der großen Energie schließlich die Kraft, in die schmerzlichen Erinnerungen einzutauchen. Viele ihrer Wegbegleiter hat sie in der Nazizeit verloren. Anderen konnte sie helfen, zu überleben. Neben ihr auf dem Tisch liegt ein Buch über Cato Bontjes van Beek, der Widerstandskämpferin der „Roten Kapelle“, die 1943 wegen Hochverrats hingerichtet wurde. „Leider kann ich das Buch über meine beste Freundin nicht mehr selbst lesen. Die Augen sind zu schlecht. Ich werde es mir vorlesen lassen“, sagt sie und zündet sich wie zum Trost die nächste Zigarette an. „Es war gut, dass ich Cato kennengelernt habe. Durch sie konnte ich wenigstens etwas gegen diese schreckliche Zeit tun.“ Katja quartierte Leute aus dem Untergrund in ihrem Atelier ein und zitterte jeden Tag, dass sie erwischt werden könnten. „Ich schärfte ihnen ein, dass sie nur auf Socken schleichen und nur nachts kochen dürfen. Denn nebenan wohnte ein Nachtwächter.“ Zwei Monate blieben die Fremden, dann wurden sie auf abgelegene Bauernhöfe bei Rüdersdorf gebracht. Zu Katja kamen andere. Alles blieb so anonym wie möglich, um niemanden zu gefährden. Zwei Jahre ging es gut, dann musste sich die junge couragierte Frau selbst in Sicherheit bringen. „Ich war Halbjüdin, und nach dem Beschluss der Wannsee-Konferenz waren wir die nächsten, die nach den ,Volljuden’ ausgerottet werden sollten. Eigentlich hatte ich ein Stipendium des Reichskulturministers und wollte nach Rom in die Villa Massimo. Doch dann verlangten sie an der Hochschule die Arierkarte.“ Katja flüchtete mit ihren Eltern nach Polen. „Wir hatten kaum etwas zu essen, denn wir lebten illegal. Als es nicht mehr ging, meldete sich mein Vater an. Er bekam sofort den Stellungsbefehl und ist seitdem verschollen. Er war ein großer Idealist und Kommunist.“

Es gibt kaum mehr alte Vertraute, die der Neu-Potsdamerin geblieben sind. Aber noch immer sprechen deren Kunstwerke zu ihr. Wie der „Stürzende“ von Waldemar Grzimek oder die türlosen Berliner Häuserfassaden von Werner Heldt. Ihre großzügige Souterrain-Wohnung in der Potsdamer Hebbelstraße mit kleiner Galerie und Atelier ist eine Oase für die Sinne. Vor allem sind es ihre eigenen großformatigen Bilder, die über den wuchtigen Bauernmöbeln aus Ibiza faszinieren. Sie ziehen die Blicke hinein: Wie das Kornfeld, durch das sie als Kind mit klopfendem Herzen lief, die in diffuses Licht getauchten Landschaften oder die geometrischen Figuren, die sich wie in einem Strudel winden. Menschen gibt es kaum, und wenn dann meist hinter Masken. Die Malerin ist ihnen gegenüber skeptisch geworden. Doch wenn sie über die Freunde aus ihrem Malerkabarett „Die Badewanne“ erzählt, das sie 1949 in Berlin mitbegründete, funkeln die müden Augen. Jung und schön und mit langen schwarzen Zöpfen, war sie die „Dame ohne Unterleib“ oder die „Versuchung des Heiligen Antonius“. „Wir wollten raus aus unseren Ateliers, und die Maler, die aus ihren Schützengräben kamen, waren voller Ideen.“ Sie spielten, sangen, lasen – und schockierten – ähnlich den Surrealisten in Paris. „Unsere Badewanne hatte einen riesigen Zulauf.“ Katja war froh, die Kriegszeit abschütteln zu können. Doch dann wurden Stimmen laut, die sie wegen ihres Engagements bei der „Roten Kapelle“ als „Nestbeschmutzer“ attackierten. Während man die Offiziere des 20. Juli als Helden feierte, wurden die Widerständler der „Roten Kapelle“ als Kommunisten abgestempelt.

„Werner Heldt sagte zu mir: ,Mach dich unabhängig, finde deinen Weg allein’.“ Und sie schaute auf die Landkarte und entdeckte Ibiza. „Das war weit genug von Deutschland entfernt.“ Sie sog sie auf, diese archaische Welt mit Olivenbäumen wie Skulpturen. Und sie fand nette Bauern, bei denen sie sich einmietete, bevor sie ihre eigene maurische Finca aus dem 13. Jahrhundert bezog. Endlich mit ihrem Herzallerliebsten, auf den sie sieben lange Jahre warten musste. Ihren Karl, ihren Prinzen, wie sie ihn noch immer zärtlich nennt. Er hatte das Glück, dass er sich 1939 aus dem KZ Sachsenhausen freikaufen konnte. „Zum Skelett abgemagert, ging er nach England ins Exil.“

Jetzt auf Ibiza lebten sie von Tomaten, Weißbrot und billigem Wein und genossen das einfache Leben. Oft gingen sie auf archäologische Entdeckung, buddelten in dunklen Grabkammern. „Zwei Mal bin ich umgefallen, aber ich machte weiter. Es ist so erhebend, wenn sich plötzlich aus einer scheinbaren Klamotte das Gesicht der Göttin Tanit herausschält und du 2000 Jahre Geschichte in der Hand hältst.“ Katja hatte ein gutes Gespür: „Wenn nachmittags Wind aufkam, wusste ich, jetzt werde ich fündig. Es war, als wenn Tanit in ihre Höhle einfliegt.“ Die meisten der von ihr ausgegrabenen Schätze stehen heute im Museum von Ibiza, einige aber auch in der eigenen Vitrine. Sie versetzen sie zurück auf ihre Insel, auf der sie 50 Jahre lebte und malte. Oft wochenlang allein mit den Katzen, wenn ihr Mann als Reiseführer die Welt durchquerte. „An die schönsten Stellen nahm er mich mit.“ So auch nach Korinth, wo sie den „Wagenlenker“ sah, allein in einem Raum. „Ich verstand das erste Mal, dass Skulpturen leben, es war mein tiefstes Kunsterlebnis.“

Katja war 60, als ihr Mann starb. Sie lebte weiter auf ihrem Berg, bis die Beine und Augen nicht mehr wollten. „Ich hatte Angst, allein in das 20 Minuten entfernte nächste Geschäft zu gehen.“ Und so entschloss sie sich, ihre Finca an einen Deutschen zu verkaufen. „Ich wurde verschaukelt. Das versprochene Haus in Pankow, in das ich zog, erwies sich als alte Datsche, in die es hineinregnete. Sechs Jahre lebte ich in diesem ,möblierten Sarg’.“ Bis sie von ihrer guten Ibiza-Bekanntschaft, den Galeristen Reinhard Lippeck, überzeugt wurde, auch nach Potsdam zu ziehen. Ja, ihr fehle der Flamenco, die Lebensfreude von Ibiza. „Aber ich reise nie wieder hin, das wäre ein zu großer Schmerz. Man muss sich auch schützen können.“

Sie hat sich in Potsdam wohnlich eingerichtet „und fast schon den Geist des Vormieters vertrieben“, wie sie lachend sagt. Malen kann sie nicht mehr, dennoch gibt es viel zu tun. Ihre beschädigten Bilder, die sie in Berlin in einem Container aufbewahrte, müssen ausgebessert werden. Vielleicht sind sie ja zu ihrem 90. Geburtstag in einer Ausstellung zu sehen. Nur zu gern würde Reinhard Lippeck, dass die Potsdamer seine Freundin richtig kennenlernen. Nur einen Ort müsse er noch finden. Katja winkt indes ab. Doch sicher würde diese nimmermüde Frau Feuer fangen, sollte sich durch die Sprache der Bilder ihr Leben noch einmal aufblättern.

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