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Triumph von kurzer Dauer. Caroline Lux als Marienkäfer Marianne freut sich über den Sieg.

©  HL Böhme

Von Gerold Paul: Komposthaufen sucht Superstar

Marita Erxlebens Inszenierung von „Motte & Co“ begeisterte in der Reithalle

Im steten Bemühen, dem lieben Nachwuchs Gutes zu tun, ist es der Kinder- und Jugendabteilung vom Hans Otto Theater nunmehr gelungen, den Mikrokosmos eines Menschenkleiderschrankes für alle Kinder ab sechs Jahren so zu vergrößern, dass sie auch sehen, wie es darin zur Sache gehen kann. „Motte & Co“ heißt das jüngste Stück, das am Donnerstag in der Reithalle Premiere hatte. Erzählt wird die Geschichte einer Aufregung, für die ein Wettbewerb im Mikrokosmos Kleiderschrank sorgt.

Der Misthaufen hat die Ausschreibung zum „Tier des Jahres“ ausgegeben und alle wollen sich bewerben, was die ganze Mikro- und Parasitenfauna konkurrenzmäßig gegeneinander aufbringt. Nach dem Willen der Autorin Gertrud Pigor sind große Tiere in „Motte & Co“ dieses Mal ausgeschlossen, das Kleine sollte auch mal eine Chance bekommen. Dafür waren die Preise für die Winzlinge riesig, bis zur Verewigung ihres Konterfeis auf Briefmarken ist das gegangen, die Jury, aus Blindschleichen bestehend, wollte darauf schon achten. Alles wie im Menschenreich, doch hier sucht ein Komposthaufen den Superstar!

Gertrud Pigor gibt mit ihrem quirligen Spiel von „Motte & Co“ ein so genaues wie witziges Abbild menschlicher Gewinn- und Gefallsucht in der Eitelkeits-Arena dieser Welt – keiner verstand das so gut wie die kleinen Premierengäste in der Reithalle. Dem Titel nach geht es um die fahle, aber flotte Motte Lotte, die ständig an roten Pullovern würgt, damit sie auch mal rote Flügel bekäme, wie ihre Cousinen, die Tagfalter. Nicht immer grün sind ihr die Holzwurm-Zwillinge Tom und Tim (Peter Wagner, Josip Culjak) mit Sägen in den Gürtelhalftertaschen. Es geht darum, ein Bewerbungsvideo für den Ausscheid zu drehen, die faszinable Schneckenpost in Gestalt von Herbert alias Michael Schrodt würde sie schon zu den blinden Schleichen bringen. Natürlich gibt es dabei Turbulenzen, etliches geht schief, so dass der eitle Marienkäfer Marianne (Caroline Lux als Spitzentänzerin) das Rennen macht, live im Kompost-TV (Eddie Irle) verkündet. Old Herbert nämlich war kurz mal eingepennt, Lottes Bewerbung kam leider zu spät. Behufs eines billigen Dramaturgenkniffs geht die ganze Chose letztlich gut und glücklich aus. Zugabe! riefen die Knirpse, und die gab es dann auch.

Tatsächlich hat man es mit einer einfallsreichen und lebhaften Inszenierung in der Regie der Potsdamer Choreografin Marita Erxleben zu tun, wozu etliche Lieder (musikalische Leitung Christian Deichstetter) und die sehenswerten Choreografien sehr viel beitragen. Rita Herzog spielte sogar mitkostümiert am Klavier. Auch Alexandra Hahns Makro-Bühne mit einem Riesenhemd und dem verhängnisvollen Wäschekorb, darin Herbert fast ein Opfer der „Color 60“-Waschmaschine geworden wäre, zeigte anschaulich genug, wie es im Krabbelflatter-Biotop von Frau Hoffmann „wirklich“ zugeht: Superstarmäßig riesig! Zum Schrecken der Viecher schaute sie selber zum Türschlitz herein.

Nun ist es von der Bühne her ziemlich wurscht, ob man für P 6 oder für P 60 inszeniert, bestimmte Dinge sollten einfach stimmen: Beispielsweise muss eine Titelfigur auch als Hauptperson angelegt und behauptet werden. Friederike Walkes Motte aber ist zu wenig von innen her aufgebaut, um sich gegen die zwischen Tiefschlaf und Action pendelnde Vollblutschnecke zu behaupten. Sie wurde glatt an die Wand gespielt. Brauchbar in ihrer Eitelkeit, grazil in jeder Bewegung, hätte Madame Marienkäfer ruhig mehr auf den Vorgang „Selbstkritik“ zu achten, bevor die siegreiche Gruppe sie assimiliert. Herrlich differenziert und trotzdem synchron Tim und Tom – vielleicht, weil Tim einen echten Zwillingsbruder zur Seite hat, ihm zum Verwechseln ähnlich, was im HOT tatsächlich schon einmal geschah. Trotz solcher Einschränkungen ist diese Arbeit eine Empfehlung. Man sah ja trotz aller Spielfreude und Phantasie, dass nicht mal in Mutter Hoffmanns Wäschezimmer alles in Ordnung ist! Schnecken gibt es darin – na wie eklig.

Wieder heute, 15 Uhr, Reithalle A

Gerold Paul

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