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Eine ganz andere Welt präsentiert sich dem Besucher der aktuellen Ausstellung Der lebende Stein im Garten des Museums Alexandrowka.

©  Sebastian Gabsch

Von Gerold Paul: Das Leben im Stein

Skulpturenausstellung im Garten des Museums Alexandrowka holt Afrika nach Potsdam

Was für ein Zauber im Museum der Alexandrowka! Während im Obergeschoss eine wahrlich edle und seltene Ausstellung die Rolle von vier bedeutenden Frauengestalten russischen Adels in sehenswerten Originalen beleuchtet, wurde am heißen Wochenende im weitläufigen Obstgarten mit „Der lebende Stein“ eine so edle wie wahre Ausstellung eröffnet.

Was hier gezeigt wird, war bislang unter „Shona-Bildhauerei“ bekannt. Die weltweit einmalige Art, mitten in Simbabwe, Leben aus Steinen zu ziehen, die es nur in diesem Land Afrikas gibt, dann erst wieder in Grönland. So ungefähr stellte es der dänische Kurator Sune Joergensen in seiner Laudatio dar. Er ist zugleich in die Organisation „Friends For Ever“ involviert. Sie sorgt, dass die Künstlerkolonie Tengenenge in Simbabwe durch Workshops und Ausstellungen weltweit bekannt wird, und auch der Verkauf ihrer „lebenden Steine“ in Gang kommt. Überschüsse steckt „Friends For Ever“ als Non-Profit-Organsation in die Krankenversicherung der Künstlerfamilien, sorgt für Werkzeuge, hilft auch mal mit Lebensmittelpaketen. Trotz allem achtet man peinlichst darauf, dass Kunst auch Kunst bleibe. Jedes gezeigte Stück ist ein Unikat.

Von den USA bis Moskau, von Barcelona bis in die Alexandrowka reicht mittlerweile der Ausstellungsreigen. Die Bildhauerei Simbabwes ist zwar uralt, erlebt aber in der Neuzeit eine neue Blüte. Die Künstlerkolonie Tengenenge besteht bereits im dritten Glied, die hohe Kunst wird von Generation zu Generation weitergegeben.

Was da an Motiven in Stein gehauen wird, auch von Frauen, ist in der Tat steinalt, Mutter und Kind, Tiere zu Wasser, Luft und an Land, ausdrucksstarke und schon magisch schöne Menschenporträts, erhaben wirkende Köpfe wie der vom „Wounded Man“. Und der Besucher fragt sich, ob er den „Schlafenden Hund“ am Gartenweg vielleicht wecken sollte? Zwanzig von vierunddreißig Mitgliedern der Künstlergruppe „Friends For Ever“ stellen in Potsdam aus. Große und kleine Skulpturen. Zwei Gesichter sind so arrangiert, dass sie als „Observers“ alles rundum überschauen. Irgendwo tanzt ein Pferd, eine Meermaid hat fast den Ausdruck eines „Schwebenden Engels“, und ein weißer Farmer träumt seinen Maiskolben nach. Mutter und Kind sind so eng zusammengewachsen, wie Kopf, Hand und Fuss bei jenem, der besonders tief nachdenkt. Bald grüßt die hochgestirnte Schönheit einer afrikanischen „Princess“, bald hat einer das Spatengesicht. Nach einem harten Arbeitstag sind alle Hände besonders groß. Aber so afrikanisch, wie man hier einen Moskauer Professor verewigt sieht, hat das noch keiner getan.

Über die Form dieser archaischen Werke gibt es gar nicht mehr zu sagen. Der Gebildete wird sie modern oder expressionistisch nennen. Jedes dieser Motive, ob nun poliert oder gerauht, ruht in sich, ist in Ausdruck und Form völlig eins, und in der Wirkung auch nicht modern. Und je länger man durch den Garten des Museums Alexandrowka wandert und die Steinkunstwerke betrachtet, umso mehr glaubt man, wohl die geheimen Schatzkammer der Bilder gefunden zu haben. Die ganze Präsentation scheint ohnehin auf Einladung der Ewigkeit in diesem Garten gelangt. Atemberaubende, phantastische, überwältigende Skulpturen einer ganz anderen Welt. Faszinierend das Gedankenspiel, dass der Stein ausgerechnet in dem Land lebendig wird, wo man die Wiege der Menschheit vermutet.

Das Material wächst im Land. Springstone und Opalstein, Verdit und Leopardstein, Serpentin, Lepidiolit und weitere Arten. Die Künstler kennen es. „Der Stein lebt“, erklärte ein Mann aus Simbabwe dem Europäer. „Ja, ich weiß, da sind jede Menge Algen und Bakterien drin“, antwortete der. Und in diesem Dialog steckt das ganze Missverständnis kultureller Erfahrung zwischen den archaischen Bildern Afrikas und der Drögheit des modernen Europa. Der spirituelle Zugang des Meisters zu seinem Stoff macht dann ja auch den Zauber der Rezeption aus, sogar den Bann, so ein Werk zum günstigen Preis einzukaufen. Den Entstehungsprozess beschrieb ein Künstler der ersten Generation von Tengenenge sinngemäss so: „Bildhauern ist wie der Wunsch, eine Banane zu essen. Man muss nur die Schale entfernen, das Innere ist ja schon da.“

Genauso sieht es der Gastkünstler Square Chikwanda im Museumsgarten. Er arbeitet derzeit auf einem Podest unterm Sonnenschirm an so einem Stein. „Ich sehe einen Mann darin“, sagte er, und setzte sofort den Meißel an. Man kann das Schälen des Steins nun in den nächsten Tagen vor Ort verfolgen. Und das Geheimnis von Tengenenge? Die Tradition bleibt im Sinne der Väter erhalten, sie wird nur ganz behutsam modernisiert. Wie also sollte man hier nicht von einem Zauber reden, vom afrikanischen Zauber Simbabwes mitten in Potsdam.

Die Ausstellung ist bis zum 29. August im Garten des Museums Alexandrowka, dienstags bis sonntags, 10-18 Uhr, geöffnet

Gerold Paul

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