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Wie zu Titz Zeiten. Petersburg auf einer historischen Darstellung.

©  Andreas Klaer

Von Dirk Becker: Wiederentdeckung eines Sonderlings

Das deutsche Kulturforum östliches Europa ehrt Anton Ferdinand Titz mit einem Konzert

Ein Bild ist nicht von ihm überliefert. Dafür aber ein paar Anekdoten über Anton Ferdinand Titz. Aus Nürnberg soll er stammen, dieser Geigenvirtuose und Komponist. Er war befreundet mit Christoph Willibald Gluck, der ihm eine Anstellung als Geiger im Wiener Opernorchester besorgte. Dort hörte ihn Pjotr Alexandrowitsch Sojmonow und war von Titz’ Spiel so begeistert, dass er ihn sofort nach St. Petersburg einlud. Titz folgt dieser Einladung, ging 1771 nach Petersburg und wurde Kammermusiker von Katharina der Großen. Und hier, in St. Petersburg, besuchte ihn 1803 Louis Spohr. Geiger und Komponist wie Titz, nur weitaus jünger und mit der herablassenden Einstellung des jungen Wilden gegenüber der „veralterten“ Kunst des Herrn Titz, der zu diesem Zeitpunkt schon den Ruf einer gewissen Eigenwilligkeit genoss. Eine Eigenwilligkeit, die auch als Beweis für die latente Nähe von Genie und Wahnsinn angesehen werden kann.

Aus diesem Grund hat Klaus Harer das Programm zum Gedenkkonzert für Titz am heutigen Montag auch mit „Der geniale Sonderling“ überschrieben. Melancholisch sei dieser Titz gewesen, geistig verwirrt, erzählt Harer vom Fachreferat Musik im deutschen Kulturforum östliches Europa mit Sitz am Neuen Markt. Zeitweise sei Titz in ein hartnäckiges Schweigen verfallen und habe nur noch seine Geige sprechen lassen. Als der junge Spohr in St. Petersburg bei Titz vorbei schaute, sprach dieser zwar, doch meist nur wirr, unter anderem von einem boshaften und auf sein Spiel eifersüchtigen Zauberer, der ihm den Mittelfinger der linken Hand verhext habe, damit er nicht mehr geigen könne. Spohr hatte dafür nur ein spöttisches Lächeln übrig, wie für die als veraltet geltende Spielweise Titz’. Doch über dessen Stellenwert als Komponisten ließ er keinen Zweifel aufkommen. „Ist nun Titz auch kein großer Geiger, noch weniger der größte aller Zeiten, wie seine Verehrer behaupten, so ist er doch unbezweifelt ein musikalisches Genie, wie seine Kompositionen hinlänglich beweisen“, wie Louis Spohr in seinen Lebenserinnerungen schreibt.

Lange Zeit war dieses musikalische Genie hierzulande fast völlig vergessen. Klaus Harer hat es sich zusammen mit den Musikern des Hoffmeister Quartetts in den vergangen Jahren zur Aufgabe gemacht, dies zu ändern. Vor vier Jahren hat das Hoffmeister Quartett die erste CD mit Streichquartetten von Anton Ferdinand Titz herausgebracht, die, so Harer, schon zeigen, warum dieser Musiker und Komponist zu Lebzeiten in ganz Europa bekannt war. Anspruchsvoll und virtuos, ganz in der Tradition von Mozart und Haydn, doch auch mit persönlicher Handschrift des „genialen Sonderlings“. Mehr Aufnahmen waren zum damaligen Zeitpunkt aber nicht geplant. Zwar war bekannt, dass Titz insgesamt zwölf Streichquartett geschrieben hatte. Doch wie bei so vielen Musikern, die zu Lebzeiten zu Berühmtheit gelangten und dann in Vergessenheit gerieten, war ein Teil der Streichquartette nicht mehr aufzutreiben.

„Es gab ein paar Fragmente von einzelnen Stimmen, die letzten drei Quartett galten sogar ganz verschollen“, sagt Harer. Aber als in einer Bibliothek ausgerechnet in der Provinzstadt Uljanowsk, dem Geburtsort von Lenin, eine komplette Ausgabe aus dem 19. Jahrhundert mit diesen drei Quartetten entdeckt wurde, war für Klaus Harer klar, dass nun eine Gesamtausgabe folgen muss. Ganz nach dem Motto „Erinnern und Entdecken“, unter dem das Kulturforums östliches Europa die Veranstaltungen zum zehnjährigen Jubiläums gestellt hat. Das heutige Konzert mit den Streichquartetten von Titz ist der Auftakt für die Jubiläumstour.

Mittlerweile sind neun der zwölf Streichquartette in neuen Notenausgaben erschienen. Das Hoffmeister Quartett hat alle Quartette von Titz auf historischen Instrumenten eingespielt. Die jüngste CD „Anton Ferdinand Titz. String Quartets for the Imperial Court of St. Petersburg. Vol. 3“ ist soeben erschienen. Es war nicht einfach, Musiker für diese Herausforderung zu finden, sagt Harer. Das Hoffmeister Quartett, benannt nach dem Komponisten und engen Freund Mozarts, Franz Anton Hoffmeister, hörte Harer zum ersten Mal bei einem Konzert in Berlin. Die Musiker überzeugten ihn vor allem klanglich. „Das Hoffmeister Quartett gehört zu den wenigen Formationen, die auf historischen Instrumenten, also auf Darmsaiten, spielen können, ohne dass es irgendwie gleich asthmatisch klingt.“ 

Neben den Streichquartetten von Titz hat das Hoffmeister Quartett auch Kammermusik von E.T.A. Hoffmann aufgenommen. Eine eher unbekannte Seite im Schaffen des großen Schriftstellers der Romantik, der in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad. Viel ist mittlerweile erforscht, was die historischen Beziehungen und den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und den östlichen Ländern betrifft. Aber auch sehr viel ist noch unbekannt, sagt Harer. Das zu ändern, ist auch Aufgabe des Kulturforums östliches Europa. Eine Aufgabe, die dann gelegentlich wie im Falle Anton Ferdinand Titz zur Wiederentdeckung eines „genialen Sonderlings“ führen kann.

Streichquartette von Anton Ferdinand Titz spielt das Hoffmeister Quartett heute, 19 Uhr, im Brandenburgsaal der Staatskanzlei, Heinrich-Mann-Allee 107. Der Eintritt ist frei

Dirk Becker

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