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Für immer am Boden. Der kleine Bruder Tobias Dutschke, im Hintergrund Volker Schindel.

©  promo/T-Werk

Von Dirk Becker: Die Rache der kleinen Brüder

„Zwölf Schwestern“ von „schindelkilliusdutschke“ zur Eröffnung von Unidram

Ach, was müssen die drei in ihrer Kindheit gelitten haben. Ständig unter der Fuchtel ihrer älteren Schwestern. Eine Schwester allein ist ja schon Übel genug. Aber Volker, Rainer und Tobias haben zusammen zwölf Schwestern. Das macht für jeden vier! Das bleibt nicht ohne Spuren in der Psyche!

Wie traumatisch sich eine solche Dominanz von Schwestern auswirken kann, war am Freitag zur Eröffnung des 16. Internationalen Theaterfestivals Unidram im ausverkauften T-Werk zu erleben. Die drei Herren vom Berliner Ensemble „schindelkilliusdutschke“ nutzten die Bühne, um raus zu lassen, was seit Kindertagen in ihnen frisst. Und das ist wahrlich nicht wenig.

Eingebettet ist das Stück „Zwölf Schwestern“ in Tschechows bekanntes von den „Drei Schwestern“. Soll heißen: Was der Altmeister Anton Tschechow da in herrlichster Sprache an menschlichen Abgründe präsentiert, das haben auch Volker, Rainer und Tobias zu bieten, besser gesagt zu überbieten. Denn während Andreij sich in Tschechows Stück nur mit drei, müssen sich Volker, Rainer und Tobias mit insgesamt zwölf Schwestern rumschlagen.

Nun muss man wissen, dass „schindelkilliusdutschke“ nie von einem fertigen Konzept ausgehen, sie in Proben und auf der Bühne das „zensurfreie Spinnen“ bevorzugen, es ihnen weniger darum geht, „Botschaften oder Inhalte mitzuteilen, als vielmehr Fragen aufzuwerfen, geräumige Metaphern zu finden, andere Sicht- und Hörweisen freizulegen und zu begünstigen“, wie es in einer Selbstdarstellung der Arbeitsweise heißt. Das klingt chaotisch. Und in der Tat, das ist es auch.

Ein Klavier, ein Hocker und ein Stuhl, bedeckt mit weißen Tüchern, stehen auf der ansonsten leeren Bühne. Dann betritt Volker Schindel, gefolgt von einem singenden und Geige spielenden Rainer Killius und einem griesgrämig dreinschauenden Tobias Dutschke, den Raum und der „musikalischer Theaterabend frei nach A. Tschechow“ in der Regie von Nico Dietrich kann beginnen.

Doch zuerst einmal heißt es „Pause“, wie es in den Regieanweisungen von Tschechows „Drei Schwestern“ steht. So geht es dann die kommenden 75 Minuten weiter, wenn sich auf Tschechow bezogen wird. Die bekannten gelben Reclam-Heftchen werden immer wieder gezückt und die abwechselnd die zahlreichen Regieanweisungen gelesen. Das Handlungsskelett sozusagen, wer da auftritt, wer da lacht, wer da böse schaut und was nicht noch alles. Das klingt natürlich ziemlich Gaga, man lacht auch gern, doch schon bald hat sich das erschöpft. Umso kräftiger lassen es „schindelkilliusdutschke“ dann krachen, wenn sie über ihre „Zwölf Schwestern“ herziehen.

Verbeulte Töpfe und Tassen, zwölf an der Zahl, werden unter dem Geblöke von Ziegen oder Schafen auf die Bühne geschoben und dann namentlich als die Schwestern vorgestellt. Wenn kleine Brüder sich rächen, dann darf man keine allzu anspruchsvollen Anspielungen erwarten.

Mit Klebeband wird der Grundriss einer Wohnung auf den Bühnenboden und den Vorhang an der Rückwand geklebt. Darin werden dann die Regieanweisungen Tschechows mit den traumatischen Schwestererfahrungen von Volker, Rainer und Tobias und anderem gemischt. Es wird auch gesungen und ein wenig Musik gemacht. Dabei auch das Märchen von „Hänsel und Gretel“ weitergesponnen, natürlich immer unter dem Aspekt: Was ältere Schwestern doch alles ihren kleinen Brüdern antun können.

Da muss der arme Volker seiner Schwester geduldig „ungebetene Hausgäste“, im Klartext Filzläuse, aus der Scham pflücken. Der arme Rainer versucht mittels Anwalt eine seiner Schwestern für sein verpfuschtes Leben zur Verantwortung zu ziehen. Und der arme Tobias wurde von seiner älteren Schwester im wahrsten Sinne des Wortes „angeschissen“. Nun ist das Thema Stuhlgang fast schon Pflichtfach auf deutschen Theaterbühnen. Und wie Tobias Dutschke hier mit größtem körperlichen Einsatz diese fatale Sitzung seiner Schwester nachspielte, sorgte für ein paar köstliche Lacher. Die lieferten „schindelkilliusdutschke“ an diesem Abend reichlich. Aber welche Fragen mit „Zwölf Schwestern“ aufgeworfen werden sollten, welche geräumigen Metaphern gefunden und welche Sicht- und Hörweisen erschlossen werden sollten, blieb leider offen. Trotzdem gab es reichlichen Applaus für diesen durchaus schrägen Klamauk.

Heute präsentieren sich bei Unidram die Brüder Oligor aus Navarra um 19.30 Uhr in der Schinkelhalle mit „Die Bedrängnisse der Virgina“ und um 21 Uhr Handa Grote aus Prag mit „Pilze“ im T-Werk

Dirk Becker

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