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Über 100 Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren tanzten mit zwölf Profis auf der Bühne des Nikolaisaals.

© Andreas Klaer

Von Astrid Priebs-Tröger: Zertanzte Mauern

Jugendliche aus Brandenburg und Berlin erarbeiteten Tanzprojekt zum Mauerfall

Tanz verbindet: mit sich und anderen, mit dem eigenen Körper und der Welt. Seit der britische Choreograf Royston Maldoom vor einigen Jahren mit seinen spektakulären Tanzprojekten Deutschlands Schulen eroberte, gehört es hierzulande schon fast zum guten Ton, das Medium Tanz als Mittel der Selbst- und Welterfahrung in den Fächerkanon der Schule zu integrieren. Und die Ergebnisse geben diesem Mainstream recht.

Auch das ehrgeizige Tanzprojekt „The Fall of the Wall“ der New Yorker „Battery Dance Company“, das am Dienstagabend im Nikolaisaal zur Premiere kam, zeigt überzeugend, dass Tanz verbindet. Hier über 100 Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren mit zwölf Profitänzern, die in Schulen in Berlin-Weißensee, Beelitz, Wilhelmshorst und Berlin-Wedding gerade mal einwöchige Workshops zum Thema Mauerfall veranstalteten und die Jugendlichen, die 1989 noch gar nicht geboren bzw. Kleinkinder waren, dazu brachten, dieses weltverändernde Ereignis aus ihrer Perspektive tänzerisch zu spiegeln.

Und während für jemanden, der den Mauerfall selbst miterlebte, schon die ersten Videoprojektionen der Premiere ausreichten, um die damaligen Emotionen „wiederzubeleben“, ist es für die Nachgeborenen nahezu unmöglich, sich in diese Atmosphäre der Befreiung und der Euphorie und für manche auch der Angst oder des Verlustes hineinzuversetzen. Dass es dennoch gelang, ist vor allem der Gruppendynamik des Tanzes zu verdanken. Denn diese jungen Protagonisten – die wenigsten von ihnen haben bisher auf einer Bühne gestanden – sind augenscheinlich von der Ausnahmesituation, die sie in den vergangenen Wochen und jetzt auf der großen Bühne des Nikolaisaals erleben, ebenso beeindruckt und berührt wie ihre Eltern von der realen Geschichte. Sie selbst werden Teil eines Stromes, der sie trägt und befreit und auch an Grenzen kommen lässt.

Das ist großartig anzuschauen, wie diese manchmal etwas ungelenken Körper über sich selbst hinauswachsen, wie sie Präsenz zeigen und in Kontakt mit anderen sind. Das geht unter die Haut ganz am Anfang, als unter Trommelklängen die Mauern durchlässig, aus ehemaligen Kontrahenten Brüder werden. Es steigert sich, wenn nach vorsichtigen Berührungen schwarzgekleideter und weiß maskierter Tänzer, nach gegenseitigem Abtasten plötzlich wirkliche Begegnungen möglich werden. Und Misstrauen, Desinteresse und Kräftemessen von vielfarbigen Individuen mit ebensolchen Geschichten überwunden werden können. Und so bringt dieses ambitionierte Projekt zwanzig Jahre nach dem eigentlichen Mauerfall auch bis heute bestehende Mauern in Herzen und Köpfen zum Wanken. Solche zwischen Stadt und Land oder zwischen „multikulti“ und „homogenen“ Kulturen beispielsweise.

Den jungen New Yorker Tänzern und Choreografen unter Leitung von Jonathan Hollander ist es erneut gelungen, ihre 2006 gestartete Initiative „Dancing to Connect“ begeisternd und berührend mit Leben zu erfüllen. Allerdings wünscht man sich, noch viel mehr von den Jugendlichen zu sehen, die nicht einmal die Hälfte des 90-minütigen Programms bestritten. Denn in der direkten Konfrontation mit den Profis zogen sie nicht etwa den Kürzeren, sondern machten neugierig darauf, was sich wohl bei längerer und noch intensiverer Probenarbeit entwickeln würde. Staatssekretär Burkhard Jungkamp überbrachte jedenfalls die gute Nachricht, dass sein Ministerium das Geld für ein Folgeprojekt bereits genehmigt hat.

Astrid Priebs-Tröger

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