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Von Astrid Priebs-Tröger: Tiefe Sehnsucht

„Frühlings Erwachen“ von Nuran David Çalis im T-Werk

Das Cover des Programmheftes weckt falsche Erwartungen: Ein junger Mann in Jeans und Turnschuhen lehnt mit geschlossenen Augen am Stamm einer saftigen Birke. In Yasmina Oakidis Inszenierung „Frühlings Erwachen“, die am Freitagabend im T-Werk zur Premiere gelangte, gibt es kein grünes Gras und keine Bäume. Stattdessen einen kahlen Schulhof mit Brunnenbecken auf der Bühne von Urs Hildbrand, darüber mehrere Bildschirme und Kameras. Doch nicht nur daran wird sofort sichtbar, dass es sich bei dieser Inszenierung der Wedekindschen Kindertragödie von 1891 um eine modernisierte Fassung handelt.

Nuran David Çalis, geboren 1976 in Bielefeld als Sohn türkisch-armenisch-jüdischer Eltern, hat die berühmte Vorlage 2007 kräftig „überschrieben“, gekürzt und weiterentwickelt. Denn heutzutage sind die Konflikte junger Menschen beim Erwachsenwerden andere, als die zu Wedekinds Zeiten. Alles scheint möglich: freizügige Kleidung, direkte Sprache, Alkohol und Drogen, Party ohne Ende und Sex bei jeder Gelegenheit.

Diese Möglichkeiten nutzen die fünf Heranwachsenden, allen voran die provozierend-aufreizende Ilse (Ulrike Tabor) auch aus. Irritierend sind nur die „Stopper“, die vor allem die jungen Männer – als idealistisch-verklemmter Träumer Moritz Stiefel, Florian Meyer – immer wieder einlegen. Auch die introvertierte Martha (Maja Rodigast) hat ein Päckchen zu tragen. Einerseits erzählt sie fast angeberisch von ihren prügelnden Eltern, die einem vergangenen Jahrhundert entsprungen scheinen, andererseits schluckt sie ihren echten Schmerz hinunter. Und die anmutig-freche Wendla (Daniela Furlani) hat wilde Locken, ist aber auch hier eine überbehütete Tochter, die von ihrer Mutter per Handy kontrolliert wird und deren einzige Lebensaufgabe die Schule zu sein hat.

Überhaupt die Eltern: in Ouakidis Inszenierung sind sie ständig medial präsent, als Druck erzeugende Besserwisser, die nicht loslassen können, weil sie ihr eigenes Leben nicht im Griff haben oder als „Hexenmutter“, die Musterschüler und Mädchenschwarm Melchior (Andreas Schwankl) beinahe jeden Genuss verdirbt. Da werden heutige Generationenkonflikte kräftig zugespitzt auf den Punkt gebracht. Und noch etwas klingt dem der Pubertät entwachsenen Zuschauer in den Ohren: die wortgewaltige, laute Sprachlosigkeit sowohl der Jugendlichen als auch der Erwachsenen: Sie können alles erklären; verstehen aber nichts.

Denn einsam sind sie alle. Und es ist beklemmend mit an zu sehen, wie wenig sich die engen Freunde Melchior und Moritz wirklich zu sagen haben und wie oberflächlich die Beziehungen der Mädchen untereinander sind. Umso mehr sagen die Körpersprache der Jugendlichen und der Soundtrack, der die rasante, gut einstündige Inszenierung, strukturiert, und eine eigene Dynamik entwickelt. Wie viel allein damit über die tiefe Sehnsucht nach Nähe erzählt wird, kann man im Programmheft, das von Jugendlichen gestaltet und mit eigenen Tagebuchaufzeichnungen versehen wurde, nachlesen.

Die vorwiegend jugendlichen Premierenbesucher im ausverkauften T-Werk stiegen voll in das Geschehen ein, das jetzige Konflikte und Sehnsüchte manchmal etwas zu holzschnittartig, dabei aber betroffen machend darstellte und applaudierten langanhaltend.

Nächste, bisher nicht ausverkaufte Vorstellung am 4. März, 11 Uhr im T-Werk, Schiffbauergasse

Astrid Priebs-Tröger

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