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Von Astrid Priebs-Tröger: Sommer-Märchen-Marathon

Die 6. Potsdamer Märchennacht in der Schiffbauergasse bot unzählige Momente des Glücks

Endlich Sommerwetter! Und damit eigentlich nicht die Zeit, sich eine Bettdecke über die Ohren zu ziehen und Märchen zu hören. Doch daran störten sich die gut 600 Besucher der diesjährigen Märchennacht im T-Werk nicht. Sie strömten am Samstag ab 15 Uhr in den Schirrhof und von dort aus zu mehr als einem halben Dutzend Veranstaltungsorten in der Schiffbauergasse, um über 12 verschiedenen märchenhaften Darbietungen zu lauschen. Puppen-, Figuren-, Schatten-, Stelzen- und Papiertheater. Dazu jede Menge Action beim Freiburger Kindermusiktheater „GrillOnny“, das mit Schlaginstrumenten aller Art nach Afrika entführte. Oder bei Herrn Arnold Böswetter alias Franz Lasch, der schon im Schirrhof seine Gesundheitsratschläge ungefragt und liebenswert zum Besten gab.

Überhaupt der Schirrhof. Dieses eigentlich unwirtliche Geviert aus Mauern und Glas. Am Samstag war der beste Platz auf dem grünen Baucontainer, von wo aus Bruno Pilz seine Riesenseifenblasen in den Himmel steigen ließ oder immer wieder Musiker gedankenverloren vor sich hin spielten. Drumherum stelzten der traurige Prinz und die Einhornprinzessin vom Berliner Stelzentheater Grotesk Maru und augenblicklich bildete sich eine dichte Kindertraube, wenn Thomas Thompson seine Zaubertricks darbot. Gänzlich magisch wurde es, wenn man einfach nur den Bewegungen des nostalgischen kleinen Kinderkarussells mit seinen Tierfiguren mit den Augen folgte.

Das hätte man stundenlang tun können. Aber dann war doch der Ruf, der dem Meininger Puppentheater und seinem „Standhaften Zinnsoldaten“ vorausging, stärker und zog trotz schönsten Sonnenscheins hinein in die schummrige Schinkelhalle. Dort fand man sich nach wenigen Minuten gemeinsam mit etwa 70 anderen Zuhörern leibhaftig unter der Bettdecke des Dichters Hans-Christian Andersen (Jeffrey Burrell) wieder. Der erfüllte sich so einen eigenen Kindertraum und erzählte seine Geschichte um Liebe, Leid und Tapferkeit auf eine Art und Weise, wie sie wohl bisher kaum jemand erlebt hat.

In der Mitte des weißen runden Stoffzeltes stand ein drehbarer Tisch. Darauf lag ein riesiges Märchenbuch, das mit jedem Umblättern eine weitere Kulisse des Andersen-Klassikers auferstehen ließ und als Schattenriss rundum an die Zeltwände projizierte. Als jedoch Michelle Haugen in der Rolle der kleinen Tänzerin auch noch leibhaftig erschien und man das Kentern des Papierbootes sowie das Verschlucktwerden durch den Fisch unter der Bettdecke unmittelbar miterleben konnte, war die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit kaum noch auszumachen. Gleich viermal ließen die Meininger ihre Schatten spielen und sich selbst umjubeln während dieses großartigen Sommer-Märchen-Marathons.

Sportlich und gesundheitsbewusst präsentierte sich auch Arnold Böswetter kurz darauf im Atrium des Museum Fluxus+. In seinem Programm „30 schöne Böswetterminuten“ wurden neben den Herz- und Blasen-, vor allem auch die Lachmuskeln strapaziert und der verschmitzte Besserwisser machte sich ernsthaft Gedanken über das psychische Wohl von kindlichen Märchenkonsumenten. Brauchte er aber nicht, denn selbst wenn um 20.30 Uhr noch Dreijährige unter den Zuschauern der „Goldenen Gans“ des Puppentheaters Halle waren, Schaden an ihren Seelen nahmen sie dabei mit Sicherheit nicht.

Im Gegenteil. Mit leuchtenden Augen verfolgten sie den Erzählerwettstreit zwischen den clownesken Besserwissern Nils Dreschke und Uwe Steinbach, die nicht nur jede Menge Gummibärchen, trockenes Brot und ungesüßten Kamillentee konsumieren mussten, sondern sich zudem noch als grandiose Bastler und wunderbare Situationskomiker präsentierten. Und während man drei Stunden früher unter einer seidigen Bettdecke steckte, saß man hier mit am niedrigen Tisch und hätte am liebsten selbst an der Kurbel gedreht, die die Holzfiguren auf einem Laufband von einem zum anderen Ende des Tisches respektive durch die Welt beförderte.

Völlig entgegengesetzt die Szenerie ein paar Minuten später in der Abenddämmerung. Die Tänzer Noriko Seki und Steffen Findeisen des Theaters Nadi irrlichterten weltentrückt über den weiten Schirrhof. Und auch wenn sie in ihren barocken weißen Kleidern wunderbar anzusehen waren, hätte man sich doch ein wenig mehr Dramaturgie des Ganzen gewünscht. Aber, so resümierten zumindest die verrückten Engel in der Spätvorstellung „Macht des Schicksals“, „Glück ist, wenn man glücklich ist“. Die 6. Märchennacht hatte unzählige Momente davon.

Astrid Priebs-Tröger

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