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Von Astrid Priebs-Tröger: Gegen das Vergessen

Das Schauspiel „Ortsgespräche – Berlin “79“ von Dirk Jungnickel auf dem Theaterschiff uraufgeführt

Es ist erschreckend, wie wenig gerade ostdeutsche Jugendliche über die jüngste Vergangenheit wissen. Deswegen ist jede Initiative lobenswert, die es sich zum Ziel gesetzt hat, gegen das Vergessen zu arbeiten. Umso mehr, wenn sie sich dabei solcher Mittel bedient, die nicht unmittelbar an faktenstarrenden Geschichtsunterricht erinnern. Der Autor und Regisseur Dirk Jungnickel (Jahrgang 1944) hat schon vor zwei Jahrzehnten ein Stück geschrieben, dass jetzt auf dem Potsdamer Theaterschiff unter der Regie seiner Tochter Constanze Jungnickel zur Uraufführung kam.

„Ortsgespräche – Berlin ´79“ beginnt ganz harmlos. In einem Wohnzimmer schmust ein verliebtes Paar. Der Karat-Hit „König der Welt“ von 1978 lässt die 70er Jahre auch ins Publikum wehen. Ein Telefonanruf, der das romantische Tête-á-Tête abrupt beendet, wird auch das Leben der Lehrerin Ute (Karen Schneeweiß) binnen weniger Wochen komplett auf den Kopf stellen. Denn der Anrufer ist ihr früherer Freund Frank, der, weil er die DDR illegal verlassen wollte, im Gefängnis landet und inzwischen freigekauft in Westberlin lebt. Frank (Norman Jahnke) will von Ute wissen, wer ihn vor anderthalb Jahren ans Messer geliefert hat. Und er will Ute. Die ist zwar von ihrem damaligen Ehemann geschieden, aber jetzt mit einem Kaderleiter (Albrecht Bechmann) liiert.

Schnell wird klar, dass es zwischen dem ehemaligen Liebespaar zwar einige Missverständnisse aber auch noch viele Gemeinsamkeiten gibt. Ein intensiver Telefondialog über die allgegenwärtige Mauer – die im Stück als Projektion ständig präsent ist – entspinnt sich, der vom aktuellen Liebhaber mit Argusaugen und geheimdienstlichen Methoden überwacht wird. Zu spät erfährt Ute, dass er für die „Firma“, sprich die Staatssicherheit arbeitet. Der gehörnte Liebhaber setzt daraufhin eine Maschinerie in Gang, deren Auswirkungen die ehemals naive Protagonistin einerseits reifen, andererseits aber auch zu folgenschweren Entschlüssen kommen lässt.

Das Stück, das in den achtziger Jahren bereits als Hörspiel vom RIAS Berlin gesendet wurde, beleuchtet viele Konflikte, die den kalten Krieg und die geheimdienstlichen Maßnahmen der DDR bis in die intimsten zwischenmenschlichen Bereiche vordringen ließen. Ute und Frank können beispielsweise als Paar nicht mal darüber reden, dass sie Mitglied der SED ist. Ihre Beziehung scheitert nicht erst, als er die DDR verlässt und sie ist als seine ehemalige Geliebte und sozialistische Lehrerin im Fokus und kurz darauf auch in der Gewalt der einschlägigen Behörden. Das wiederum hat Auswirkungen bis dahin, dass ihre eigene Mutter den Kontakt zu ihr abbricht. Constanze Jungnickel findet einige berührende Bilder für die Einsamkeit und Verzweiflung der jungen Frau.

Allerdings sind manche Charakterzeichnungen – schon in der Vorlage – etwas zu holzschnittartig angelegt, vor allem was die Beziehungsfähigkeit der Frau oder auch den eifersüchtigen Stasimann angeht, der seinen Nebenbuhler eigenhändig in Westberlin Schachmatt setzen kann. Störend wirkt im zweiten Teil der Aufführung, dass die Zuspitzung der beruflichen und privaten Situation von Ute immer wieder mit unheilschwangerer Musik „künstlich“ dramatisiert wird. Dessen hätte es nicht bedurft, denn das Unheil kündigt sich in den Gesprächen mit Frank – eine gute Idee, ihn als Videoeinspielung immer präsent zu haben – deutlich genug an.

Die an einigen Stellen unter die Haut gehende Aufführung richtet sich besonders an Schüler und Jugendliche ab 16 Jahren. Die Regisseurin bietet Vorgespräche und nach den Vorstellungen Gesprächsrunden mit Zeitzeugen an. Die Uraufführung wurde mit langanhaltendem Beifall bedacht.

Nächste Vorstellungen am 5. und 13. November, 19 Uhr, auf dem Theaterschiff

Astrid Priebs-Tröger

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