zum Hauptinhalt

Von Astrid Priebs-Tröger: Die Kraft der Wurzeln

„Die Geschichte vom Baum“ kam am Jungen Theater des HOT zur Premiere

„Wie kann man als Schauspieler einen Baum darstellen?“ Theaterpädagoge Andreas Steudtner sitzt mit quirligen Grundschülern auf dem Boden des Foyers des Jungen Theaters und blickt in die Runde. Blitzschnell recken sich unzählige Arme in die Höhe und genauso schnell kommen die Antworten. Doch auf das, was sie dann gleich auf der Bühne erwartet, kommen die jungen Besucher nicht. Können sie nicht, denn die hundertjährige Eberesche in der „Geschichte vom Baum“ der schwedischen Autorin Ingegerd Monthan, die am gestern in der Reithalle A zur Premiere kam, ist ein ganz besonderes Gewächs.

Bühnenbildnerin Susanne Füller hat für die erste Regiearbeit von Aurelina Bücher wirklich „gezaubert“ und ein sehr wirkungsvolles Bühnenbild im „Schwimmbad“ kreiert. Es macht einfach Spaß, die Eberesche (Leoni Schulz) beim morgendlichen Aufstehen zu beobachten oder mit dabei zu sein, wenn sie in der schwankenden Krone dafür sorgt, dass alle Blätter genügend Licht und Wasser kriegen. Doch etwas ist anders an diesem sonnigen Morgen: Die Wurzeln melden nämlich einen Fund. „Sonne oder Mond“ fragt deren zauberhafte Herrscherin im hellgrünen Overall und erfährt, dass unzählige Goldstücke an ihren Wurzeln ruhen.

Und fast wie gerufen erscheint kurz darauf ein ziemlich schrilles Pärchen unter dem einsamen Baum. Radar (Juliane Götz) und Klavier (Sebastian Brandes) heißen die beiden und sie haben einiges auf dem Kerbholz. Klasse, wie durch ein flottes „Tänzchen“ ihre ganze gemeinsame Geschichte erzählt wird. Nachdem sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt haben, denn ein sprechender Baum ist ihnen in ihrem Ganovendasein noch nicht vorgekommen, beschließen sie zu handeln. Die überaus toughe Radar besorgt das nötige Werkzeug und der softe Klavier soll zuerst der Baumkrone mit einem Messer zu Leibe rücken.

Doch alles kommt anders als gedacht. Was die beiden in ihrer Geldgier nämlich ganz überhört haben – sie sollten den Schatz nämlich geschenkt bekommen – verkehrt sich ganz schnell in sein Gegenteil. Wie gewonnen so zerronnen, könnte als Motto über dem in den 80er Jahren geschriebenen Kinderstück stehen. Und weil sich viele andere Bedeutungsebenen – wie der Umgang mit der Natur, unser menschliches Zusammenleben und nicht zuletzt die Wichtigkeit von Wurzeln, ebenfalls darstellen und erschließen lassen – gehört die märchenhafte Parabel zu den meistgespielten Kindertheaterstücken.

Aurelina Bücher, die in der vergangenen Spielzeit als Regieassistentin am Hans Otto Theater engagiert war, hat ihre eigene Lesart gefunden. Aus der anfangs symbiotischen Beziehung der Protagonisten Radar und Klavier wird knallharte Konkurrenz, die vor nichts und niemandem halt macht. Beide können jedoch nicht ahnen, was die Kraft von Wurzeln gegen Habgier und andere Bedrohungen unserer (modernen) Welt ausrichten kann. Doch die Geschichte ist mehr als ein „Öko-Märchen“ und lässt auch Erwachsene mit einiger Nachdenklichkeit zurück. Die Kinder genossen zuerst einmal die tolle Geräuschkulisse, die zeit- und kindgemäßen Anspielungen und die Spiellust des jungen Ensembles, das noch an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg studiert. Begeisterter Beifall und Bravorufe in der gestrigen Premiere.

Nächste Vorstellungen vom 12. bis 15. Oktober im HOT

Astrid Priebs-Tröger

Zur Startseite