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Von Astrid Priebs-Tröger: Baustelle Mensch

„Der Hässliche“ von Marius von Meyenburg hatte am Jungen Theater des HOT Premiere

Die Bühne mutet an wie ein Laufsteg. Seltsam sind nur die Pyramiden aus Orangen und die umgedrehte Holzkiste am Ende des Catwalk. Die drei Gestalten, die kommen, passen rein äußerlich auch nicht so recht in die Welt des schönen Scheins. Und dann fangen sie auch noch an die exakt aufgetürmten Früchte zu schälen. Der Typ im Anzug nimmt ein Buttermesser dazu, die Dame im rückenfreien Kleid tut es mit spitzen Fingern und reiht die Schalen fein säuberlich am Rand auf und der Lockenkopf im Westover spuckt sie lässig über seine Schulter.

Kurz darauf kommt er: Ingenieur Lette, ein ziemlich smarter Kerl. Typ Schwiegermutters Liebling. Er ist der „Hässliche“. Das wird von nun an behauptet und es funktioniert auch ohne Quasimodo-Maske. Die wird in Marius von Meyenburgs Stück „Der Hässliche“, das im Jungen Theater des Hans Otto Theaters zur Premiere kam, genauso wenig benötigt wie später eine von Barbys „Ken“. Die Sätze „Uns passt ihre Nase nicht und Sie können mit diesem Gesicht nichts verkaufen“ reichen aus, um den Makel zu installieren. Dieses Stück umreißt mit wenigen Strichen gekonnt das Dilemma des modernen Menschen: Zu viel Individualität – in Lettes Fall extreme Hässlichkeit – lässt sich genauso wenig vermarkten wie zu schwach ausgeprägte Individualität, wovon später noch die Rede sein wird.

Fazit: Der Erfolg im kapitalistischen Verwertungsprozess verlangt nach Konformität und Mensch hilft der eigenen Natur auf der „Baustelle Mensch“ immer öfter künstlich auf die Sprünge. Das kommt in der Inszenierung von Manuela Gerlach und Daniel Kilzer nicht nur einmal als Farce daher: Mithilfe von Werkzeugen aus dem Baumarkt verliert Lette in einem monströsen Schattenspiel sein „eigenes“ Gesicht. Jetzt ist er marktgerecht zugerichtet und völlig neue ökonomische und erotische Möglichkeiten eröffnen sich für ihn. Doch sein Höhenflug währt nicht lange, denn der Schönheitschirurg hat gerade mit dieser OP eine Marktlücke entdeckt. Und so kommt, was kommen muss. Der Gesichtsverlust mündet im Identitätsverlust. Das passiert rasant in den etwa zwei Dutzend pointierten Spielszenen, in denen die jungen Laiendarsteller von einem Moment auf den anderen, ohne Ankündigung oder Verkleidung, in ganz unterschiedliche Rollen springen müssen. Hut ab, wie überzeugend Maximilian Ulrich, Jana Herrmann, Daniel Kilzer und Peter Retzlaff da agieren. Hochachtung auch davor, wie souverän sie mit von Meyenburgs geschliffener, doppelbödiger Theatersprache umgehen. Etwas ratlos bleibt der Zuschauer jedoch bei den verwendeten Orangen zurück. Zwar lassen sie sich wunderbar brutal auspressen, genauso, wie es heutzutage im wirklichen Leben immer öfter mit Arbeitnehmern geschieht. Und man kann sie auch als Zeichen für Gesundheit und Lifestyle durchgehen lassen. Aber wenn die Darsteller schnell über und über mit Saft besudelt und die Bühne (Sabine Kassbaum) langsam aber sicher zur Rutschbahn wird, fragt man sich, ob auch das noch gewollt ist. Nach einer Stunde, in der einem das Lachen oft genug im Halse stecken bleibt, gab es viel Applaus für das Ensemble.

Astrid Priebs-Tröger

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