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Bei der Eröffnung der Ausstellung: der Künstler Axel Koschies, der HFF-Chef Wiedemann, die, Birgit Koschies und Volker Schlöndorff (v.l.n.r.)

©  Manfred Thomas

Von Almut Andreae: Geschwindigkeit mit Folgen

An der Hochschule für Film und Fernsehen wurde „Koschies – The human race“ eröffnet

Sie rennen, was das Zeug hält: Pontius und Pilatus, David und Goliath, Die eiligen drei Könige. Erwachsene und Kinder, mal in Frack und Zylinder, mal gänzlich hüllenlos. Sie laufen, laufen, laufen – und werfen dabei bizarr geformte Schattenbilder vor und hinter sich her. Wird die Richtung gewechselt, fällt der Schatten nach rechts wie nach links, wohlgemerkt auf einem Bild, auf einem Foto. Weitere Auffälligkeiten: raffinierte Schwarz-Weiß-Optik, Grobkörnigkeit und eine Vorliebe für das extreme Querformat. Manipulierte Fotos kennt man zur Genüge.

Von daher sind gegenläufige Schattenwürfe so überraschend nicht. Fehlanzeige: Bei diesen Aufnahmen wurde nicht groß rumgetrickst. Im Falle der Ausstellung „Koschies – The human race“, die man aktuell im Foyer der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) zu sehen bekommt, liegen die Dinge anders. Vielleicht liegt es auch an der Häufung gewisser Babelsberger Koinzidenzen. Demnach hat die (noch) Babelsberger Medienwissenschaftlerin und HFF-Lehrbeauftrage Elizabeth Prommer bei ihren Babelsberger Freunden (Koschies) Fotos entdeckt, die aus verschiedenen Gründen anders und daher definitiv sehenswürdig sind. Die Veröffentlichung dieser Bilder im großen Stil nimmt sie beherzt unter ihre Fittiche. Mit der publikumswirksamen Eröffnung der Ausstellung gibt die demnächst scheidende Medienforscherin ein bisschen schon ihren Ausstand.

Der Babelsberg-Faktor wird ein bisschen zum roten Faden aller beteiligten Ausstellungsakteure. Bleibt als weitere Schnittmenge die Berührung dieser Fotos, die eigentlich keine Fotos im herkömmlichen Sinne sind, mit dem Film. Auch deswegen sorgen die HFF und der Babelsberger Filmregisseur und Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff als Laudator für ein würdevolles Entrée des Künstlerehepaares Birgit und Axel Koschies auf dem Babelsberger Parkett.

Die noch am ehesten an die Camera Obscura erinnernde Funktionsweise der Schlitzkamera, mit der Koschies all die Bilder aufgenommen haben, schinden auch bei Schlöndorff offenkundig Eindruck. Das Künstlerpaar arbeitet mit einem fast schon antik anmutenden Koloss von Kamera aus den sechziger Jahren, das – wie alle Schlitzkameras – ganz und gar ohne Optik auskommt.

Bei einer Schlitzkamera wird der überaus lichtempfindliche Rollfilm in kontinuierlicher Bewegung über Gummiwalzen an einem permanent geöffneten millimiterfeinen Aufnahmeschlitz vorbeibewegt. Schlitzkameras sind dazu da, Bewegung einzufangen, zum Beispiel wenn es darum geht, bei Pferdewettrennen zu dokumentieren, welches Pferd die Nase vorne hat. Birgit Koschies, die in Sachen Ziellinienfotografie auf Pferderennbahnen jahrelange Erfahrung hat, hat es raus, ihre Kamera so einzustellen, dass sie angepasst auf die Geschwindigkeit eines Läufers die Bewegung richtig focussiert. Nur was in der richtigen Geschwindigkeit den Sehschlitz passiert, ist hinterher auf dem Film auch wirklich erkennbar. Nur wer schnell genug ist, wird (von der Kamera) gesehen. Deshalb müssen die Modelle für die von Axel Koschies gestellten Schlitzkamera-Bilder auch immerzu rennen, idealerweise, wegen der Lichtausbeute, wenn die Sonne hoch am Himmel steht.

Koschies inszenieren in ihrer Bilderserie „The human race“, die seit 1990 im Verborgenen heranreifte, die Schnelllebigkeit und den Wettlauf mit der Zeit. Die im Titel mitschwingende Doppeldeutigkeit – „menschliche Rasse“, „Menschenschlag“, „menschliches Wettrennen“ - liefert die Sicht von Koschies auf die Dinge, auf die conditio humana gleich mit. Die Schlitzkamera wird bei Koschies zum kongenialen Medium, um die Geschwindigkeits-Analogie zwischen Leben und Kamera immer wieder neu in Szene zu setzen. Der Weg zum Ergebnis, wie es sich in der Ausstellung in 24 Motiven darstellt, ist extrem aufwändig.

Die gezeigten Arbeiten sind ein Destillat von annähernd zwei Jahrzehnten intensiver Arbeit, bei dem nicht nur zahllose Kilometer Filmmaterial, sondern auch etliche Ideen für Szenen verworfen werden mussten.

Die geglückten Szenen, bei denen Koschies in ironisierenden Bildtiteln wie „Love is a battleshield“, „The dark side of the mood“ die eigene Deutung gleich mitliefern, wurden für die Ausstellung ins große Format übersetzt. Dazu musste das Filmmaterial gescannt werden. Die auf diese Weise stark vergrößerten Motive werden als Digitaldruck auf Leinwand präsentiert. Bei der Vernissage wurden Birgit und Axel Koschies mit Fragen nach dem Herstellungsverfahren ihrer Fotos regelrecht bestürmt.

Unabhängig von dem Gehalt der Bilder wirkte vor allem die außergewöhnliche Technik der Schlitzkamera, bei der sich übrigens die belichteten Filmstreifen im Fuß der Kamera per Entwicklungsbad und Fixierer praktisch selbst entwickeln, für nicht ausgehenden Gesprächsstoff. Der verblüffende Effekt, der entsteht, wenn im Bild aus einem zeitlichen Nacheinander ein räumliches Nebeneinander entsteht, kombiniert mit dem Einfallsreichtum des eingespielten Photographin-Texter-Duos aus Babelsberg, weckt im Hinblick auf künftige Kreationen à la Koschies Erwartungen.

Der Tag wird kommen, da sind auch noch die letzten Vorräte an Original-Filmmaterial für die gute alte Schlitzkamera erschöpft. Auch vor diesem Hintergrund ist die weitere Entwicklung des eingespielten Teams interessant.

Bis zum 15. Juni, täglich von 10 bis 18 Uhr, Hochschule für Film und Fernsehen, Marlene-Dietrich-Allee 11.

Almut Andreae

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