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Kultur: Vom Wüterich zum Märtyrer Das „Paulus“-Oratorium in der Erlöserkirche

Wann schlägt Begeisterung in Fanatismus um? Wie gefährlich sind Einflüsterer, die Volkes Stimme missbrauchen und eigenen Zielen dienstbar machen?

Wann schlägt Begeisterung in Fanatismus um? Wie gefährlich sind Einflüsterer, die Volkes Stimme missbrauchen und eigenen Zielen dienstbar machen? Wie weit ist der Weg von der Vergötterung bis zur Verfolgung?

Hört sich alles höchst aktuell an? Das ist es auch, obwohl solche Fragen bereits in biblischen Zeiten die Gemüter bewegten. Und auch den vom jüdischen zum christlichen Glauben konvertierten Felix Mendelssohn Bartholdy. Für all diese Fragen sucht er in seinem Oratorium „Paulus“, das stark von Johann Sebastian Bach beeinflusst ist, eine Antwort zu finden. Und auch die Potsdamer Kantorei, das Neue Kammerorchester Potsdam und ein vorzügliches Solistenquartett unter der famosen Leitung von Ud Joffe begaben sich am Himmelfahrtstag in der Erlöserkirche auf Entdeckungsreise.

Worum es in dem Oratorium nach den Worten der Heiligen Schrift geht? Stephanus, der im Kreis der Gläubigen und Ungläubigen als erster christlicher Märtyrer die neue Lehre verkündet, wird von einer aufgebrachten Menge zu Tode gesteinigt. Auch Saulus von Tarsus wütet mitleidlos mit. Dann jedoch erscheint ihm visionär der Gottessohn („Warum verfolgst Du mich?“). Im Innersten getroffen und für drei Tage mit Blindheit geschlagen, wechselt er die Fronten, wird getauft und als Paulus zum Apostel Jesu. Begleitet vom gottbestimmten Gefährten Barnabas bricht er zu Missionsreisen auf. Im vollen Bewusstsein, ebenfalls als Märtyrer zu sterben, nimmt er nach allen Anfeindungen am Schluss Abschied von seiner Gemeinde in Ephesus.

Dieses Geschehen vollzieht sich in 44 Sätzen, davon die Hälfte (!) unter Chorbeteiligung. Eine höchst anspruchsvolle Aufgabe für die Potsdamer Kantorei, die von den tadellos einstudierten Sängern mit vorzüglichem gestalterischem Können gelöst wird. Vom Eingangschor „Herr, der du bist der Gott“ über die pastorale Botschaft des „Wie lieblich sind die Boten“ bis zur Doppelfuge „Der Erdkreis ist nun des Herrn“ – stets fühlen sie sich mit kraft- und gefühlvollem, geschmeidigem und intonationsreinem Gesang als wandlungsreiche „Stimme der Christenheit“. Doch können sie nicht weniger überzeugend die volkszornigen Wutausbrüche der Juden („Steinigt ihn!“) zum Ausdruck bringen. Und auch den verinnerlichten Chorälen sind sie ein sachgerechter Anwalt. Kurzum: Die Kantorei hat sich mit dieser beeindruckenden Gesamtleistung an die Spitze von Potsdams Laienchören gesungen.

Nicht weniger imponierend, wie Bassist Sebastian Noack die Wandlung der Hauptfigur geradezu ausdrucksberstend zu formen versteht. Mit markantem Timbre, kraftvoller Intensität und Textdeutlichkeit zieht er als Saulus wütend gegen die Jünger und ihre Anhänger („Vertilge sie, Herr Zebaoth“), um als Paulus singbalsamisch, wenngleich nicht weniger unduldsam in Erscheinung zu treten. An dramatischem Aplomb mangelt es auch bei Markus Schäfer nicht, der mit der Strahlkraft und dem metallischen Glanz seines jungheldischen Tenors die Partien des Stephanus und Barnabas gestaltet. Doch auch als anteiliger Rezitativ-Erzähler macht er eine nicht weniger fabelhafte (Stimm-)Figur. Im Wechsel mit ihm berichtet die höhensichere Sopranistin Esther Hilsberg solide und objektivierend vom Fortgang der Paulus’schen Bekehrung. Der kleinen, wenig ergiebigen Alt-Partie nimmt sich Regina Jakobi in bewährter Weise an. Spannungsvoll und lebendig, klangvoluminös und gefühlsintensiv, klar und detailreich setzt das Orchester die Intentionen des Dirigenten um. Dem Konzert im Rahmen des Deutschen Evangelischen Kirchentages fällt reicher Beifall zu. Peter Buske

Peter Buske

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