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Kultur: Vom Werden und Vergehen

Die Sternkirche zeigt im Rahmen von „Stadt trifft Kirche“ unterschiedliche Werke von fünf Künstlerinnen und Künstlern – verfehlt dabei jedoch eine stimmige Verbindung von Raum, Klang und Sakralem. Weniger wäre hier mehr gewesen

Sie fühle sich wie ein Stern, hinzugestellt zu den vielen am Firmament. Die Künstlern Annette Paul liegt auf dem Boden der Sternkirche Potsdam. Mit ausgebreiteten Armen und Beinen sinniert sie über das Kreuz, das Firmament, die Bedeutung sakraler Kirchenbauten, die Gentrifizierung Berlins und vielerlei anderes. Der holzvertäfelte Kirchenbau hat offenbar die Fantasie der Künstlerin beflügelt. In ihrem horizontalen Vortrag verknüpft sie die generell sternförmig angelegte Architektur vieler Kirchenschiffe, die sich allerdings gerade in der Sternkirche nicht findet, mit der sakralen Bedeutung des Kreuzes und der Pilgerstätte Jerusalem, die heute einen Brennpunkt der Religionen darstellt.

Auf Jerusalem bezieht sich auch Sibylla Weisweiler mit ihren in hellem Grau, Weiß und wenigen Buntfarben gemalten Farbtafeln. Weisweiler löst die Bilder der Luftaufnahmen von Jerusalem, vom Tempelhofer Flughaben und von Kaliningrad in einem gefleckten Farb- und Musterteppich auf und verfremdet das Ausgangsmaterial, sodass die reale Ansicht nur noch erahnt werden kann. Das Gemälde weist mit angenehmem Farbklang über ein fotografisches Abbild hinaus. Ist die visuelle Erscheinung der Realität ein Trugbild?, scheinen die Bilder zu fragen. Die Bilder korrespondieren mit den Stoffbahnen der Kirchendekoration, vor denen sie hängen und bilden so tatsächlich ein Kreuz. Es seien durchaus Überlegungen angestellt worden, ob es sich zieme, ein Bild der krisengeschüttelten, leidgeprüften Stadt Jerusalem hinter einem christlichen Altar aufzuhängen, erklärt Paul. Sie hat die Ausstellung kuratiert.

Die Auflösung der Realität in Muster und Raster findet auch bei Anna Werkmeister statt. In ihrem Video zerfällt ein Teppich aus schwarzen Punkten immer mehr, bildet instabile Muster und hinterlässt schließlich eine weiße Fläche, die sich auch wieder füllen kann. „Dasein“, so der Titel der Videoinstallation. Sinnig illustriert das Video auf völlig abstrakte Weise die Prozesse des Werdens und Vergehens, die ja Ausgangspunkt aller religiösen Überlegungen und Sehnsüchte sind.

Die Sternkirche sei ein Wunder, formuliert der Ausstellungsflyer. Denn sie stehe inmitten eines DDR-Neubaugebietes und sei zu einer Zeit gebaut worden, als neue Kirchenbauten gemeinhin als obsolet galten. Die Intarsienarbeiten von Tom Korn zeigen, dass auch mit einer an sich antiquierten Technik neue interessante Ergebnisse zu erzielen sind. Mit Teppich und Holz nimmt er die Fassadenmuster der Neubauten auf, innerhalb derer sich die Sternkirche befindet.

Auch die Glasbilderserie von Irene Anton zeigt, dass mit alter Technik Ungewöhnliches geschaffen werden kann. Mit konventioneller Bleiverglasungstechnik schafft die Künstlerin rechteckige, abstrakte, vielteilige Bilder, die auf sonderbare Weise an Horizonte, Landschaften und Planeten erinnern. Durch die Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit des Bezugspunktes der Glasbilder entstehen rätselhaft stimmige Geometrien.

„Stadt trifft Kirche“ ist das Motto, unter dem sich die Stadt Potsdam mit vielfältigen Veranstaltungen am Jahr des Reformationsjubiläums beteiligt. In diesem Rahmen findet auch die Ausstellung in der Sternkirche statt. „Wir glauben, dass die Kunst an diesem Ort, der Kirche, einen sinnvollen Bezug zur Religion herstellen kann“, sagt der Pfarrer der Stern Kirchengemeinde Andreas Markert. Fraglich ist allerdings, ob bei der aktuellen Ausstellung nicht weniger mehr gewesen wäre. Denn zweifellos verschaffen die langgezogenen, weißen Strumpfhosen der Rauminstallation von Irene Anton eine neue Raumwahrnehmung. Aber braucht es diese? Und ergänzt sie sich mit dem ohnehin schon recht vielgestaltig strukturierten Kirchenschiff?

Ist es sinnvoll, die Videoinstallation von Anna Werkmeister nur während der Vernissage und der Finissage zu zeigen und während der Projektion das Licht auszumachen? Die Bilder Weisweilers, die ohnehin nicht adäquat ausgeleuchtet sind, verschwinden ohne Beleuchtung jedenfalls völlig. Ist es wirklich notwendig, eine Vielzahl von Bildern Tom Korns zu hängen, wenn schon mit einem der Bezug auf das Stadtviertel klar gewesen wäre und dies der Raumgliederung erheblich besser entsprochen hätte?

So wünschens- und lobenswert das Engagement der Kirche für die Kunst auch ist, fragt sich doch, ob nicht auch bei einer Implementation von Kunst in einen sakralen Raum die Sakralfunktion primär sein sollte. Eine intelligente kuratorische Beschränkung wäre wünschenswert gewesen und hätte dem Eindruck der Beliebigkeit entgegenwirken müssen. Rundweg erfreulich allerdings war die wundervolle musikalische Darbietung von Jaspar Libuda. Mit seinem Kontrabass schafft der sensible Musiker genau die Verbindung von Raum, Klang und Sakralem, die dem vollgestellten Kunst-Kirchenraum so leider fehlt. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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