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Die einstigen Hausherren. Friedrich Carl Klentz mit seiner Ehefrau Friederike und Hermann C. Starck.

©  Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Andrea Kilger/Dr. B. Mez-Starck-Stiftung

Kultur: Vom Wein zur Villa

Kunsthistorikerin Angelika Kaltenbach widmet sich in ihrem neuen Buch der Bertinistraße

Nur noch Straßennamen erinnern heute daran, dass Potsdam einst eine nicht unbedeutende Weinbauregion war: Es gibt die Kleine und die Große Weinmeisterstraße, die Weinbergstraße in der Jägervorstadt und den Weinmeisterweg in Sacrow. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts wurden allein in Potsdam 21 Weinberge gezählt. Wie es geschah, dass aus den Wein- und Obstbauflächen Parks und Gärten mit hochherrschaftlichen Landhäusern wurden, erzählte Angelika Kaltenbach bei der Vorstellung ihres gerade in der Potsdamer Strauss Edition erschienenen Buches „Bertinistraße 6–9. Vom Weinberg zum Villenpark“.

Der gut besuchte Vortrag im Rahmen der Reihe „Was bleibt“ des Fontane-Archivs in der Villa Quandt zeichnete ein Stück Stadtgeschichte anschaulich nach. Nach dem bewährten Prinzip des Pars pro toto erforschte die Potsdamer Kunsthistorikerin den Wandel am Beispiel des Grundstücks in der Bertinistraße 6–9. Trotz der für den Anbau nicht gerade zuträglichen Nordostlage gehörten die Weinhänge am Jungfernsee unterhalb des Pfingstberges zu den größten in Potsdam. Die weitläufig ansteigende Fläche von Plümeckes Weinberg, wie das Grundstück nach seinem Besitzer, dem Potsdamer Amtsrat Friedrich Wilhelm Plümicke, hieß, diente jedoch nicht allein dem Anbau von Rebstöcken, sondern auch von Obstbäumen, Blumen und der Bienenzucht.

Kurz nach der Eröffnung der Eisenbahnlinie von Berlin nach Potsdam gelangte das Grundstück erstmalig an einen Eigentümer aus Berlin. Zu einer beträchtlichen Wertsteigerung hatte wohl auch die Planung eines Uferwegs am Jungfernsee beigetragen. Friedrich Carl Klentz, gebürtiger Mecklenburger, Kaufmann und Konsul, der lange mit seiner Ehefrau Friederike in Neapel gewohnt hatte, ließ eine Villa für die Sommerfrische bauen. Auf dem Gelände wurde weiter unter Aufsicht von „Weinmeistern“ und Gärtnern Wein- und Obstanbau betrieben. So hielt es zunächst auch der nächste Besitzer Friedrich Wilhelm Borchardt, Eigentümer der beliebten Delikatessen- und Weinhandlung Borchardt in Berlin. Der Name des heutigen Restaurants am Berliner Gendarmenmarkt verweist auf das Weinlokal des früheren königlichen Hoflieferanten. Einst kam im Berliner Geschäft der Familie Borchardt Obst vom Jungfernsee in die Regale. Auf dem Potsdamer Grundstück entstanden eine zweigeschossige Villa, aber auch Wirtschaftsgebäude mit Pferdestall, ein Treibhaus und eine Blumenhalle. Später kamen noch ein Gewächshaus sowie ein Heizgebäude mit einem hohen Schornstein hinzu, was das Anwesen nicht gerade verschönerte. Doch der große „Parkgarten“ und der „Liebhaberobstgarten“ mit 350 Obstbäumen, den Witwe Borchardt anlegen ließ, riefen die Bewunderung der Deutschen Gartenbaugesellschaft bei einem Besuch im Oktober 1916 – mitten im Ersten Weltkrieg – hervor. In diesem Jahr wurden 100 Zentner Äpfel, zwölf Zentner Birnen, 25 Zentner Kirschen und 50 Zentner Pflaumen geerntet, wie Obergärtner berichteten.

Diese und andere aufschlussreiche Details trug Angelika Kaltenbach in akribischer Forschungsarbeit für ihr kleines Buch zusammen. Zahlreiche Abbildungen von Plänen, Landschaft, Gebäuden und nicht zuletzt ihrer Eigentümer und Bewohner geben prägnante Eindrücke von diesem Stückchen Potsdam. Besonders bereichernd sind einige Porträtgemälde, wie das des seinerzeit gefeierten Berliner Malers Eduard Magnus vom Ehepaar Klentz. Über das reine Abbild der Personen hinaus erzählen sie durch ihre Malweise von den Zeiten, aus denen sie stammen.

Rund 100 Jahre später ließen sich die letzten langjährigen Bewohner, die Familie Hermann C. Starck, von dem glänzenden Maler Eugen Spiro porträtieren. Auf dem 1920 erworbenen Grundstück verbrachte der Fabrikant Starck mit seiner ungarisch-jüdischen Ehefrau und den beiden Kindern Barbara und Gerhard viele unbeschwerte Sommer. Das Weinmeisterhaus wurde zu einer „Junggesellenwohnung für den Bauherren“ umgebaut. Die Villa erhielt unter der Leitung des Bühnenbildners und Architekten Michael Rachlis ihr heutiges Aussehen. Es gab ein Bootshaus und einen Steg zum Baden, ein Pony, eine Orchideenzucht und einen weitläufigen Rosengarten am Wasser.

Der einschneidende Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich unter anderem daran, dass 1970 die Grenzübergangsstelle Nedlitz an die dort schmalste Stelle des Jungfernsees verlegt wurde. Das Starcksche Anwesen wurde nun vom Grenzregiment 44, der Bootskompanie Potsdam und der Grenzhundestaffel genutzt. Hinter der Villa entstand ein dreigeschossiges Mannschaftswohngebäude, das salopp „Ferienheim Sonnenschein“ genannt wurde. Die Zeit des friedlichen Weinanbaus am Fuß des Pfingstberges schien endgültig vorbei zu sein. Erst die neue Zeit ermöglicht vielleicht auch hier einen Neuanfang.

Angelika Kaltenbach: Bertinistraße 6–9. Vom Weinberg zum Villenpark. Strauss Edition, Potsdam 2017,

51 Seiten, 10 Euro.

nbsp;Babette Kaiserkern

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