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Kultur: Verstörende Nachrichten

Totenschädel auf Regalbrettern, klagende Frauen, Erschießungskommandos und Massergräber: die Collagen von Gisela Schlicht im Museum Fluxus+

Rot-weiße Sonnenschirme, Eis, Kaffee und Andenken im Eingangsbereich. Nichts deutet darauf hin, dass der Ausstellungsbesucher im Museum Fluxus+ sogleich in seiner sommerlichen Unbeschwertheit erheblich gestört werden wird. Denn, sobald er linkerhand das Atrium des Privatmuseums betritt, steht er einer riesenhaften Collage gegenüber. In Form eines fast drei mal vier Meter großen Kreuzes hat die Berliner Künstlerin Gisela Schlicht in 20 verschiedenen, gleichgroßen Teilen die „Nachrichten des Tages“ zusammengestellt: Totenschädel auf Regalbrettern, klagende Frauen, immer wieder Erschießungskommandos, zurückgelassene Beinprothesen, verstörte Kindergesichter und offene Massengräber. Auf der wie ein Altar des Grauens anmutenden Collage sind aus Zeitungen und Zeitschriften herausgerissene Schwarz-Weiß-Bilder zu sehen, die ab und an von Himmelsblau, Bergpanoramen oder Gewässern sowie roten Feuersbrünsten „komplettiert“ werden. Gisela Schlicht hat an dieser Dokumentation der Barbarei sechs Jahre lang, von 1988 bis 1994, gearbeitet.

Dieses apokalyptische Puzzle aus Szenen kriegerischer Gewalt – auch mittelalterliche Folterszenen und historische Kriegsschauplätze gehören dazu – setzt sich aus unzähligen bedrückenden Einzelschicksalen zusammen, die der Betrachter jedoch kaum identifizieren kann. Somit geht es ihm wie bei den täglichen Nachrichtensendungen, in denen er zwar die Kriege und Gräueltaten aus aller Welt bebildert bekommt, aber die einzelnen menschlichen Tragödien dahinter nicht (mehr) wahrnehmen kann.

Auch bei Gisela Schlicht wird das Einzelne unschärfer, sobald man nur ein wenig beiseite tritt. Aber dieses monströse Kreuz im Zentrum der Exposition vermittelt dem Betrachter gerade in der Distanz noch deutlicher die Empfindung von gewaltigen destruktiven Energien, von denen man kaum unberührt bleiben kann. Zugleich will die 1942 in Berlin geborene Künstlerin mittels der Kreuzform den Opfern Ehre erweisen und ein Stück Hoffnung in die Welt tragen. „Wir müssen uns erinnern, sonst wird sich alles wiederholen“, dieses Zitat von Marguerite Duras, findet sich ebenfalls an zentraler Stelle. Die „Nachrichten des Tages“ sollten auch nach der Ausstellung öffentlich zugänglich sein, um ihre verstörende Botschaft weiterhin auszusenden.

Neben den grauen Kriegsdarstellungen hängen mehrere großformatige farbintensive Acrylbilder. Hier ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen, welche brisanten Themen sie zum Gegenstand haben. „Bouncing Betty“ wirkt beinahe wie eine opulent entflammte Blüte und „entpuppt“ sich, wenn man den Bilduntertitel näher in Augenschein nimmt, als Anti-Personenmine mit einem Todeskreis von 27 Metern Durchmesser. Und der glutvolle Abendhimmel auf „Secret Mission“ wird von einem schnittigen Flugzeug beherrscht, das zur Gattung taktischer unbemannter Systeme gehört. Verschleierung und Täuschung mittels verharmlosender Begriffe und durch schickes Design sind hier wirkungsvoll ins Bild gesetzt.

„Ein Gedanke kann nicht erwachen, ohne andere zu wecken“, dieser Satz von Marie von Ebner-Eschenbach findet sich sowohl auf dem gleichnamigen Bild als auf dem Ausstellungsplakat und ist nachgerade als Leitfaden der Ausstellung zu verstehen.

Die expressiven Bilder und Collagen von Gisela Schlicht verstören nachhaltig, weil sie mit berührender Intensität die Frage nach dem Fortschritt der Menschheit umkreisen. Und dieser sollte man sich wohl auch in der Sommerpause nicht gänzlich entziehen.

Kostenfreier Besuch der Ausstellung in der Schiffbauergasse bis 28. 9., täglich von 12 bis 20 Uhr im Atrium des Museum Fluxus+ möglich, Dienstags halbe Preise für das gesamte Museum.

Astrid Priebs-Tröger

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