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Wie Schmerzpunkte. Die Acrylbilder von Walter Gramming und „ushi f“.

©  ea

Kultur: Verstecktes Grauen

Malerei und Collagen über Schrecken des Krieges in der „ae-Galerie“ / Künstlergespräch am Mittwoch

Die Radierungen Francisco de Goyas „Die Schrecken des Krieges“ von 1863 oder die Fotografie Robert Capas „Tod eines spanischen Milizionärs“ von 1936 sind weltbekannt. Sie prägten die Sicht auf Kriege und ihre Folgen, erschüttern und berühren den Betrachter auf den ersten Blick. Mindestens einen zweiten Blick sollte man riskieren, wenn man die aktuelle Ausstellung „Schauplatz: Leinwand“ in der „ae-Galerie“ im Luisenforum besucht. Galeristin Angelika Euchner hat hier drei Künstler versammelt, die in ihrem Sujet und dessen Umsetzung unterschiedlicher nicht sein könnten.

Das Berliner Künstlerduo Walter Gramming und Uschi Frank, Künstlername „ushi f“, das am Mittwochabend zum Künstlergespräch in die Galerie gekommen war, stellt Arbeiten aus, die sich mit den Gräueltaten der spanischen Konquistadoren im 16. Jahrhundert in Mexiko auseinandersetzen. Beide Künstler weilten im vergangenen Herbst im mexikanischen San Cristobal de las Casas und stießen dabei zufällig auf den Bericht des Namenspatrons der Stadt, Bartholomé de Las Casas (1484-1566), der als einer der frühesten Verteidiger der Menschenrechte der Indios gilt. Dem Bericht beigefügt waren historische Kupferstiche von Theodor de Bry und Jodocus van Winghe. Von diesen Bildern und den detaillierten Schilderungen des Grauens ausgehend, entwickelten die beiden Medienkünstler digital erstellte, eigenwillig verfremdete und stark abstrahierte Acrylbilder und Reliefdarstellungen aus Plexiglas in den Farben Schwarz, Weiß und Rot, die Titel wie „Die Gehängten“, „Brandschatzung“ oder „Überfall“ tragen.

Die Wiesbadener Künstlerin Heide Keller arrangiert hingegen moderne Kriegsszenarien versteckt unter vorwiegend erdfarbener Farbfleckentarnung, sodass sie erst auf den zweiten Blick erkennbar werden. Nicht nur ihre raumgreifende Arbeit „Camouflage“, ausgeführt in der Technik des „dripping“, eine Art „getropfte Malerei“, erinnert an die Arbeiten von Jackson Pollock. Wobei dieser nicht imitiert wird, sondern das Agieren und Reagieren beim verdichtenden Malprozess sich aus der aggressiven Kriegsthematik ergibt. Blickt man frontal auf die Arbeiten Kellers sieht man kaum etwas von den unzähligen Soldaten, dem kriegerischen Gerät und den Stacheldrahtsperrzäunen, die in Form von „Kinderspielzeug“ aufgeklebt sind und verstörend inszeniert werden. Erst der zweite Blick von der Seite ergibt den ganzen schrecklichen Film.

Verstecktes Grauen umweht einen auch, wenn man die beiden Collagen „verkehren“ und „Fundstücke“ der Autodidaktin Heide Keller, sie ist Jahrgang 1941, betrachtet. Die inzwischen pensionierte Gymnasiallehrerin inszeniert in „verkehren“ gegenwärtiges Verkehrschaos mithilfe von winzigen Autos und lässt den Betrachter dieses als modernen Straßenkampf erleben, bei dem auch unterdrückte Aggressionen ausgelebt werden. Nahezu sprachlos steht man vor ihrer Arbeit an der gegenüberliegenden Wand. Die den Titel „Fundstücke“ trägt, und Köpfe, Arme und Beine von Puppen wie Kinderleichenteile inszeniert. Der eigene Film im Kopf wird dadurch unmittelbar ausgelöst und längst verdrängte Berichte von Kinderleichen in Eisschränken und Blumenkästen erfahren hier eine starke emotionale Entsprechung.

Galeristin Angelika Euchner berichtete während des Künstlergesprächs von der eigenen Auseinandersetzung mit den aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen im arabischen Raum. Dazu passend entdeckte sie im vergangenen Jahr die Arbeiten Heide Kellers in Berlin, die sie emotional stark berührten und wegen der eigenwilligen Handschrift begeisterten, sodass sie die Künstlerin, die bisher nur in Wiesbaden ausstellte, sofort dem hiesigen Publikum präsentieren wollte.

Während des sehr informativen, aber manchmal etwas ausufernden Künstlergesprächs berichteten Walter Gramming und „ushi f“, die ihre großformatigen Acrylbilder zuerst in Mexiko ausstellten, wie sehr die Nachfahren der von den spanischen Eroberern ermordeten Indios auch von ihren stark abstrahierten Bildern berührt waren. Diese zeigen jetzt scherenschnittartig verdichtet das damalige traumatische Geschehen, sodass schon die gleiche Bildkomposition wie in den alten Kupferstichen bei ihnen wie Schmerzpunkte wirkten.

Allerdings ist es für hiesige Betrachter ohne diesen Hintergrund ein eher verstecktes Grauen, auch, wenn die roten senkrechten „Blutrinnen“ auf den Acrylbildern beinahe etwas zu plakativ das Thema Gewalt assoziieren. Doch der mexikanische Ausstellungskatalog „De las Casas. Der Blick zurück in die Zukunft“, in dem die historischen Kupferstiche und die aktuellen Arbeiten gegenübergestellt sind, vermag Abhilfe zu schaffen.

Bis 7. März, mittwochs und freitags, 15-19 Uhr, samstags, 12-16 Uhr, in der „ae-Galerie“, Hermann-Elflein-Straße 18

Astrid Priebs-Tröger

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