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Das Zwickauer Terror-Trio hat sich viel von der britischen Neonaziszene abgeschaut. So der Journalist und Buchautor Maik Baumgärtner bei der Diskussion „Die Aufklärung der NSU-Mordserie – eine kritische Zwischenbilanz“.

©  Andreas Klaer

Kultur: Versagen ist ein zu schwaches Wort

Lesung und Diskussion zur Aufklärung der NSU-Mordserie im T-Werk

„Die Opfer des NSU“ – kurz vor Veranstaltungsbeginn konnte man die Namen und die Porträts von neun Männern und einer Frau auf einer Videoleinwand sehen. Sie zogen langsam an einem vorüber: die Gemüse- und Blumenhändler, die Schlüsseldienstbetreiber und Internetcafébesitzer. Zum Zeitpunkt ihrer Ermordung waren sie zwischen 21 und 50 Jahre alt. Menschen, die mitten im Leben standen, Familienväter und Ehemänner waren. Sie waren ins Visier von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt geraten, weil sie als Türken oder Griechen in Deutschland lebten. Der erste Mord des Zwickauer Terror-Trios, zu dem auch Beate Tschäpe gehört, fand im Jahr 2000 in Nürnberg statt, zuletzt wurde 2007 eine deutsche Polizistin in Heilbronn regelrecht hingerichtet.

Das sind die Fakten. Seit anderthalb Jahren gibt es einen NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag und seit dem 6. Mai wird Beate Tschäpe in München der Prozess gemacht. Doch viele Menschen und auch die etwa 50 Teilnehmer der Diskussion „Die Aufklärung der NSU-Mordserie – eine kritische Zwischenbilanz!“, die am Donnerstag im T-Werk stattfand, fragen sich immer noch, wie es zu dieser Mordserie kommen konnte. „Der Terror ist nicht vom Himmel gefallen“, sagte Annika Eckel vom Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, die die Runde moderierte und Maik Baumgärtner, der als freier Fachjournalist arbeitet, las einige Passagen aus seinem 2012 erschienenen Buch „Das Zwickauer Terror-Trio“, das die Ereignisse, die Szene und ihre Hintergründe detailliert beleuchtet.

Er schlug einen Bogen von den ideologischen Vorbildern der internationalen Neonaziszene, wie den „Turner Diaries“ und der amerikanischen Terror-Gruppe „The Order“ bis hin zu deren sogenannten „Vierzehn Wörtern“, mit denen sie dazu aufrufen, die Existenz und die Zukunft ihrer weißen Nachkommen zu sichern. Auch das Konzept des „führerlosen Widerstandes“ ist nicht von allein in den Köpfen des Zwickauer Trios entstanden, sondern beruht auf Ideen der britischen Terrorgruppe „Combat 18“ , die diese ebenso wie Anleitungen zum Bombenbauen in ihrem Magazin „Stormer“ veröffentlichte. Und auch der von der NSU verwendete Slogan „Taten statt Worte“ lässt sich auf die britischen Neonazis zurückführen.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. In der sich anschließenden Diskussion sagte eine Frau, dass sie Mitte der 90er Jahre als Studentin in Jena die Stadt als extrem gewaltbereit gegenüber Ausländern und antifaschistischen Gruppierungen erlebte, die Polizei systematisch wegsah und die Vorfälle nicht in der Presse auftauchten. Ein Mann verwies auf die „Zahlenspiele“ der FDP im Bundeswahlkampf 2002, als diese mit der Ziffer 18 – die in der Szene für Adolf Hitler steht – auf den Schuhsohlen von Guido Westerwelle vielleicht auch am rechten Rand nach Wählerstimmen fischte. Und ein anderer Zuhörer sagte, dass das flächendeckende institutionelle Versagen bei der Aufklärung der Neonazimordserie auch in der unbewältigten deutschen Vergangenheit und der Rolle der Medien wurzele.

Eva Högl, Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss, die ebenfalls das flächendeckende Versagen der Sicherheitsbehörden, des Verfassungsschutzes, der Justiz und Fehlentscheidungen auf politischer Ebene bestätigte, schloss sich jedoch nicht dem Diskussionsteilnehmer an, der forderte, das Wort Versagen mit dem Wort Vorsatz zu ersetzen. „Das haben wir nicht gefunden“, sagte sie, „es war kein zielgerichtetes Handeln, keine Verschwörung“. Auch darüber gab es im Publikum geteilte Meinungen. Eva Högl sagte weiterhin, dass es im Bundestag bisher keine Mehrheit für klare Strategien gegen Rechtsextremismus und somit auch keine adäquaten Finanzierungsmöglichkeiten gebe.

Eike Sanders, Prozessbeobachterin in München und Mitglied von „nsu-watch“ sagte, dass so, wie gegenwärtig die Sicherheitsstrukturen aufgebaut sind, diese den Rechtsterrorismus gar nicht finden konnten, denn dieser sei keine Analysekategorie. Auch sie sagte, dass Versagen ein zu schwaches Wort und systemische Fehler angemessener sei. Maik Baumgärtner erklärte, dass die Opfer des Zwickauer Neonazitrios sehr genau observiert wurden, wogegen die Familien der Untergetauchten kaum überwacht wurden und sich drei Mal mit den Terroristen treffen konnten.

Was hat Alltagsrassismus mit uns zu tun? Auch das war eine der Fragen, die in der fast zweistündigen Veranstaltung ebenfalls gestellt wurden. Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs, der auch Vorsitzender des Aktionsbündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ ist, rief dazu auf, persönlich und auch institutionell eine hohe Sensibilität für Alltagsrassismus zu entwickeln und sich, wie vor ihm Eike Sanders sagte, mit den Opfern vor Ort zu solidarisieren. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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