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Späte Liebe. Christoph Hampe, einer von vier Cellisten der Kammerakademie Potsdam, entschloss sich erst im Alter von 21 Jahren zum Studium.

© Andreas Klaer

Kultur: Vergiss die Erinnerung

Als Jugendlicher tauschte Christoph Hampe vorübergehend Cello gegen E-Bass. Heute schätzt er Barockes, forscht zur Neuen Musik und ist beim Kammerakademie-Gastspiel in Rheinsberg dabei

Jedes Konzert, jede Probe, jedes Spiel beginnt mit dem Atmen. „Das kann man hören“, sagt Christoph Hampe. „Kurz bevor der Dirigent den Stab hebt, kommt ein kraftvoller Atemzug.“ Hampe macht es vor, diesen Schnapp-Atmer, laut, präzise, ein Signal: Jetzt!

Dass man mit einem Cellisten zunächst über das Atmen spricht, mag überraschen. Hampe, Cellist der Kammerakademie Potsdam seit ihrer Gründung und davor Mitglied im Ensemble Oriol, erinnert sich, das Atmen an der Blockflöte gelernt zu haben. Da war er fünf oder sechs Jahre alt. Er, Kind einer Musikerfamilie, der Vater Flötist, die Mutter Pianistin, begann mit „Blockflöte, das war ganz selbstverständlich“, sagt Hampe. Gut zum Begreifen der Musik, der Notenlehre. Und zum Atmen-Lernen.

Jetzt sitzt der 60-Jährige im Café im Nikolaisaal-Innenhof, der Cellokasten lehnt zwischen den Tischen an einem Baumstamm. Das Cello wird eines Tages Hampes Instrument, weil es für die Hausmusik gebraucht wird. Und ja, irgendwie fühlt er sich zu ihm hingezogen. Erklären kann er das nicht mehr so richtig. „Der Klang kann es nicht gewesen sein.“, sagt er, „Ich spielte auf Darmsaiten.“ Harte Stahlsaiten, das ist nichts für zarte Kinderfinger, auch wenn sich mit ihnen ein stabilerer Klang erzeugen lässt. Die weichen Darmsaiten sind gegenüber Temperatur und Luftfeuchtigkeit empfindlicher.

Hampe spielt also Cello. Die Mutter, Pianistin, unterstützt ihn auf liebevoll-kreative Art, begleitet seine Tonleiter-Übungen exorbitant am Klavier. „Das war toll, das hat sie herausragend gemacht.“ Damals entdeckt er, dass es das Zusammenspiel ist, was am meisten Spaß macht. Erfolgserlebnisse mit anderen zu teilen.

Und doch hört er mit 16 Jahren erstmal auf, beziehungsweise tauscht Cello gegen E-Bass, als die Band der Freunde ihn anfragt. Die Saitenanordnung ist dieselbe, das Instrument wird quasi nur gedreht, der Bass liegt quer. Krach machen mit der Band, proben im Keller, das findet er gut. Das Cello holt er nur noch raus für Konzerte, bei denen es eine kleine Gage gibt, in der Kirche zum Beispiel. Das Cello wird zum Arbeitsmittel. Nie legt er es gänzlich weg und entscheidet sich mit 21 Jahren, es noch mal zu versuchen – jetzt aber richtig.

Er beginnt ein Studium. Die Substanz ist noch da, Hampe studiert erst in München, dann in Hamburg. Heute kann er sich nicht vorstellen, jemals aufzuhören mit der Arbeit. Er gehört zu den älteren Mitgliedern des Orchesters und beobachtet den Alterungsprozess. Das Orchester wird sich verjüngen müssen, sagt er, deshalb ist das Akademistenprojekt KAPcampus, das mit der kommenden Saison beginnt, so wichtig. Die Grundsatzentscheidung für das selbstverwaltete Orchester, in dem er Gesellschafter ist, nicht Angestellter, und über inhaltliche Dinge mitbestimmen kann, hat auch mit seiner Vorliebe für Neue Musik und Zeitgenössisches zu tun.

Hampe spielt hier auch regelmäßig im Ensemble KAPmodern. „Ich bin wahnsinnig neugierig auf alles, was aktuell in dieser Musik passiert“. Außerdem gibt es da noch so viel Unbekanntes, das kein Mensch kennt und spielt. „Damit müsste man sich auseinandersetzen“, sagt er. Gerade hat er sich ein neues Projekt vorgenommen: Er beschäftigt sich intensiv mit Michael von Biel, Cellist, Komponist und Maler aus Hamburg und heute 81 Jahre alt. „Den kennt kein Mensch“, sagt Hampe. Gemeinsam mit einem Pianisten möchte er von Biels Stücke, von denen es nur Höraufnahmen gibt, aufschreiben. Biel selbst hat eine eigene Notenschrift erfunden, die völlig anders als die Herkömmliche und schwer zu verstehen ist. Das sind Rätsel, Herausforderungen, die Hampe reizen.

Aber da ist auch die Barockmusik, die historische Aufführungspraxis interessiert ihn. Die Rezeptionsgeschichte. Wann hat man begonnen, sich für mehr als das jeweils Zeitgenössische zu interessieren? „Die haben damals auch nur gespielt, was aktuell war. Bach war nach zehn Jahren erstmal vergessen. Erst Mendelssohn hat dessen Musik in das Konzertleben zurückgeholt“, sagt Hampe. Nach dem Studium kann er aus dem Nachlass eines Musikers ein 250 Jahre altes Barock-Cello übernehmen. Es folgen Jahre, in denen er viel ausprobiert. Sich ausprobiert. Hampe wird gefragt, ob er zum Freiburger Barockorchester gehen möchte, das sich 1987 gründet – aber er lehnt ab. Es hätte geheißen, sich festzulegen. Und sich nicht auf diese unheimlich spannende Breite zwischen Barock und Neuer Musik einzulassen. Hier zu forschen, zu graben. Neugierde, das sagt Hampe immer wieder, das ist es, was er sich bewahren will. Offen sein, nicht festgelegt. Manchmal war es ihm peinlich, wenn es bei einer Probe hieß, Mensch, das haben wir doch vor Jahren schon mal gespielt, und er konnte sich nicht erinnern. Dabei will er sich manchmal gar nicht erinnern. Nichts einfach so spielen wie vor ein paar Jahren. Nicht mal so, wie er es gestern gespielt hat. Nichts in der Musik ist endgültig.

Es ist ein bisschen wie in Mozarts „Cosi fan tutte“, wo feste Strukturen aufgerüttelt werden und plötzlich alles im neuen Licht steht. Obwohl die Liebespaare – wer liebt eigentlich wen? – scheinbar zurückkehren in die alte Ordnung. Aber etwas ist anders und das ist eben auch eine Chance. Nein, über Mozart möchte Hampe nicht sprechen in dieser gehetzten Mittagspause. Nur so viel: „Mozart, das ist einfach geniale Musik. Weltkulturerbe eben.“ Am Wochenende wird die Oper mit dem Kammerorchester in Rheinsberg aufgeführt. Oper ist super, sagt Hampe, und da ist es wieder zu spüren, dieses Gefühl, wenn so viele verschiedene Beteiligte, Sänger, Musiker, Dramaturgie, Bühne, Kostüm, Technik, an einem Projekt mitarbeiten. Ein gemeinsamer Atem.

Seit 2015 kooperiert die Kammerakademie Potsdam mit der Kammeroper Rheinsberg. In diesem Jahr wird Mozarts „Così fan tutte“ aufgeführt: am 20., 21., 22., 24., 25., 27. und 28. Juli, jeweils um 19.30 Uhr, nur am 22. 7. um 18.30 Uhr. Karten ab 29 Euro auf kammerakademie-potsdam.de

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