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Die Fotografin Kathrin Ollroge sitzt vor einem Transparent, das ihre mobile Wohnrauminstallation zeigt, auf einem Dach im Rechenzentrum in Potsdam.

© Martin Müller

Verdienstorden für Potsdamer Künstlerin: „Jetzt ist alles weg“

Die Potsdamer Künstlerin Kathrin Ollroge und ihr „Raum für Gedanken“ bekommen den Verdienstorden der Bundesrepublik. Das Projekt ist ein Psychogramm des Ostens.

Wie alles anfing? Kathrin Ollroge überlegt. Dann erzählt sie von dem Tag auf der Autobahn, irgendwann Anfang 2014. Sie hörte im Autoradio Berichte über die jüngsten Pegida-Demonstrationen in Dresden, über die Tausenden Menschen, die dort als selbsterklärte Wächter des Abendlandes auf die Straße gingen und dafür das Label der Montagsdemonstrationen für sich in Anspruch nahmen. Die Fotografin Kathrin Ollroge, geboren 1969 in Potsdam und nach der Wende lange im Ausland zu Hause, machten diese Nachrichten fassungslos, auch ratlos. Vor allem dachte sie sich, dass man etwas tun müsse. Nur was? Mit denen reden, die da demonstrieren, dachte sie, das wäre doch ein Anfang.

Wenig später, im Sommer 2014, ergab sich eine erste Plattform für Kathrin Ollroges Idee, die langsam Form annahm. In dem 24-Stunden-Festival „Stadt für eine Nacht“ richtete sie sich eine der Hütten ein, die jedes Jahr einen Tag und eine Nacht lang die imaginäre Stadt auf der Schiffbauergasse bevölkern. Ollroge stellte einen Sessel hinein, eine Zimmerpflanze, eine Schreibmaschine. Und in den Hintergrund hing sie eine Fotoplane: ein mannshoch ausgedruckter Blick aus dem Staudenhof über den Alten Markt. Das Foto zeigt die erste Wohnung, die im Staudenhof für die Ankunft einer Flüchtlingsfamilie renoviert worden war. Die Wohnung ist unmöbliert, Fenster und Türen offen: ein leerer Raum, ein Versprechen. Hier wollte sie mit den Menschen über Nachbarschaft sprechen. Über Heimat.

Ollroge hofft auf Partner, die mit ihrem Fundus weiterarbeiten

„Raum für Gedanken“, nannte Kathrin Ollroge diese Kapsel der Wohnlichkeit, der scheinbaren Privatsphäre im öffentlichen Raum. Gebaut für eine Nacht. Inzwischen ist ein Langzeitprojekt daraus geworden – ein nunmehr auch preisgekürtes: Am Dienstag wird Kathrin Ollroge einen von 29 Bundesverdienstorden vom Bundespräsidenten dafür erhalten. Das freut Ollroge, aus dem Gleichgewicht bringt es sie nicht. „Natürlich tut die Aufmerksamkeit dem Projekt gut.“ Vor allem hofft sie, dass sich so Partner finden, die mit dem Fundus, den sie über die Jahre angelegt hat, weiterarbeiten, ihn sich künstlerisch oder wissenschaftlich anverwandeln. Den Schatz, so nennt sie ihn.

Der „Raum für Gedanken“ ist in den letzten vier Jahren durch den Osten Deutschlands gereist. Durch Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, und auch durch einige Orte in Sachsen. Sie fragte die Menschen jenseits der Metropolen nach Heimat, Nachbarschaft, nach ihrem Umgang mit Flüchtlingen. Kathrin Ollroge stellte ihre Kapsel auf einem Marktplatz auf und wartete, bis Menschen neugierig wurden. Dann lud sie sie zu einem Kaffee ein, kam ins Gespräch. Und notierte, was die Menschen ihr erzählten. Anonym. Die Fotos, die sie macht und in den Broschüren veröffentlicht, sind absichtlich nicht den Texten zugeordnet, die Texte in nahezu ganzer Länge abgedruckt, wie sie betont. Niemand soll sich denunziert, zensiert fühlen. Aber: „Ressentiments sind keine Projektteilnahme“, sagt sie. „Nazi“ ist sie nur einmal genannt worden, im Vorübergehen. Meistens aber, sagt sie, sind die Reaktionen positiv.

Stimmen jeder politischen Couleur stehen nebeneinander

Der Raum war als Provisorium gedacht, inzwischen sind unzählige Fotos entstanden, sieben Broschüren, und etwa 1000 Interviews. Eingangs platzierte sie manchmal Aufsteller ihrer Förderer – vor allem die Landeszentralen für Politische Bildung – neben der Installation. Das Resultat: Die Menschen wandten sich ab. In der Illusion eines privaten Raumes öffneten sie sich – sobald eine Institution sichtbar wurde, wurden sie misstrauisch.

So kommt es, dass in den Publikationen Stimmen jeder politischen Couleur nebeneinanderstehen, eine nüchterne Auflistung, das unkommentierte Psychogramm verschiedener Landstriche – die, alle auf ihre Art, geprägt sind von Arbeitslosigkeit, Überalterung, nicht verarbeiteter Geschichte, auch Traumata. In Brandenburg war sie 2014 im Westhavelland unterwegs, einen Tag lang auf dem Marktplatz in Friesack zum Beispiel. Ein Foto zeigt eine verlassene, verschlossen wirkende Straße. Früher gab es hier sieben Bäcker, sagt eine Frau, „jetzt ist alles weg“. 2483 Einwohner und 100 Geflüchtete lebten 2014 dort. „Ich bin sauer auf die Flüchtlinge, des Geldes wegen“, sagt ein Friesacker – und dass es ihm zu LPG-Zeiten besser ging. Beileibe nicht alle machen es sich so einfach. „Die Rahmenbedingungen sind einfach nicht gegeben, um eine intakte Nachbarschaft entstehen zu lassen“, sagt ein Mann aus Rathenow, verweist auf mangelnde Begegnungsräume. „Als wir unsere Bedenken geäußert haben, wurden wir sofort in die rechte Ecke gestellt.“

Rechte Ecken gibt es hier nicht

Solche Ecken gibt es bei Kathrin Ollroge nicht, das ist das Besondere, das teilweise auch Verstörende an ihrer Arbeit. Ihre Dokumentationen zeigen den Osten in 1000 Einzelteilen, wie er ist. Verletzt, verstörend, menschlich. „Keine neuen Informationen“, sagt sie selbst. „Sie sind nur anders erzählt.“ Mit Ruhe, Respekt, Ausdauer. Ohne Urteil, mit Gespür für die Dimensionen, die unter dem Gesagten liegen. „Es ist höchste Eisenbahn, dass die Menschen wahrgenommen werden“, sagt Ollroge. 

Sie hat längst damit begonnen. Demnächst ist noch einmal Sachsen dran.

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