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Anita Twarowska und Murillo Basso bei den Proben von "For the tow of us. For us all.", das in der fabrik uraufgeführt wird.

© seb.photo

Uraufführung an der fabrik Potsdam: Spüren, was ist

Die Tänzer Anita Twarowska und Murillo Basso eröffnen heute Abend mit einer intuitiven Performance die Spielzeit in der fabrik.

Sie hat strahlende blaue Augen, er tiefbraune. Zwischen beiden funkte es augenblicklich, als sich Anita Twarowska und Murillo Basso vor zwei Jahren in der Tanzfabrik Berlin während ihrer Tanzausbildung kennenlernten. Am heutigen Donnerstagabend stehen die gebürtige Polin und der Brasilianer in der fabrik zur Spielzeiteröffnung mit ihrer Produktion „For the two of us. For us all“, die eine Uraufführung ist, zum zweiten Mal gemeinsam auf einer Bühne. Mit allen Sinnen erforschen sie, wie Begegnung und Dialog zwischen Menschen zustande kommen beziehungsweise funktionieren kann.

„Heutzutage wird Augenkontakt oft vermieden“, sagt Anita Twarowska im Gespräch und verweist darauf, dass sich viele Menschen mehr mit ihrem Smartphone als beispielsweise mit ihrem Gegenüber in der S-Bahn beschäftigen. Gleichzeitig kriegt man oft die Frage „Wie geht’s dir?“ gestellt, auf die man knapp und den Konventionen entsprechend möglichst mit „gut“ antworten soll. Anita Twarowska und Murillo Basso wollen dieses Spiel zumindest in ihrer gemeinsamen Performance nicht (mehr) mitmachen.

Sie wollen wirklich offen füreinander sein. Dabei werden sie in „For the two of us. For us all“ keine Begegnungen spielen, sondern diese jeden Augenblick neu erleben. So betasten sie sich gegenseitig im Gesicht und am ganzen Körper, riechen aneinander und hören auch den Geräuschen zu, die einzelne Körperregionen des jeweils anderen von sich geben, um daraus ihre eigenen Schlüsse über den momentanen Zustand des Partners zu ziehen.

Es hat fast den Anschein, als ob sie, wie beim Physiotherapeuten oder beim Osteopathen, alles das ertasten und erspüren, was nicht gesagt wird oder gesagt werden kann. Anfangs, sagt Basso, war diese Nähe gewöhnungsbedürftig und auch er hatte einige Scheu, den eigenen Körper so vollständig darzubieten und dabei beispielsweise nach Schweiß zu riechen.

Doch fast jeder Körper gibt ziemlich eindeutig darüber Auskunft, wie er sich gerade fühlt. Die Energien des jeweils anderen so direkt zu spüren, ist dabei nicht immer einfach. Und manchmal merkt man dann auch, dass man das gerade jetzt nicht kann oder will. So ist die wechselseitige (Körper-)Erkundung auch eine wunderbare Schulung in Achtsamkeit, sagen beide Performer, die eine Schauspielausbildung sowie die „Dance Intensive“- Ausbildung der Tanzfabrik Berlin abgeschlossen haben. Beide arbeiten sowohl als Performer als auch als Regisseure. Anita Twarowska hat auch bereits in der fabrik inszeniert. Murillo Basso lebt und arbeitet als Schauspieler und Regisseur in Sao Paulo. Für die Residenz in der fabrik ist er seit vier Wochen in Potsdam und genießt die hiesige Entschleunigung.

Es gibt eine Struktur in der ansonsten intuitiven Performance, sagt Anita Twarowska, die auch eigens dafür bearbeitete Dialoge aus Bernard-Maria Koltès „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ benutzt und mit selbst produzierten Sounds von Nicolas Schulze untermalt wird – beispielsweise die Bewegung einer Bettdecke. So entsteht ein sehr vielschichtiger, intimer Raum um beide Performer. Doch das Publikum kann, wenn es sich denn auf solche offenen und spontanen Begegnungen einlassen will, hautnah dabei sein. Es sitzt in dieser Produktion auf der Bühne der fabrik in einem engen Stuhlkreis um die beiden herum.

„Wir werden aktiv auf die Zuschauer zugehen“, sagen Twarowska und Basso. Sie wollen sensibel erspüren, ob und wie bereit das Publikum ist, sich auf sie einzulassen. Auch ein negatives Feedback – in Form einer Verweigerung – sei eines. Ein wenig erinnert das Konzept damit an Yasmeen Godders Performance „Simple Action“, die bei den diesjährigen Tanztagen gezeigt wurde. Dort nahmen die Profitänzer Kontakt mit jedem Zuschauer auf und begleiteten ihn dann zu Stabat-Mater-Klängen in eine liegende Position auf den Kirchenboden. Sehr berührend war das und man konnte – wie auch jetzt in „For the two of us. For us all.“ – einiges über eigene Ängste, Vorbehalte und Grenzen erfahrenen. Wenn man denn den Mut hat, den Raum, den die Performer eröffnen, zu betreten. 

Uraufführung heute Abend um 20 Uhr in der fabrik. Weitere Vorstellungen am 7. und 8. September, jeweils 20 Uhr

Astrid Priebs-Tröger

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